Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Freier Dienstleistungsverkehr der Rechtsanwälte. Verpflichtung eines dienstleistenden Rechtsanwalts, der einen Mandanten in einem nationalen Gerichtsverfahren vertritt, im Einvernehmen mit einem beim angerufenen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt zu handeln. Grenzen

 

Normenkette

Richtlinie 77/249/EWG Art. 5

 

Beteiligte

An Bord Pleanála

VK

An Bord Pleanála

 

Tenor

Art. 5 der Richtlinie 77/249/EWG des Rates vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte ist dahin auszulegen, dass

  • er als solcher im Hinblick auf das Ziel einer geordneten Rechtspflege dem nicht entgegensteht, dass einem Rechtsanwalt, der Dienstleistungen zur Vertretung seines Mandanten erbringt, die Verpflichtung auferlegt wird, im Einvernehmen mit einem beim angerufenen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt zu handeln, der gegebenenfalls diesem Gericht gegenüber die Verantwortung trägt, und zwar im Rahmen eines Systems, in dem Rechtsanwälte standes- und verfahrensrechtliche Pflichten wie diejenige erfüllen müssen, dem Gericht jegliches für den ordnungsgemäßen Gang des Verfahrens erforderliche rechtliche Material, ob Rechtsvorschriften oder Rechtsprechung, vorzulegen, wobei der Rechtsuchende aber von dieser Pflicht befreit ist, falls er beschließt, seine Sache selbst zu vertreten;
  • es im Hinblick auf das Ziel einer geordneten Rechtspflege nicht unverhältnismäßig ist, wenn ein dienstleistender Rechtsanwalt dazu verpflichtet wird, im Einvernehmen mit einem beim angerufenen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt zu handeln, und zwar in einem System, in dem diese beiden Rechtsanwälte die Möglichkeit haben, ihre jeweilige Rolle festzulegen, wobei der beim angerufenen Gericht zugelassene Rechtsanwalt in der Regel nur die Aufgabe hat, den dienstleistenden Rechtsanwalt zu unterstützen, damit er den Mandanten sachgerecht vertreten und seine Verpflichtungen gegenüber diesem Gericht ordnungsgemäß erfüllen kann;
  • eine allgemeine Verpflichtung, im Einvernehmen mit einem beim angerufenen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt zu handeln, ohne dass die Erfahrung des dienstleistenden Rechtsanwalts berücksichtigt werden könnte, über das hinausginge, was zur Erreichung des Ziels einer geordneten Rechtspflege erforderlich ist.
 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Supreme Court (Oberster Gerichtshof, Irland) mit Entscheidung vom 4. Oktober 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Oktober 2019, in dem Verfahren

VK

gegen

An Bord Pleanála,

Beteiligte:

The General Council of the Bar of Ireland,

The Law Society of Ireland and the Attorney General,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, des Richters L. Bay Larsen (Berichterstatter), der Richterin C. Toader sowie der Richter M. Safjan und N. Jääskinen,

Generalanwalt: P. Pikamäe,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 23. September 2020,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von VK, vertreten durch Rechtsanwältin B. Ohlig,
  • von The General Council of the Bar of Ireland, vertreten durch E. Gilson und D. Spring, Solicitors, sowie W. Abrahamson, Barrister-at-Law, und P. Leonard, SC,
  • von The Law Society of Ireland and the Attorney General, vertreten durch C. Callanan und S. McLoughlin, Solicitors, sowie M. Collins, SC,
  • Irlands, vertreten durch M. Browne, G. Hodge, J. Quaney und A. Joyce als Bevollmächtigte im Beistand von M. Gray und R. Mulcahy, SC,
  • der spanischen Regierung, vertreten durch J. Rodríguez de la Rúa Puig als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Støvlbæk, L. Malferrari und L. Armati als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. Dezember 2020

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 der Richtlinie 77/249/EWG des Rates vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte (ABl. 1977, L 78, S. 17).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen VK und An Bord Pleanála (Widerspruchsstelle in Planungsverfahren, Irland), in dem sich die Frage stellt, ob von der dienstleistenden Rechtsanwältin des Rechtsmittelführers des Ausgangsverfahrens verlangt werden kann, zu dessen Vertretung vor dem vorlegenden Gericht im Einvernehmen mit einem örtlichen Rechtsanwalt zu handeln.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 1 der Richtlinie 77/249 bestimmt:

„(1) Diese Richtlinie gilt innerhalb der darin festgelegten Grenzen und unter den darin vorgesehenen Bedingungen für die in Form der Dienstleistung ausgeübten Tätigkeiten der Rechtsanwälte.

(2) Unter ‚Rechtsanwalt’ ist jede Person zu verstehen, die ihre beruflichen Tätigkeiten unter einer der folgenden Bezeichnungen auszuüben berechtigt ist:

Deutschland:

Rechtsanwalt

…”

Rz. 4

Art. 5 dieser Ri...

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