Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Selbständige Handelsvertreter. Provision des Handelsvertreters. Teilweise Nichtausführung des Vertrags zwischen dem Dritten und dem Unternehmer. Auswirkungen auf den Provisionsanspruch. Begriff ‚Umstände, die vom Unternehmer zu vertreten sind’

 

Normenkette

Richtlinie 86/653/EWG Art. 11

 

Beteiligte

ERGO Poisťovňa

ERGO Poisťovňa a.s

Alžbeta Barlíková

 

Tenor

1. Art. 11 Abs. 1 erster Gedankenstrich der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter ist dahin auszulegen, dass er sich nicht nur auf Fälle der vollständigen Nichtausführung des Vertrags zwischen dem Unternehmer und dem Dritten bezieht, sondern auch auf Fälle der teilweisen Nichtausführung dieses Vertrags, wie etwa das Nichterreichen des vertraglich vorgesehenen Geschäftsumfangs oder der vorgesehenen Laufzeit.

2. Art. 11 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 86/653 ist dahin auszulegen, dass eine Klausel des Handelsvertretervertrags, wonach der Vertreter im Fall der teilweisen Nichtausführung des Vertrags zwischen dem Unternehmer und dem Dritten zur anteiligen Rückzahlung seiner Provision verpflichtet ist, keine „Abweichung zum Nachteil des Handelsvertreters” im Sinne von Art. 11 Abs. 3 dieser Richtlinie darstellt, wenn der der Rückzahlungspflicht unterliegende Anteil der Provision im Verhältnis zum Ausmaß der Nichtausführung des Vertrags steht und diese Nichtausführung nicht auf Umständen beruht, die vom Unternehmer zu vertreten sind.

3. Art. 11 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 86/653 ist dahin auszulegen, dass sich der Begriff „Umstände, die vom Unternehmer zu vertreten sind” nicht nur auf Rechtsgründe bezieht, die unmittelbar zur Beendigung des Vertrags zwischen dem Unternehmer und dem Dritten geführt haben, sondern auf alle vom Unternehmer zu vertretenden rechtlichen und tatsächlichen Umstände, auf denen die Nichtausführung des Vertrags beruht.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Okresný súd Dunajská Streda (Bezirksgericht Dunajská Streda, Slowakei) mit Entscheidung vom 23. November 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Januar 2016, in dem Verfahren

ERGO Poisťovňa a.s.

gegen

Alžbeta Barlíková

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz sowie der Richter E. Juhász und C. Vajda, der Richterin K. Jürimäe (Berichterstatterin) und des Richters C. Lycourgos,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der slowakischen Regierung, vertreten durch B. Ricziová als Bevollmächtigte,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und M. Hellmann als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch K.-P. Wojcik, A. Tokár und L. Malferrari als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 12. Januar 2017

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 11 der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (ABl. 1986, L 382, S. 17).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der ERGO Poisťovňa a.s. (im Folgenden: ERGO) und Frau Alžbeta Barlíková wegen eines von ERGO gegen Frau Barlíková geltend gemachten Anspruchs auf Zahlung eines Betrags von 11 421,42 Euro als Rückerstattung von Provisionen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Die Erwägungsgründe 2 und 3 der Richtlinie 86/653 lauten:

„Die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Handelsvertretungen beeinflussen die Wettbewerbsbedingungen und die Berufsausübung innerhalb der [Europäischen Union] spürbar und beeinträchtigen den Umfang des Schutzes der Handelsvertreter in ihren Beziehungen zu ihren Unternehmen sowie die Sicherheit im Handelsverkehr. Diese Unterschiede erschweren im Übrigen auch erheblich den Abschluss und die Durchführung von Handelsvertreterverträgen zwischen einem Unternehmer und einem Handelsvertreter, die in verschiedenen Mitgliedstaaten niedergelassen sind.

Der Warenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten muss unter Bedingungen erfolgen, die denen eines Binnenmarktes entsprechen, weswegen die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten in dem zum guten Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderlichen Umfang angeglichen werden müssen. Selbst vereinheitlichte Kollisionsnormen auf dem Gebiet der Handelsvertretung können die erwähnten Nachteile nicht beseitigen und lassen daher einen Verzicht auf die vorgeschlagene Harmonisierung nicht zu.”

Rz. 4

Art. 1 Abs. 2 dieser Richtlinie bestimmt:

„Handelsvertreter im Sinne dieser Richtlinie ist, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für eine andere Person (im Folgenden Unternehmer genannt) den Verkauf...

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