Vortrag bei einer Fachveranstaltung der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht im DAV im Rahmen des Deutschen Anwaltstags 2008 in Berlin.

I. Einleitung

1. Überlegungen zum Begriff der Zweckehe

Hinter dem Begriff der Zweckehe verbergen sich verschiedene Konstellationen von heterogenen Partnerschaften, nach heutigem Sprachgebrauch vor allem

  • die sog. Scheinehe, bei der eine eheliche Lebensgemeinschaft von beiden Ehepartnern von vornherein nur "zum Schein" eingegangen wird, eine eheliche Lebensgemeinschaft aber von vornherein nicht wirklich beabsichtigt ist,
  • die Ehe, die tatsächlich eine Zeitlang gemeinsam gelebt wird, bei der aber zumindest einer der Ehepartner von vornherein die Absicht hat, die Ehebande zu lösen, sobald er oder sie ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erworben hat, auch Vernunftehe genannt,
  • die Schutzehe, die nicht aus Liebe, sondern zur Verhinderung der Abschiebung des anderen Partners geschlossen wird, eine Lebensform, die i.d.R. wechselseitige Solidarität voraussetzt,
  • und die Ehe, die zwar allein aus aufenthaltsrechtlichen Gründen geschlossen wird, um ein Zusammenleben zu ermöglichen, bei der die Ehegatten aber viel lieber, ginge es nach ihrer Überzeugung, auf die Ehe verzichten würden, weil sie der Auffassung sind, dass sie der Liebe abträglich sei.

Der Kollege, Rechtsanwalt Peter Raue, der sich um den Kunstbetrieb in Berlin und der Welt große Verdienste erworben hat, hat einmal auf die Frage, ob er mit der Kunst verheiratet sei, geantwortet: "Man heiratet nicht seine Geliebte". Und in der Tat war der "Zweck" der Ehe – auch in Europa – lange Zeit nicht darin zu suchen, dass zwei Menschen sich liebten, wichtigere Kriterien waren Vermögen oder das gesellschaftliche Ansehen des Partners, die Versorgung (meistens) der Ehefrau; arrangierte Ehen waren die Regel.

Die öffentliche Bewertung des Eingehens von Schutz- bzw. Zweckehen, um ausländischen Ehepartnern einen legalen Aufenthalt in Deutschland oder Europa zu ermöglichen, ist dagegen seit Jahren eindeutig negativ und wird vor allem unter dem Aspekt der illegalen Einwanderung diskutiert. Das war nicht immer so. Es ist eine Frage der Perspektive:

  • Rosa Luxemburg, eine Polin, heiratete einen deutschen Staatsangehörigen, um die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben,
  • Ehepartner, die im Ausland Schutzehen eingingen, um der Verfolgung durch das Naziregime zu entgehen, wurden daraus zu keinem Zeitpunkt Vorwürfe gemacht, im Gegenteil: die ausländischen Ehepartner wurden für ihre Unterstützung geehrt,
  • die Eheschließung mit Angehörigen westlicher Staaten, z.B. zum Zwecke der Ausreise aus der DDR oder anderen Staaten des ehemaligen Ostblocks wurde eindeutig positiv bewertet und als ein Schritt auf dem Weg in die Freiheit verstanden, für den man selbstverständlich Verständnis hatte und die unter dem Schutz von Art. 6 GG stand,
  • und auch bei der reinen Versorgungsehe oder der Ehe auf dem Sterbebett spricht niemand vom Missbrauch.

Anders die Situation der binationalen Ehen heute:

Sie sehen sich häufig unter dem Generalverdacht, ihre Heirat sei missbräuchlich erfolgt, allein aus aufenthaltsrechtlichen Gründen und bezwecke letztendlich die Zuwanderung in unsere Sozialsysteme. Der Verdacht richtet sich dabei nicht nur gegen den ausländischen Ehepartner als solchen, sondern vor allem gegen den mit der Eheschließung vom ausländischen Ehepartner möglicherweise beabsichtigten Familiennachzug der eigentlichen Familie aus dem Herkunftsland. In einer Einschätzung der deutschen Botschaft in Ankara zu einem aktuell beabsichtigten Familiennachzug liest sich das z.B. so:

"Außerdem ist mir aufgefallen, dass sogar die Eltern der Referenz (also der Deutschen mit Migrationshintergrund) im Zuge der schleichenden Migration ins Bundesgebiet eingesickert sind." Hintergrund ist ein aktuell beabsichtigter Familiennachzug, bei dem der Vater einer inzwischen deutschen Staatsangehörigen in den siebziger Jahren eine deutsche Staatsangehörige geheiratet hatte, mit der er neun Jahre lang verheiratet gewesen war.

Dabei ist zu betonen: Solange die Eheleute tatsächlich beabsichtigen, in einer ehelichen Lebensgemeinschaft zu leben bzw. in ihr leben, kann nach geltender Rechtslage von einem Missbrauch keine Rede sein. Auch wenn z.B. einer der Ehepartner offen bekennen würde, dass die Ehe nicht aus Liebe, sondern zur Verhinderung der Abschiebung des anderen Partners geschlossen wurde, so wäre dies weder ein Missbrauch, noch eine Zweckentfremdung der Ehe, so lange eine Lebensgemeinschaft tatsächlich beabsichtigt ist bzw. gelebt wird.

2. Politische Instrumentalisierung des Begriffs der Zweckehe zur Begrenzung der Zuwanderung

Tatsächlich geht es bei der ganzen Diskussion also ehrlicherweise nicht um die Bekämpfung von offensichtlichem Missbrauch, sondern vor allem um Begrenzung der Zuwanderung, und zwar insbesondere aus Armutsländern oder Schichten mit niedrigem sozialen Stand, sei es aus Afrika, Asien, Indien, Pakistan oder Anatolien, aber auch aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Und es handelt sich dabei nicht um ein spezifisch deutsches Problem. Es existiert europaweit und spielt eine Rolle im Rahmen der Abschottungspolitik bei der Gestaltung ...

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