Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorabentscheidungsersuchen. Verkehr. Gültigkeit. Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Führerschein. Körperliche und geistige Tauglichkeit zum Führen eines Kraftfahrzeugs. Mindestanforderungen. Sehschärfe. Gleichbehandlung. Keine Möglichkeit einer Ausnahme. Verhältnismäßigkeit

 

Normenkette

Richtlinie 2006/126/EG; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 20, 21 Abs. 1, Art. 26

 

Beteiligte

Glatzel

Wolfgang Glatzel

Freistaat Bayern

 

Tenor

Die Prüfung der Vorlagefrage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit von Anhang III Nr. 6.4 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein in der durch die Richtlinie 2009/113/EG der Kommission vom 25. August 2009 geänderten Fassung im Hinblick auf Art. 20, Art. 21 Abs. 1 oder Art. 26 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union beeinträchtigen könnte.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 5. Juli 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Juli 2012, in dem Verfahren

Wolfgang Glatzel

gegen

Freistaat Bayern

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz sowie der Richter E. Juhász, A. Rosas (Berichterstatter), D. Šváby und C. Vajda,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. Juni 2013,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Herrn Glatzel, vertreten durch Rechtsanwalt E. Giebler,
  • des Freistaats Bayern, vertreten durch M. Niese als Bevollmächtigten,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und K. Petersen als Bevollmächtigte,
  • des Europäischen Parlaments, vertreten durch A. Troupiotis und P. Schonard als Bevollmächtigte,
  • des Rates der Europäischen Union, vertreten durch E. Karlsson, R. Wiemann und Z. Kupčová als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Braun und J. Hottiaux als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 18. Juli 2013

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Vereinbarkeit von Anhang III Nr. 6.4 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (ABl. L 403, S. 18) in der durch die Richtlinie 2009/113/EG der Kommission vom 25. August 2009 (ABl. L 223, S. 31) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2006/126) mit Art. 20, Art. 21 Abs. 1 und Art. 26 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) in Bezug auf die Mindestanforderungen an die körperliche Tauglichkeit zum Führen eines Kraftfahrzeugs, soweit sie das Sehvermögen berühren.

Rz. 2

Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Glatzel und dem Freistaat Bayern wegen einer Entscheidung, mit der Herrn Glatzel die Erteilung einer Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Klassen C1 und C1E im Sinne der Richtlinie 2006/126 deswegen versagt wurde, weil das Sehvermögen, über das er auf seinem schlechteren Auge verfügt, nicht das in Anhang III Nr. 6.4 dieser Richtlinie geforderte Mindestniveau erreicht.

Rechtlicher Rahmen

Völkerrecht

Rz. 3

Im Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, das mit dem Beschluss 2010/48/EG des Rates vom 26. November 2009 (ABl. 2010, L 23, S. 35) im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt wurde (im Folgenden: VN-Übereinkommen), heißt es in Buchst. e der Präambel:

„Die Vertragsstaaten dieses Übereinkommens

in der Erkenntnis, dass das Verständnis von Behinderung sich ständig weiterentwickelt und dass Behinderung aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren entsteht, die sie an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern”.

Rz. 4

Art. 1 („Zweck”) dieses Übereinkommens lautet:

„Zweck dieses Übereinkommens ist es, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern.

Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.”

Rz. 5

In Art. 2 („Begriffsbestimmungen”) des VN-Übereinkommens heißt es:

„Im Sinne dieses Übereinkommens

bedeutet ‚Diskriminierung aufgrund von Behinderung’ jede Unterscheidung, Ausschließung oder Beschränkung aufgrund von Behinderung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass das auf die Gleichberechtigung mit anderen gegründete Anerkennen, Genießen oder Ausüben aller Menschenrechte und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftli...

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