Entscheidungsstichwort (Thema)

ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WUERTTEMBERG – DEUTSCHLAND. FREIER WARENVERKEHR – APOTHEKENUEBLICHE WAREN – VERBOT DER WERBUNG AUSSERHALB DER APOTHEKE. 1. Freier Warenverkehr ° Mengenmässige Beschränkungen ° Maßnahmen gleicher Wirkung ° Begriff ° Maßnahmen, die von einer Standesorganisation des Apothekensektors erlassen wurden (EWG-Vertrag, Artikel 30). 2. Freier Warenverkehr ° Mengenmässige Beschränkungen ° Maßnahmen gleicher Wirkung ° Begriff ° Hemmnisse, die sich aus nationalen Vorschriften ergeben, die die Verkaufsmodalitäten in nicht diskriminierender Weise regeln ° Unanwendbarkeit des Artikels 30 EWG-Vertrag ° Verbot der Werbung ausserhalb der Apotheke für apothekenübliche Waren (EWG-Vertrag, Artikel 30)

 

Leitsatz (amtlich)

1. Maßnahmen einer Standesorganisation des Apothekensektors stellen, wenn sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinflussen können, „Maßnahmen” im Sinne von Artikel 30 EWG-Vertrag dar, sofern nach nationalem Recht

  • ° diese Organisation eine der staatlichen Aufsicht unterstehende Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, der alle Apotheker, die in ihrem Zuständigkeitsbereich ihren Beruf ausüben, zwangsläufig angehören;
  • ° die Organisation die für die Apotheker geltenden Standesregeln erlässt und die Erfüllung der Berufspflichten durch ihre Mitglieder überwacht;
  • ° bei dieser Organisation gebildete Berufsgerichte, denen auf Vorschlag der Organisation bestellte Mitglieder angehören, gegenüber den Apothekern, die gegen die Standesregeln verstossen haben, Disziplinarmaßnahmen wie Geldbussen, Aberkennung der Mitgliedschaft in den Organen der Organisation oder Aberkennung des Wahlrechts und der Wählbarkeit in die Organe der Organisation verhängen können.

2. Die Anwendung nationaler Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten ist nicht geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, und stellt somit keine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Beschränkung im Sinne von Artikel 30 EWG-Vertrag dar, sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so ist die Anwendung derartiger Regelungen auf den Verkauf von Erzeugnissen aus einem anderen Mitgliedstaat, die den von diesem Staat aufgestellten Bestimmungen entsprechen, nicht geeignet, den Marktzugang für diese Erzeugnisse zu versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse tut. Diese Regelungen fallen daher nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 30.

Daraus folgt, daß Artikel 30 EWG-Vertrag dahin auszulegen ist, daß er nicht auf eine von einer Apothekerkammer eines Mitgliedstaats erlassene Standesregel anwendbar ist, die allen Apothekern im Zuständigkeitsbereich der Kammer die Werbung ausserhalb der Apotheke für apothekenübliche Waren, die sie zum Verkauf anbieten dürfen, verbietet, sofern diese Regelung, die ohne nach der Herkunft der betreffenden Waren zu unterscheiden gilt, den Absatz der Waren aus anderen Mitgliedstaaten nicht in anderer Weise als den der inländischen Waren berührt.

 

Normenkette

EWGVtr Art. 30

 

Beteiligte

Ruth Hünermund und andere

Landesapothekerkammer Baden-Württemberg

 

Tenor

Artikel 30 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß er nicht auf eine von der Apothekerkammer eines Mitgliedstaats erlassene Standesregel anwendbar ist, die den Apothekern die Werbung ausserhalb der Apotheke für apothekenübliche Waren verbietet.

 

Gründe

1 Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat mit Beschluß vom 14. Mai 1992, beim Gerichtshof eingegangen am 1. Juli 1992, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt, um beurteilen zu können, ob eine von der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg erlassene Standesregel mit diesen Vorschriften vereinbar ist, die den Apothekern, die im Land Baden-Württemberg ihren Beruf ausüben, die Werbung ausserhalb der Apotheke für apothekenübliche Waren, die sie zum Verkauf anbieten dürfen, verbietet.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen dreizehn Apothekern im Land Baden-Württemberg und der Landesapothekerkammer über die Rechtmässigkeit dieser Standesregel.

3 Aus den dem Gerichtshof übersandten Akten ergibt sich, daß § 10 Nr. 15 der Berufsordnung der Landesapothekerkammer die „übertriebene Werbung” für die Waren verbietet, die gemäß § 2 Absatz 4 in Verbindung mit § 25 der Apothekenbetriebsordnung neben den Arzneimitteln in der Apotheke verkauft werden dürfen, soweit dadurch der ordnungsgemässe Betrieb der Apotheke nicht beeinträchtigt wird. Es steht fest, daß diese Vorschrift der Berufsordnung praktisch jede Form der Werb...

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