Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Staatliche Beihilfen. Unter Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV gewährte Beihilfe. Entscheidung eines Gerichts eines Mitgliedstaats, mit der die Gültigkeit des Vertrags über die Gewährung dieser Beihilfe festgestellt wird. Rechtskraft. Unionsrechtskonforme Auslegung. Effektivitätsgrundsatz

 

Normenkette

AEUV Art. 107-108

 

Beteiligte

Klausner Holz Niedersachsen

Klausner Holz Niedersachsen GmbH

Land Nordrhein-Westfalen

 

Tenor

Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens ist es nicht mit dem Unionsrecht vereinbar, wenn die Anwendung einer nationalen Rechtsvorschrift, in der der Grundsatz der Rechtskraft niedergelegt ist, ein nationales Gericht daran hindert, im Anschluss an seine Feststellung, dass die Verträge, die Gegenstand des bei ihm anhängigen Rechtsstreits sind, eine unter Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV durchgeführte staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellen, sämtliche Konsequenzen aus diesem Verstoß zu ziehen, weil in einer unanfechtbar gewordenen Entscheidung eines nationalen Gerichts ohne Prüfung der Frage, ob mit den genannten Verträgen eine staatliche Beihilfe verbunden ist, ihr Fortbestand festgestellt wurde.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landgericht Münster (Deutschland) mit Entscheidung vom 17. September 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 12. November 2014, in dem Verfahren

Klausner Holz Niedersachsen GmbH

gegen

Land Nordrhein-Westfalen

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin der Ersten Kammer R. Silva de Lapuerta in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zweiten Kammer sowie der Richter J. L. da Cruz Vilaça, A. Arabadjiev (Berichterstatter), C. Lycourgos und J.-C. Bonichot,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Klausner Holz Niedersachsen GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt D. Reich,
  • des Landes Nordrhein-Westfalen, vertreten durch Rechtsanwalt G. Schwendinger,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Sauer, T. Maxian Rusche und P.-J. Loewenthal als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 107 AEUV und 108 AEUV sowie des Effektivitätsgrundsatzes.

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Klausner Holz Niedersachsen GmbH (im Folgenden: Klausner Holz) und dem Land Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: Land) über die Nichterfüllung von Holzlieferverträgen zwischen den Parteien durch das Land.

Deutsches Recht

Rz. 3

§ 322 („Materielle Rechtskraft”) Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) lautet:

„Urteile sind der Rechtskraft nur insoweit fähig, als über den durch die Klage oder durch die Widerklage erhobenen Anspruch entschieden ist.”

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

Rz. 4

Am 20. Februar 2007 schlossen die Klausner-Gruppe, zu der Klausner Holz gehört, und die Forstverwaltung des Landes einen Vertrag über die Lieferung von Holz. In diesem Vertrag verpflichtete sich das Land, Klausner Holz in den Jahren 2007 bis 2014 bestimmte Mengen Holz zu je nach Stärke und Qualität des Holzes festgelegten Preisen zu verkaufen. Das Land verpflichtete sich außerdem, keine weiteren Verkäufe zu niedrigeren als den in diesem Vertrag festgelegten Preisen zu tätigen.

Rz. 5

Am 17. April 2007 schlossen Klausner Holz und das Land einen „Rahmenkaufvertrag”, der den Vertrag vom 20. Februar 2007 ergänzte (im Folgenden zusammen: streitige Verträge).

Rz. 6

Im ersten Halbjahr 2007 schloss das Land ferner mit sechs weiteren großen Nadelholzkunden Verträge über die Lieferung von Holz für die Jahre 2007 bis 2011, 2012 oder, in einem Fall, 2014. Nach diesen Verträgen ähnelten die für die Jahre 2007 und 2008 für Sturmholz vereinbarten Preise den in den streitigen Verträgen festgelegten, während die Preise für Frischholz ab 2009 regelmäßig über den in den streitigen Verträgen festgelegten Preisen lagen, abgesehen von der Möglichkeit einer Anpassung dieser Preise unter bestimmten Voraussetzungen und innerhalb bestimmter Grenzen.

Rz. 7

In den Jahren 2007 und 2008 belieferte das Land Klausner Holz mit Holz, wobei die vorgesehenen Abnahmemengen für Sturmholz jedoch nicht erreicht wurden. Im Jahr 2008 geriet Klausner Holz in wirtschaftliche Schwierigkeiten und damit verbunden zeitweise in Zahlungsrückstand. Im August 2009 kündigte das Land den ergänzend zum Vertrag vom 20. Februar 2007 geschlossenen „Rahmenkaufvertrag” und lieferte ab dem zweiten Halbjahr 2009 an Klausner Holz kein Holz mehr zu den in den streitigen Verträgen festgelegten Konditionen.

Rz. 8

Mit Urteil vom 17. Februar 2012 stellte das Landgericht Münster fest, dass die streitigen Verträge weiterhin fortbestünden. Dieses Urteil wurde vom Oberlandesgericht Hamm als Berufungsgeric...

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