Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. „Dublin III”. Inhaftnahme zum Zweck der Überstellung. Erhebliche Fluchtgefahr. Objektive Kriterien. Fehlen einer Legaldefinition

 

Normenkette

Verordnung (EU) Nr. 604/2013 Art. 28 Abs. 2, Art. 2 Buchst. n

 

Beteiligte

Al Chodor

Policie ČR, Krajské ředitelství policie Ústeckého kraje, odbor cizinecké policie

Salah Al Chodor

Ajlin Al Chodor

Ajvar Al Chodor

 

Tenor

Art. 2 Buchst. n in Verbindung mit Art. 28 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ist dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten aufgrund dieser Bestimmungen verpflichtet sind, in einer zwingenden Vorschrift mit allgemeiner Geltung die objektiven Kriterien festzulegen, auf denen die Gründe beruhen, die zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte. Das Fehlen einer solchen Vorschrift hat die Nichtanwendbarkeit von Art. 28 Abs. 2 dieser Verordnung zur Folge.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht, Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 24. September 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Oktober 2015, in dem Verfahren

Policie ČR, Krajské ředitelství policie Ústeckého kraje, odbor cizinecké policie

gegen

Salah Al Chodor,

Ajlin Al Chodor,

Ajvar Al Chodor

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richterin A. Prechal (Berichterstatterin), des Richters A. Rosas, der Richterin C. Toader und des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juli 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Policie ČR, Krajské ředitelství policie Ústeckého kraje, odbor cizinecké policie, vertreten durch D. Franc,
  • der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und S. Šindelková als Bevollmächtigte,
  • der griechischen Regierung, vertreten durch M. Michelogiannaki als Bevollmächtigte,
  • der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Brandon als Bevollmächtigten im Beistand von M. Gray, Barrister,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande, M. Šimerdová und G. Wils als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. November 2016

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 28 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. 2013, L 180, S. 31, im Folgenden: Dublin-III-Verordnung), in Verbindung mit Art. 2 dieser Verordnung.

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Verfahrens über eine Kassationsbeschwerde der Policie ČR, Krajské ředitelství Ústeckého kraje, odbor cizinecké policie (Polizei der Tschechischen Republik, Regionalpolizeidirektion der Region Ústi nad Labem [Aussig], Referat Fremdenpolizei, im Folgenden: Fremdenpolizei), mit der sich die Fremdenpolizei gegen die Aufhebung ihrer Entscheidung, Salah, Ajlin und Ajvar Al Chodor zum Zweck ihrer Übergabe an Ungarn für einen Zeitraum von 30 Tagen in Haft zu nehmen, durch ein unterinstanzliches Gericht wendet.

Rechtlicher Rahmen

EMRK

Rz. 3

Die am 4. November 1950 in Rom unterzeichnete Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) sieht in Art. 5 („Recht auf Freiheit und Sicherheit”) vor:

„(1) Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:

f) rechtmäßige Festnahme oder Freiheitsentziehung zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist. …”

Unionsrecht

Charta

Rz. 4

Gemäß Art. 6 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) hat „[j]eder Mensch … das Recht auf Freiheit und Sicherheit”.

Rz. 5

In Art. 52 („Tragweite und Auslegung der Rechte und Grundsätze”) heißt es:

„(1) Jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten muss gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter W...

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