Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Niederlassungsfreiheit. Freier Dienstleistungsverkehr. Glücksspiele. Restriktive Regelung eines Mitgliedstaats. Verwaltungsstrafen. Zwingende Gründe des Allgemeininteresses. Verhältnismäßigkeit. Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz. Nationale Regelung, nach der der Richter verpflichtet ist, im Verwaltungsstrafverfahren die Umstände, mit denen er befasst ist, von Amts wegen zu ermitteln. Vereinbarkeit

 

Normenkette

AEUV Art. 49, 56; Charta der Grundrehte der Europäishen Union Art. 47

 

Beteiligte

Online Games u.a

Online Games Handels GmbH

Frank Breuer

Nicole Enter

Astrid Walden

Landespolizeidirektion Oberösterreich

 

Tenor

Die Art. 49 und 56 AEUV, wie sie insbesondere im Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281), ausgelegt wurden, sind im Licht des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Verfahrensregelung, nach der in Verwaltungsstrafverfahren das Gericht, das darüber zu entscheiden hat, ob eine die Ausübung einer Grundfreiheit der Europäischen Union wie der Niederlassungsfreiheit oder des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Europäischen Union beschränkende Regelung mit dem Unionsrecht vereinbar ist, bei der Prüfung des Vorliegens von Verwaltungsübertretungen die Umstände der bei ihm anhängigen Rechtssache von Amts wegen zu ermitteln hat, nicht entgegenstehen, sofern diese Regelung nicht zur Folge hat, dass das Gericht an die Stelle der zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats zu treten hat, denen es obliegt, die Beweise vorzulegen, die erforderlich sind, damit das Gericht prüfen kann, ob die Beschränkung gerechtfertigt ist.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (Österreich) mit Entscheidung vom 14. Dezember 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Dezember 2015, in dem Verfahren

Online Games Handels GmbH,

Frank Breuer,

Nicole Enter,

Astrid Walden

gegen

Landespolizeidirektion Oberösterreich

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richterin A. Prechal, des Richters A. Rosas, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: I. Illéssy, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. November 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Online Games Handels GmbH, vertreten durch Rechtsanwälte P. Ruth und D. Pinzger,
  • von Herrn Breuer, Frau Enter und Frau Walden, vertreten durch Rechtsanwalt F. Maschke,
  • der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer, F. Herbst und G. Trefil als Bevollmächtigte,
  • der belgischen Regierung, vertreten durch L. Van den Broeck und M. Jacobs als Bevollmächtigte im Beistand von P. Vlaemminck und R. Verbeke, advocaten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Tserepa-Lacombe und G. Braun als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 9. März 2017

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 49 und 56 AEUV, wie sie insbesondere im Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281), ausgelegt wurden, im Licht des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen von Verfahren unter Beteiligung der Online Games Handels GmbH (im Folgenden: Online Games) sowie von Herrn Frank Breuer, Frau Nicole Enter und Frau Astrid Walden auf der einen und der Landespolizeidirektion Oberösterreich auf der anderen Seite über Verwaltungsstrafen, die die Landespolizeidirektion gegen sie wegen des Betriebs von Geldspielautomaten ohne Erlaubnis verhängt hat.

Österreichisches Recht

Bundes-Verfassungsgesetz

Rz. 3

Unter der Überschrift „Vollziehung des Bundes” enthält das Dritte Hauptstück des Bundes-Verfassungsgesetzes (BGBl 1/1930) in der geänderten Fassung (BGBl I 102/2014) (im Folgenden: B-VG) u. a. die Art. 90 und 94 B-VG. Art. 90 B-VG lautet:

„(1) Die Verhandlungen in Zivil- und Strafrechtssachen vor dem erkennenden ordentlichen Gericht sind mündlich und öffentlich. Ausnahmen bestimmt das Gesetz.

(2) Im Strafverfahren gilt der Anklageprozess.”

Rz. 4

Art. 94 Abs. 1 B-VG lautet:

„Die Justiz ist von der Verwaltung in allen Instanzen getrennt.”

Rz. 5

Das Siebente Hauptstück des B-VG trägt die Überschrift „Garantien der Verfassung und Verwaltung”. Es enthält Art. 130 B-VG, der bestimmt:

„(1) Die Verwaltungsgerichte erkennen über Beschwerden

1. gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit;

(4) Über Beschwerden gemäß Abs. 1 Z 1 in Verwaltungsstrafsachen hat das Verwaltungsgericht in der Sache selbst zu entscheiden. …

…”

Bundesgesetz zur Regelung des Glücksspielwesens

Rz. 6

Das Glücksspielgesetz (BGBl 620/1989) in der Fassung der im BGBl I 76/2011 veröffentlichten Änd...

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