Reformbedarf[2] bei der Fortbildung von Richterinnen und Richtern[3] sowie bei der Qualitätssicherung im familiengerichtlichen Verfahren besteht vordringlich insoweit, als minderjährige Kinder betroffen sind, in erster Linie also in Kindschaftssachen.

Das rechtspolitische Vorhaben, Kinderrechte ausdrücklich im Grundgesetz zu verankern, braucht eine Flankierung in der Gerichtsverfassung (2.), in der Ausgestaltung des Verfahrens (3.) und in der Qualifikation der Familienrichterinnen und Familienrichter (4.).

Wie viele Ressourcen die Rechtsordnung investiert, hängt im Bereich der Zivil- und Strafrechtspflege nach geltendem Recht in erster Linie von der Höhe der geldwerten Vermögensposition oder vom Maß des Eingriffs in Freiheitsrechte ab. Je höher der im Streit stehende Geldwert bzw. je höher der zu erwartende Freiheitseingriff, umso mehr Ressourcen investiert die Rechtsordnung.

 
Praxis-Beispiel

Beispiele:

Nur für Streitigkeiten über Ansprüche, deren Gegenstand an Geld oder Geldeswert die Summe von 5.000 EUR nicht übersteigt, ist das Amtsgericht erstinstanzlich zuständig (§ 23 Nr. 1 GVG). Für alle höheren Beträge ist das Landgericht zuständig.
Die Nichtzulassungsbeschwerde im Zivilprozess und damit der Zugang zum BGH ist nur eröffnet, wenn der Wert, der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 EUR übersteigt (§ 26 Nr. 8 EGZPO).
Im Strafverfahren entscheidet das Maß der zu erwartenden Freiheitsstrafe über die Frage, ob Strafrichter/in, Schöffengericht oder große Strafkammer erstinstanzlich zuständig ist und damit über die Besetzung der Richterbank.
Im 2. Staatsexamen steht das Verfassen von zivilprozessualen Urteilen und Anklageschriften ganz im Vordergrund. Eine Referendarstation beim Familiengericht gilt Vielen als nicht prüfungsrelevanter Luxus. Nur in wenigen Bundesländern wird im 2. Staatsexamen überhaupt eine familienrechtliche Klausur geschrieben.[4]

Wenn es um die Verwirklichung von Kinderrechten geht, sollte die Rechtsordnung künftig genauso viele Ressourcen aufbieten, wie beim Streit um geldwerte Vermögenspositionen und bei zu erwartenden Eingriffen in Freiheitsrechte.

Verwirklichung von Kinderrechten im und durch Verfahren heißt: Soll ein Kind für mehrere Jahre seine Herkunftsfamilie verlassen und in einer Pflegefamilie leben? Soll ein Kind über Jahre gewalttätige Auseinandersetzungen seiner Eltern miterleben? Soll ein Kind seine gesamte Kindheit ohne emotionale Zuwendung, ohne geistige Förderung oder mit (unentdecktem) sexuellem Missbrauch zubringen? Soll ein Kind in einer Einrichtung fremduntergebracht werden, obwohl die Fremdunterbringung an seiner psychischen/körperlichen Situation nichts verbessert? Soll eine Mutter bis zur Volljährigkeit des Kindes alle elterliche Verantwortung und alle erzieherischen Entscheidungen an den Vater abgeben? Muss ein Kind für mehrere Jahre darauf verzichten, seinen Vater zu sehen? Diese Verfahren haben für die betroffenen Kinder existentielle, häufig sich auf das ganze weitere Leben auswirkende Bedeutung. Die Gefahr von Grundrechtsverletzungen besteht in beide Richtungen: Zu viel staatlicher Eingriff oder zu wenig/zu später staatlicher Eingriff.

Diese Kinderrechte stehen nach geltendem Recht bei der erstinstanzlichen Zuständigkeit auf einer Stufe mit Geldbeträgen bis 5.000 EUR, bei der Besetzung der Richterbank auf einer Stufe mit Bagatelldelikten, beim Zugang zum Bundesgerichtshof auf einer Stufe mit Geldbeträgen bis zu 20.000 EUR, im Referendariat kommt ihnen praktisch keine Prüfungsrelevanz zu.

[2] Bei diesem Beitrag handelt es sich um die schriftliche Fassung der Stellungnahme des Verfassers im Rahmen der öffentlichen Anhörung vor dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages am 25.9.2019 zu einem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 20.3.2019 (BT-Drucks 19/8568).
[3] Siehe auch Heilmann, FamRZ 2018, 666 ff. und ZKJ 2018, 179 ff.
[4] Lies-Benachib, FamRZ 2019, 427.

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