Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Staatliche Beihilfen. Bestehende Beihilfen und neue Beihilfen. Einstufung. Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Anwendbarkeit. Beihilfen, die vor der Liberalisierung eines ursprünglich dem Wettbewerb entzogenen Marktes eingeführt wurden. Schadensersatzklage eines Wettbewerbers der von den Beihilfen begünstigten Gesellschaft gegen den Mitgliedstaat

 

Normenkette

EGV Nr. 659/1999, Art. 1 Buchst. b Ziff. iv; EGV Nr. 659/1999, Art. 1 Buchst. b Ziff. v

 

Beteiligte

Fallimento Traghetti del Mediterraneo SpA

Presidenza del Consiglio dei Ministri

Fallimento Traghetti del Mediterraneo SpA

 

Tenor

1. Zuschüsse wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die einem Unternehmen vor der Liberalisierung des betreffenden Marktes gewährt wurden, können, wenn sie geeignet waren, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und den Wettbewerb zu verfälschen oder zu verfälschen zu drohen, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist, nicht allein aus dem Grund als bestehende Beihilfen eingestuft werden, dass dieser Markt zum Zeitpunkt ihrer Gewährung nicht förmlich liberalisiert war.

2. Art. 1 Buchst. b Ziff. iv der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel [108 AEUV] ist dahin auszulegen, dass er auf eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht anwendbar ist.Soweit die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zuschüsse unter Verstoß gegen die in Art. 93 des EWG-Vertrags bestimmte Pflicht zur vorherigen Anmeldung gewährt wurden, können sich die staatlichen Behörden nicht auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen. In einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, in der ein Wettbewerber der begünstigten Gesellschaft eine Schadensersatzklage gegen den Mitgliedstaat erhoben hat, darf nach dem Grundsatz der Rechtssicherheit dem Kläger nicht in entsprechender Anwendung eine Verjährungsfrist wie die in Art. 15 Abs. 1 dieser Verordnung festgesetzte entgegengehalten werden.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien) mit Entscheidung vom 10. April 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Juni 2017, in dem Verfahren

Presidenza del Consiglio dei Ministri

gegen

Fallimento Traghetti del Mediterraneo SpA

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Vizepräsidentin des Gerichtshofs R. Silva de Lapuerta in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer sowie der Richter A. Arabadjiev (Berichterstatter), E. Regan, C. G. Fernlund und S. Rodin,

Generalanwalt: N. Wahl,

Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. Juni 2018,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Fallimento Traghetti del Mediterraneo SpA, vertreten durch M. Contaldi, P. Canepa, V. Roppo und S. Sardano, avvocati,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. De Bellis, avvocato dello Stato,
  • der französischen Regierung, vertreten durch J. Bousin, P. Dodeller, D. Colas und R. Coesme als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Stancanelli und D. Recchia als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. September 2018

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Buchst. b Ziff. iv und v der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel [108 AEUV] (ABl. 1999, L 83, S. 1), Art. 93 Abs. 3 des EWG-Vertrags (nach Änderung Art. 88 Abs. 3 EG, jetzt Art. 108 Abs. 3 AEUV) sowie der Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes.

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Presidenza del Consiglio dei Ministri (Präsidentschaft des Ministerrats, Italien) und der Fallimento Traghetti del Mediterraneo SpA (im Folgenden: FTDM) über eine Klage auf Ersatz des Schadens, der dieser Gesellschaft nach ihrem Vorbringen durch die in den Jahren 1976 bis 1980 erfolgte Gewährung von Zuschüssen an die Tirrenia di Navigazione SpA (im Folgenden: Tirrenia), ein mit FTDM im Wettbewerb stehendes Unternehmen, entstanden ist.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 1 „Definitionen”) der Verordnung Nr. 659/1999 bestimmte:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

b) ‚bestehende Beihilfen’

iv) Beihilfen, die gemäß Artikel 15 als bereits bestehende Beihilfen gelten;

v) Beihilfen, die als bestehende Beihilfen gelten, weil nachgewiesen werden kann, dass sie zu dem Zeitpunkt, zu dem sie eingeführt wurden, keine Beihilfe waren und später aufgrund der Entwicklung des Gemeinsamen Marktes zu Beihilfen wurden, ohne dass sie eine Änderung durch den betreffenden Mitgliedstaat erfahren haben. Werden bestimmte Maßnahmen im Anschluss an ...

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