Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorabentscheidungsersuchen. Freier Kapitalverkehr. Niederlassungsfreiheit. Einkommensteuer der natürlichen Personen. Regelung betreffend die Obergrenze für die direkten Steuern nach Maßgabe der Einkünfte. Bilaterales Abkommen zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung. Besteuerung von Dividenden, die von einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft ausgeschüttet wurden und bereits der Quellensteuer unterlagen. Keine oder nur teilweise Berücksichtigung der im anderen Mitgliedstaat gezahlten Steuer bei der Berechnung der steuerlichen Obergrenze. Beschränkung. Rechtfertigung

 

Normenkette

AEUV Art. 63, 49, 65

 

Beteiligte

Margaretha Bouanich

Directeur des services fiscaux de la Drôme

 

Tenor

Die Art. 49 AEUV, 63 AEUV und 65 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegenstehen, nach denen im Fall einer in diesem Mitgliedstaat ansässigen Person, die als Aktionär einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft Dividenden bezieht, die in beiden Staaten besteuert werden, wobei im Wohnsitzstaat nach der Regelung über die Doppelbesteuerung eine dem Betrag der im Staat der ausschüttenden Gesellschaft gezahlten Steuer entsprechende Steuergutschrift angerechnet wird, die im Staat der ausschüttenden Gesellschaft gezahlte Steuer durch Vorschriften zur Plafonierung verschiedener direkter Steuern in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes der im Laufe eines Jahres erzielten Einkünfte nicht oder nur teilweise berücksichtigt wird.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal administratif de Grenoble (Frankreich) mit Entscheidung vom 26. Juli 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 6. August 2012, in dem Verfahren

Margaretha Bouanich

gegen

Directeur des services fiscaux de la Drôme

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz sowie der Richter E. Juhász, A. Rosas (Berichterstatter), D. Šváby und C. Vajda,

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Frau Bouanich, vertreten durch A. Jouanjan und S. Fouquet-Chabert, avocats,
  • der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und J.-S. Pilczer als Bevollmächtigte,
  • der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch J. Beeko als Bevollmächtigte im Beistand von R. Hill, Barrister,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Roels und C. Soulay als Bevollmächtigte,
  • der EFTA-Überwachungsbehörde, vertreten durch X. Lewis, G. Mathisen und A. Steinarsdôttir als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 49 AEUV, 63 AEUV und 65 AEUV.

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Bouanich und dem Directeur des services fiscaux de la Drôme (Direktor der Finanzverwaltung des Departements Drôme, im Folgenden: Finanzverwaltung) wegen der Weigerung der Finanzverwaltung, die von Frau Bouanich in Schweden gezahlte Quellensteuer in die Summe der bei der Berechnung einer steuerlichen Obergrenze anhand der Einkünfte berücksichtigten direkten Steuern einzubeziehen.

Rechtlicher Rahmen

Französisches Recht

Rz. 3

Nach Art. 1 des Code général des impôts (Allgemeines Steuergesetzbuch, im Folgenden: CGI) in seiner durch die Loi n° 2005-1719, du 30 décembre 2005 (Gesetz Nr. 2005-1719 vom 30. Dezember 2005, JORF vom 31. Dezember 2005, S. 20597), geänderten Fassung, die für die im Jahr 2006 gezahlten Steuern auf Einkünfte aus dem Jahr 2005 galt, durften die von einem Steuerpflichtigen gezahlten direkten Steuern 60 % seiner Einkünfte nicht übersteigen.

Rz. 4

Durch Art. 11 der Loi n° 2007-1223, du 21 août 2007, en faveur du travail, de l'emploi et du pouvoir d'achat (Gesetz Nr. 2007-1223 vom 21. August 2007 zur Förderung der Arbeit, der Beschäftigung und der Kaufkraft, JORF vom 22. August 2007, S. 13945), der für die in den Jahren 2007 und 2008 gezahlten Steuern auf Einkünfte aus den Jahren 2006 und 2007 galt, wurde Art. 1 des CGI dahin geändert, dass die von einem Steuerpflichtigen gezahlten direkten Steuern nunmehr 50 % seiner Einkünfte nicht übersteigen durften.

Rz. 5

Die Anwendungsbedingungen dieser Obergrenze für die direkten Steuern sind in Art. 1649-0 A des CGI festgelegt und umfassen u. a. einen Anspruch auf Erstattung der über die Grenze des Art. 1 des CGI hinaus erhobenen Steuer (sogenannter „bouclier fiscal”).

Rz. 6

Art. 1649-0 A Abs. 1 bis 5 des CGI in der durch die Loi n° 2005-1719 geänderten, auf den Erstattungsanspruch für das Jahr 2007 in Bezug auf Einkünfte aus dem Jahr 2005 anwendbaren Fassung bestimmte:

„(1) Den Anspruch auf Erstattung des Teils der Steuern, der die in Art. 1 genannte Schwelle überschreitet, erwirbt der Steuerpflichtige am 1. Januar des auf die Zahlung der von ihm g...

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