Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats. Art. 43 EG. Niederlassungsfreiheit. Notare. Staatsangehörigkeitsvoraussetzung. Art. 45 EG. Teilhabe an der Ausübung öffentlicher Gewalt. Richtlinie 89/48/EWG

 

Beteiligte

Kommission / Belgien

Europäische Kommission

Königreich Belgien

 

Tenor

1. Das Königreich Belgien hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 43 EG verstoßen, dass es für den Zugang zum Beruf des Notars eine Staatsangehörigkeitsvoraussetzung aufgestellt hat.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Europäische Kommission, das Königreich Belgien, die Tschechische Republik, die Französische Republik, die Republik Lettland, die Republik Litauen, die Republik Ungarn, die Slowakische Republik und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland tragen ihre eigenen Kosten.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 226 EG, eingereicht am 11. Februar 2008,

Europäische Kommission, vertreten durch J.-P. Keppenne, H. Støvlbæk und G. Zavvos als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

unterstützt durch

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch S. Ossowski als Bevollmächtigten,

Streithelfer,

gegen

Königreich Belgien, vertreten durch C. Pochet und L. Van den Broeck als Bevollmächtigte im Beistand von H. Gilliams und L. Goossens, avocats,

Beklagter,

unterstützt durch

Tschechische Republik, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,

Französische Republik, vertreten durch G. de Bergues und B. Messmer als Bevollmächtigte,

Republik Lettland, vertreten durch L. Ostrovska, K. Drēviņa und J. Barbale als Bevollmächtigte,

Republik Litauen, vertreten durch D. Kriaučiūnas als Bevollmächtigten,

Republik Ungarn, vertreten durch J. Fazekas, R. Somssich, K. Veres und M. Fehér als Bevollmächtigte,

Slowakische Republik, vertreten durch J. Čorba und B. Ricziová als Bevollmächtigte,

Streithelferinnen,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts, J.-C. Bonichot, A. Arabadjiev (Berichterstatter) und J.-J. Kasel sowie der Richterin R. Silva de Lapuerta, der Richter E. Juhász, G. Arestis und M. Ilešič, der Richterin C. Toader und des Richters M. Safjan,

Generalanwalt: P. Cruz Villalón,

Kanzler: M.-A. Gaudissart, Referatsleiter,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. April 2010,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. September 2010

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Mit ihrer Klage beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den Art. 43 EG und 45 EG und der Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen (ABl. 1989, L 19, S. 16), in der durch die Richtlinie 2001/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2001 (ABl. L 206, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 89/48) verstoßen hat, dass es für den Zugang zum Beruf des Notars eine Staatsangehörigkeitsvoraussetzung aufgestellt und die Richtlinie 89/48 für diesen Beruf nicht umgesetzt hat.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 2

Im zwölften Erwägungsgrund der Richtlinie 89/48 hieß es: „Die allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome präjudiziert in keiner Weise die Anwendung von Artikel [45 EG].”

Rz. 3

Art. 2 der Richtlinie 89/48 lautete:

„Diese Richtlinie gilt für alle Angehörigen eines Mitgliedstaats, die als Selbständige oder abhängig Beschäftigte einen reglementierten Beruf in einem anderen Mitgliedstaat ausüben wollen.

Diese Richtlinie gilt nicht für die Berufe, die Gegenstand einer Einzelrichtlinie sind, mit der in den Mitgliedstaaten eine gegenseitige Anerkennung der Diplome eingeführt wird.”

Rz. 4

Der Notarberuf ist nicht Gegenstand einer Regelung der in Art. 2 Abs. 2 genannten Art.

Rz. 5

Die Richtlinie 89/48 sah eine Umsetzungsfrist vor, die nach ihrem Art. 12 am 4. Januar 1991 ablief.

Rz. 6

Durch Art. 62 der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl. L 255, S. 22) wurde die Richtlinie 89/48 mit Wirkung vom 20. Oktober 2007 aufgehoben.

Rz. 7

Nach dem 41. Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/36 „berührt [sie] nicht die Anwendung des Artikels 39 Absatz 4 [EG] und des Artikels 45 [EG], insbesondere auf Notare”.

Nationales Recht

Allgemeine Ausgestaltung des Notarberufs

Rz. 8

Die Notare üben ihre Tätigkeiten nach der belgischen Rechtsordnung freiberuflich aus. Der belgische Notarberuf wird durch das Gesetz vom 25. Ventôse des Jahres XI zur Organisierung des Notariats in der Fassung des Gesetzes vom 4. Mai 1999 (im Folgenden: Notariatsgesetz) geregelt.

Rz. 9

Nach Art. 1 Abs. 1 dieses Gesetzes sind Notare „öffentliche Beamte, die angestellt sind, alle Urkund...

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