Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Asyl und Einwanderung. Illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältiger Flüchtling. Inhaftnahme zum Zweck der Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat. Flüchtlingseigenschaft in dem anderen Mitgliedstaat. Grundsatz der Nichtzurückweisung. Nichtvorliegen einer Rückkehrentscheidung. Anwendbarkeit der Richtlinie 2008/115

 

Normenkette

Richtlinie 2008/115/EG Art. 3-4, 6, 15; Richtlinie 2008/115

 

Beteiligte

M u.a. (Transfert vers un État membre)

M

A

Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid

Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid

T

 

Tenor

Die Art. 3, 4, 6 und 15 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger sind dahin auszulegen, dass sie einen Mitgliedstaat nicht daran hindern, einen illegal in seinem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen in Verwaltungshaft zu nehmen, um seine zwangsweise Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat vorzunehmen, in dem ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, wenn sich der Drittstaatsangehörige geweigert hat, der ihm erteilten Anordnung, sich in den anderen Mitgliedstaat zu begeben, Folge zu leisten, und ihm gegenüber keine Rückkehrentscheidung erlassen werden kann.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Raad van State (Staatsrat, Niederlande) mit Entscheidung vom 4. September 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 11. September 2019, in dem Verfahren

M,

A,

Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid

gegen

Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid,

T

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan, des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Fünften Kammer sowie der Richter M. Ilešič, C. Lycourgos (Berichterstatter) und I. Jarukaitis,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Juli 2020,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von M, vertreten durch A. Khalaf und H. Postma, advocaten,
  • von T, vertreten durch J. van Mulken, advocaat,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman, P. Huurnink und C. S. Schillemans als Bevollmächtigte,
  • der estnischen Regierung, vertreten durch N. Grünberg als Bevollmächtigte,
  • der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga und G. Wils als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. Oktober 2020

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 3, 4, 6 und 15 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2008, L 348, S. 98).

Rz. 2

Das Ersuchen ergeht im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen M, A und T auf der einen und dem Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid (Staatssekretär für Justiz und Sicherheit, im Folgenden: Staatssekretär) auf der anderen Seite wegen eines etwaigen Ersatzes für den durch ihre Inhaftnahme zum Zweck ihrer Überstellung aus den Niederlanden in einen anderen Mitgliedstaat entstandenen Schaden.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2008/115

Rz. 3

Die Erwägungsgründe 2, 4 und 5 der Richtlinie 2008/115 lauten:

„(2) Auf seiner Tagung am 4. und 5. November 2004 in Brüssel forderte der Europäische Rat zur Festlegung einer wirksamen Rückkehr- und Rückübernahmepolitik auf, die auf gemeinsamen Normen beruht, die gewährleisten, dass die betreffenden Personen unter vollständiger Achtung der Grundrechte auf menschenwürdige Weise zurückgeführt werden.

(4) Eine wirksame Rückkehrpolitik als notwendiger Bestandteil einer gut geregelten Migrationspolitik muss mit klaren, transparenten und fairen Vorschriften unterlegt werden.

(5) Mit dieser Richtlinie sollte eine Reihe von horizontalen Vorschriften eingeführt werden, die für sämtliche Drittstaatsangehörige gelten, die die Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt nicht oder nicht mehr erfüllen.”

Rz. 4

Art. 1 der Richtlinie 2008/115 bestimmt:

„Diese Richtlinie enthält gemeinsame Normen und Verfahren, die in den Mitgliedstaaten bei der Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Einklang mit den Grundrechten als allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschafts- und des Völkerrechts, einschließlich der Verpflichtung zum Schutz von Flüchtlingen und zur Achtung der Menschenrechte, anzuwenden sind.”

Rz. 5

Art. 2 der Richtlinie 2008/115 sieht vor:

„(1) Diese Richtlinie findet Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige.

(2) Die Mitgliedstaate...

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