Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Rechtsangleichung. Insider-Information. Begriff ‚präzise Information’. Potenzielle Wirkung auf die Kurse von Finanzinstrumenten in einer bestimmten Richtung

 

Normenkette

Richtlinie 2003/6/EG Art. 1 Nr. 1; Richtlinie 2003/124/EG Art. 1 Abs. 1

 

Beteiligte

Lafonta

Jean-Bernard Lafonta

Autorité des marchés financiers

 

Tenor

Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch) und Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/EG der Kommission vom 22. Dezember 2003 zur Durchführung der Richtlinie 2003/6 betreffend die Begriffsbestimmung und die Veröffentlichung von Insider-Informationen und die Begriffsbestimmung der Marktmanipulation sind dahin auszulegen, dass sie für die Einstufung einer Information als präzise nicht verlangen, dass aus ihnen mit einem hinreichenden Maß an Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden kann, dass sich ihr potenzieller Einfluss auf die Kurse der betreffenden Finanzinstrumente in eine bestimmte Richtung auswirken wird, wenn sie öffentlich bekannt werden.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour de cassation (Frankreich) mit Entscheidung vom 26. November 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 2. Dezember 2013, in dem Verfahren

Jean-Bernard Lafonta

gegen

Autorité des marchés financiers

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Zweiten Kammer sowie der Richter J.-C. Bonichot, A. Arabadjiev und J. L. da Cruz Vilaça (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. November 2014,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Herrn Lafonta, vertreten durch E. Piwnica, avocat,
  • der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas, S. Menez und S. Ghiandoni als Bevollmächtigte,
  • der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und A. Wiedmann als Bevollmächtigte,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,
  • der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna, K. Maćkowska und K. Pawłowska als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Hottiaux und I. Rogalski als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 18. Dezember 2014

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch) (ABl. L 96, S. 16) und von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/EG der Kommission vom 22. Dezember 2003 zur Durchführung der Richtlinie 2003/6 betreffend die Begriffsbestimmung und die Veröffentlichung von Insider-Informationen und die Begriffsbestimmung der Marktmanipulation (ABl. L 339, S. 70).

Rz. 2

Sie ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Lafonta und der Autorité des marchés financiers (im Folgenden: AMF) über die Entscheidung der Sanktionskommission der AMF vom 13. Dezember 2010, ihm eine Geldbuße aufzuerlegen, weil er der Öffentlichkeit u. a. nicht die Information über die Durchführung einer Finanztransaktion zugänglich gemacht hatte, die es der Wendel SA erlaubte, eine wesentliche Beteiligung am Kapital des Saint-Gobain-Konzerns (im Folgenden: Saint-Gobain) zu erwerben.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2003/6

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 2, 12 und 24 der Richtlinie 2003/6 heißt es:

„(2) Ein integrierter und effizienter Finanzmarkt setzt Marktintegrität voraus. Das reibungslose Funktionieren der Wertpapiermärkte und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Märkte sind Voraussetzungen für Wirtschaftswachstum und Wohlstand. Marktmissbrauch verletzt die Integrität der Finanzmärkte und untergräbt das Vertrauen der Öffentlichkeit in Wertpapiere und Derivate.

(12) Marktmissbrauch beinhaltet Insider-Geschäfte und Marktmanipulation. Vorschriften zur Bekämpfung von Insider-Geschäften haben dasselbe Ziel wie Vorschriften zur Bekämpfung von Marktmanipulation, nämlich die Integrität der Finanzmärkte der Gemeinschaft sicherzustellen und das Vertrauen der Anleger in diese Märkte zu stärken. …

(24) Durch unverzügliche und angemessene öffentliche Bekanntgabe von Informationen wird die Integrität des Marktes gefördert. Selektive Weitergabe von Informationen durch Emittenten kann dazu führen, dass das Vertrauen der Anleger in die Integrität der Finanzmärkte schwindet. …”

Rz. 4

In Art. 1 Nr. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/6 wird der Begriff „Insider-Information” für die Zwecke dieser Richtlinie definiert a...

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