Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Rechtlicher Schutz biotechnologischer Erfindungen. Parthenogenetische Aktivierung von Oozyten. Bildung von menschlichen embryonalen Stammzellen. Patentierbarkeit. Ausschluss der ‚Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken’. Begriffe ‚menschlicher Embryo’ und ‚Organismus, der geeignet ist, den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen’

 

Normenkette

Richtlinie 98/44/EG Art. 6 Abs. 2 Buchst. c

 

Beteiligte

International Stem Cell

International Stem Cell Corporation

Comptroller General of Patents, Designs and Trade Marks

 

Tenor

Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen ist dahin auszulegen, dass eine unbefruchtete menschliche Eizelle, die im Wege der Parthenogenese zur Teilung und Weiterentwicklung angeregt worden ist, kein „menschlicher Embryo” im Sinne dieser Bestimmung ist, wenn sie als solche im Licht der gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht die inhärente Fähigkeit hat, sich zu einem Menschen zu entwickeln; dies zu prüfen ist Sache des nationalen Gerichts.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division (Patents Court) (Vereinigtes Königreich), mit Entscheidung vom 17. April 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Juni 2013, in dem Verfahren

International Stem Cell Corporation

gegen

Comptroller General of Patents, Designs and Trade Marks

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, des Vizepräsidenten K. Lenaerts, des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten M. Ilešič und C. Vajda, der Richter A. Rosas, A. Borg Barthet und J. Malenovský, der Richterin C. Toader sowie der Richter M. Safjan (Berichterstatter), D. Šváby und F. Biltgen,

Generalanwalt: P. Cruz Villalón,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. April 2014,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der International Stem Cell Corporation, vertreten durch P. Acland, QC, und A. Cooke, Solicitor,
  • der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Brighouse als Bevollmächtigte im Beistand von T. Mitcheson, Barrister,
  • der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und F.-X. Bréchot als Bevollmächtigte,
  • der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
  • der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes und R. Solnado Cruz als Bevollmächtigte,
  • der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Falk, L. Swedenborg und C. Meyer-Seitz als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch F. W. Bulst, J. Samnadda und T. van Rijn als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. Juli 2014

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen (ABl. L 213, S. 13).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der International Stem Cell Corporation (im Folgenden: ISCO) und dem Comptroller General of Patents, Designs and Trade Marks (im Folgenden: Comptroller) wegen der Zurückweisung der Anmeldung nationaler Patente mit der Begründung, dass die mit der parthenogenetischen Aktivierung von Oozyten zusammenhängenden Anmeldungen die Verwendung von „menschlichen Embryonen” im Sinne der Richtlinie 98/44 beträfen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Die Erwägungsgründe 1 bis 3, 16, 37 bis 39, 42 und 43 der Richtlinie 98/44 lauten:

„(1) Biotechnologie und Gentechnik spielen in den verschiedenen Industriezweigen eine immer wichtigere Rolle, und dem Schutz biotechnologischer Erfindungen kommt grundlegende Bedeutung für die industrielle Entwicklung der Gemeinschaft zu.

(2) Die erforderlichen Investitionen zur Forschung und Entwicklung sind insbesondere im Bereich der Gentechnik hoch und risikoreich und können nur bei angemessenem Rechtsschutz rentabel sein.

(3) Ein wirksamer und harmonisierter Schutz in allen Mitgliedstaaten ist wesentliche Voraussetzung dafür, dass Investitionen auf dem Gebiet der Biotechnologie fortgeführt und gefördert werden.

(16) Das Patentrecht muss unter Wahrung der Grundprinzipien ausgeübt werden, die die Würde und die Unversehrtheit des Menschen gewährleisten. Es ist wichtig, den Grundsatz zu bekräftigen, wonach der menschliche Körper in allen Phasen seiner Entstehung und Entwicklung, einschließlich der Keimzellen, sowie die bloße Entdeckung eines seiner Bestandteile oder seiner Produkte, einschließlich der Sequenz oder Teilsequenz eines menschlichen Gens, nicht patentierbar sind. Diese Prinzipie...

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