Entscheidungsstichwort (Thema)

Niederlassungsfreiheit. Soziale Sicherheit. Staatlich finanziertes nationales Gesundheitssystem. Sachleistungssystem. Kostenerstattungssystem. Bewilligung der Errichtung eines privaten Ambulatoriums für Zahnheilkunde. Kriterium der Bedarfsprüfung zur Rechtfertigung der Errichtung einer Krankenanstalt. Ziel der Aufrechterhaltung einer qualitativ hochwertigen, ausgewogenen und allgemein zugänglichen ärztlichen oder klinischen Versorgung. Ziel der Vermeidung einer erheblichen Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit. Kohärenz. Verhältnismäßigkeit

 

Beteiligte

Hartlauer

Hartlauer Handelsgesellschaft mbH

Oberösterreichische Landesregierung

Wiener Landesregierung

 

Tenor

Nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren fraglichen, wonach für die Errichtung einer privaten Krankenanstalt in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums für Zahnheilkunde eine Bewilligung erforderlich ist und diese Bewilligung, wenn angesichts des bereits bestehenden Versorgungsangebots durch Kassenvertragsärzte kein die Errichtung einer solchen Anstalt rechtfertigender Bedarf besteht, zu versagen ist, steht Art. 43 EG in Verbindung mit Art. 48 EG entgegen, sofern sie nicht auch Gruppenpraxen einem solchen System unterwerfen und sofern sie nicht auf einer Bedingung beruhen, die geeignet ist, der Ausübung des Ermessens durch die nationalen Behörden hinreichende Grenzen zu setzen.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 22. Februar 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 30. März 2007, in dem Verfahren

Hartlauer Handelsgesellschaft mbH

gegen

Wiener Landesregierung,

Oberösterreichische Landesregierung

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, A. Rosas, K. Lenaerts und T. von Danwitz sowie der Richter A. Tizzano und J. N. Cunha Rodrigues, der Richterin R. Silva de Lapuerta, der Richter K. Schiemann, J. Malenovský (Berichterstatter) und A. Arabadjiev, der Richterin C. Toader und des Richters J.-J. Kasel,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: K. Sztranc-Sławiczek, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. Februar 2008, unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Hartlauer Handelsgesellschaft mbH, vertreten durch Rechtsanwalt W. Graziani-Weiss,
  • der Oberösterreichischen Landesregierung, vertreten durch G. Hörmanseder als Bevollmächtigten,
  • der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer, F. Felix, G. Aigner und G. Endel als Bevollmächtigte,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels, M. de Grave und Y. de Vries als Bevollmächtigte,
  • der norwegischen Regierung, vertreten durch K. B. Moen und J. A. Dalbakk als Bevollmächtigte,
  • der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch G. Braun, E. Traversa und V. Kreuschitz als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. September 2008

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 43 EG und 48 EG.

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der Hartlauer Handelsgesellschaft mbh (im Folgenden: Hartlauer) und zum einen der Wiener Landesregierung, zum anderen der Oberösterreichischen Landesregierung über Entscheidungen, mit denen diese Hartlauer jeweils die Bewilligung für die Errichtung und den Betrieb eines selbständigen Ambulatoriums für Zahnheilkunde versagten.

Nationales Recht

Rz. 3

Die Voraussetzungen für die Errichtung und den Betrieb von Krankenanstalten sind auf Bundesebene im Krankenanstaltengesetz (BGBl. 1/1957) in der Fassung der im BGBl. I Nr. 5/2001 veröffentlichten Novelle (im Folgenden: KAG), in der Fassung der im BGBl. I Nr. 122/2006 veröffentlichten Novelle, später bezeichnet als Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz (im Folgenden: KAKuG), festgelegt.

Rz. 4

Nach § 2 Abs. 1 KAG und derselben Vorschrift des KAKuG sind „Krankenanstalten” im Sinne dieser Gesetze u. a. „selbständige Ambulatorien (Röntgeninstitute, Zahnambulatorien und ähnliche Einrichtungen), das sind organisatorisch selbständige Einrichtungen, die der Untersuchung oder Behandlung von Personen dienen, die einer Aufnahme in Anstaltspflege nicht bedürfen”.

Rz. 5

§ 3 KAG bestimmt:

„(1) Krankenanstalten bedürfen sowohl zu ihrer Errichtung wie auch zu ihrem Betriebe einer Bewilligung der Landesregierung. …

(2) Die Bewilligung zur Errichtung einer Krankenanstalt im Sinne des Abs. 1 darf nur erteilt werden, wenn insbesondere

  1. nach dem angegebenen Anstaltszweck und dem in Aussicht genommenen Leistungsangebot im Hinblick auf das bereits bestehende Versorgungsangebot öffentlicher, privater gemeinnütziger und sonstiger Krankenanstalten mit Kassenverträgen sowie bei Errichtung einer Krankenanstalt in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums auch im Hinblick auf...

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