Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren. Verfahrenssprache. Strafbefehl, mit dem eine Geldstrafe verhängt wird. Einspruchsmöglichkeit in einer anderen als der Verfahrenssprache. Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren. Recht auf Unterrichtung über den Tatvorwurf. Zustellung eines Strafbefehls. Modalitäten. Verpflichtung des Beschuldigten zur Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten. Lauf der Einspruchsfrist ab der Zustellung an den Zustellungsbevollmächtigten

 

Normenkette

EURL 64/2010; EURL 13/2012

 

Beteiligte

Covaci

Gavril Covaci

 

Tenor

1. Die Art. 1 bis 3 der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, nach der es im Rahmen eines Strafverfahrens dem Beschuldigten, an den ein Strafbefehl gerichtet wird, nicht gestattet ist, gegen den Strafbefehl in einer anderen als der Verfahrenssprache schriftlich Einspruch einzulegen, auch wenn er dieser Sprache nicht mächtig ist, nicht entgegenstehen, sofern die zuständigen Behörden nicht gemäß Art. 3 Abs. 3 dieser Richtlinie der Auffassung sind, dass der Einspruch im Hinblick auf das betreffende Verfahren und die Umstände des Einzelfalls ein wesentliches Dokument darstellt.

2. Art. 2, Art. 3 Abs. 1 Buchst. c und Art. 6 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2012/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren sind dahin auszulegen, dass sie einer Rechtsvorschrift eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, nach der ein im Rahmen eines Strafverfahrens Beschuldigter, der in diesem Mitgliedstaat keinen Wohnsitz hat, für die Zustellung eines an ihn gerichteten Strafbefehls einen Zustellungsbevollmächtigten benennen muss, nicht entgegenstehen, sofern der Beschuldigte tatsächlich über die volle Frist für einen Einspruch gegen den Strafbefehl verfügt.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Amtsgericht Laufen (Deutschland) mit Entscheidung vom 22. April 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 30. April 2014, in dem Strafverfahren gegen

Gavril Covaci

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Vizepräsidenten A. Tizzano (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer, der Richter F. Biltgen, A. Borg Barthet, der Richterin M. Berger sowie des Richters S. Rodin,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. März 2015,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Herrn Covaci, vertreten durch die Rechtsanwälte U. Krause und S. Ryfisch,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Kemper als Bevollmächtigte,
  • der griechischen Regierung, vertreten durch K. Georgiadis und S. Lekkou als Bevollmächtigte,
  • der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und F.-X. Bréchot als Bevollmächtigte,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von M. Salvatorelli, avvocato dello Stato,
  • der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Eberhard als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Bogensberger und R. Troosters als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. Mai 2015

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 und 8 der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren (ABl. L 280, S. 1) sowie von Art. 2, Art. 3 Abs. 1 Buchst. c und Art. 6 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2012/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren (ABl. L 142, S. 1).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen Herrn Covaci wegen Verkehrsdelikten, die er begangen haben soll.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2010/64

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 12, 17 und 27 der Richtlinie 2010/64 heißt es:

„(12) Diese Richtlinie … setzt gemeinsame Mindestvorschriften im Bereich von Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren fest, um das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten zu stärken.

(17) Diese Richtlinie sollte gewährleisten, dass es unentgeltliche und angemessene sprachliche Unterstützung gibt, damit verdächtige oder beschuldigte Personen, die die Sprache des Strafverfahrens nicht sprechen oder verstehen, ihre Verteidigungsrechte in vollem Umfang wahrnehmen können und ein faires Verfahren gewährleistet wird.

(27) Die Fürsorgepflicht für verdächtige oder be...

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