Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats. Dienstleistungen im Binnenmarkt. Beschränkungen von multidisziplinären Tätigkeiten der Buchhalter

 

Normenkette

AEUV Art. 49; Richtlinie 2006/123/EG Art. 25 Abs. 1-2

 

Beteiligte

Kommission / Belgien (Comptables)

Europäische Kommission

Königreich Belgien

 

Tenor

1. Das Königreich Belgien hat gegen seine Verpflichtungen aus Art. 25 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt und aus Art. 49 AEUV verstoßen, indem es die gemeinschaftliche Ausübung von Buchhaltertätigkeiten auf der einen und von Tätigkeiten des Versicherungsmaklers oder -agenten, des Immobilienmaklers oder jeglicher Tätigkeit im Bank- oder Finanzdienstleistungsbereich auf der anderen Seite verboten hat und den Kammern des Berufsinstituts der zugelassenen Buchhalter und Fiskalisten gestattet hat, die gemeinschaftliche Ausübung von Buchhaltertätigkeiten auf der einen und jeglicher handwerklicher, landwirtschaftlicher oder gewerblicher Tätigkeit auf der anderen Seite zu verbieten.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Das Königreich Belgien trägt neben seinen eigenen Kosten die der Europäischen Kommission entstandenen Kosten.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 8. Juni 2018,

Europäische Kommission, vertreten durch H. Tserepa-Lacombe und L. Malferrari als Bevollmächtigte,

Klägerin,

gegen

Königreich Belgien, vertreten durch L. Van den Broeck, M. Jacobs und C. Pochet als Bevollmächtigte im Beistand von C. Smits und D. Grisay, avocats, sowie von M. Vossen, G. Lievens und F. Haemers,

Beklagter,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras, der Richter S. Rodin (Berichterstatter) und D. Šváby, der Richterin K. Jürimäe sowie des Richters N. Piçarra,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: V. Giacobbo-Peyronnel, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 23. Mai 2019,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. Oktober 2019

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission die Feststellung, dass das Königreich Belgien gegen seine Verpflichtungen aus Art. 25 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. 2006, L 376, S. 36) und aus Art. 49 AEUV verstoßen hat, indem es die gemeinschaftliche Ausübung von Buchhaltertätigkeiten auf der einen und von Tätigkeiten des Versicherungsmaklers oder -agenten, des Immobilienmaklers oder jeglicher Tätigkeit im Bank- oder Finanzdienstleistungsbereich auf der anderen Seite verboten hat und den Kammern des Berufsinstituts der zugelassenen Buchhalter und Fiskalisten (im Folgenden: BIBF) gestattet hat, die gemeinschaftliche Ausübung von Buchhaltertätigkeiten auf der einen und jeglicher handwerklicher, landwirtschaftlicher oder gewerblicher Tätigkeit auf der anderen Seite zu verbieten.

I. Rechtlicher Rahmen

A. Unionsrecht

Rz. 2

Die Erwägungsgründe 97 und 101 der Richtlinie 2006/123 lauten:

„(97) Es ist erforderlich, in diese Richtlinie bestimmte Vorschriften zur Gewährleistung einer hohen Qualität der Dienstleistungen, insbesondere in Bezug auf Informations- und Transparenzerfordernisse, aufzunehmen. Diese Vorschriften sollten sowohl für die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen zwischen Mitgliedstaaten als auch für Dienstleistungen, die in einem Mitgliedstaat von einem dort niedergelassenen Anbieter erbracht werden, gelten, ohne dass KMU vermeidbare Belastungen auferlegt werden. Diese Vorschriften sollten die Mitgliedstaaten in keiner Weise daran hindern, in Übereinstimmung mit dieser Richtlinie und anderem Gemeinschaftsrecht zusätzliche oder andere Qualitätsanforderungen zu stellen.

(101) Es ist erforderlich und im Interesse der Dienstleistungsempfänger, insbesondere der Verbraucher, sicherzustellen, dass die Dienstleistungserbringer die Möglichkeit haben, multidisziplinäre Dienstleistungen anzubieten, und dass die diesbezüglichen Beschränkungen auf das begrenzt werden, was erforderlich ist, um die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit sowie die Integrität der reglementierten Berufe zu gewährleisten. Hiervon unberührt bleiben solche Beschränkungen oder Verbote, besondere Tätigkeiten auszuführen, mit denen die Unabhängigkeit in Fällen sichergestellt werden soll, in denen ein Mitgliedstaat einen Dienstleistungserbringer mit einer besonderen Aufgabe, insbesondere im Bereich der Stadtentwicklung, betraut; ferner sollte dies nicht die Anwendung von Wettbewerbsvorschriften berühren.”

Rz. 3

Art. 25 („Multidisziplinäre Tätigkeiten”) dieser Richtlinie bestimmt:

„(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Dienstleistungserbringer keinen Anforderungen unterworfen werden, die sie verpflichten, ausschließlich eine bestimmte Tätigkeit auszuüben, oder die die gemeinschaftliche...

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