Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Geistiges und gewerbliches Eigentum -Gemeinschaftsgeschmacksmuster. Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses, die ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind. Beurteilungskriterien. Bestehen alternativer Geschmacksmuster. Berücksichtigung des Standpunkts eines ‚objektiven Beobachters’

 

Normenkette

Verordnung (EG) Nr. 6/2002 Art. 8 Abs. 1

 

Beteiligte

DOCERAM

DOCERAM GmbH

CeramTec GmbH

 

Tenor

1. Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster ist dahin auszulegen, dass für die Beurteilung, ob Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind, zu ermitteln ist, ob diese Funktion der einzige diese Merkmale bestimmende Faktor ist. Das Bestehen alternativer Geschmacksmuster ist insoweit nicht ausschlaggebend.

2. Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 ist dahin auszulegen, dass das nationale Gericht für die Beurteilung, ob die fraglichen Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses im Sinne dieser Vorschrift ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind, alle objektiven maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu würdigen hat. Auf die Sicht eines „objektiven Beobachters” kommt es insoweit nicht an.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland) mit Entscheidung vom 7. Juli 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Juli 2016, in dem Verfahren

DOCERAM GmbH

gegen

CeramTec GmbH

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Zweiten Kammer, des Richters A. Rosas, der Richterin C. Toader und des Richters E. Jarašiūnas (Berichterstatter),

Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,

Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. Juni 2017,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der DOCERAM GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt M. Bergermann und Patentanwalt P. Rätsch,
  • der CeramTec GmbH, vertreten durch Rechtsanwältin M. A. Mittelstein und Rechtsanwalt A. Bothe,
  • der hellenischen Regierung, vertreten durch G. Alexaki als Bevollmächtigte,
  • der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch J. Kraehling und G. Brown als Bevollmächtigte im Beistand von B. Nicholson, Barrister,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Samnadda und T. Scharf als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. Oktober 2017

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der DOCERAM GmbH und der CeramTec GmbH wegen des Vorwurfs der Verletzung von Gemeinschaftsgeschmacksmustern.

Rechtlicher Rahmen

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 5, 7 und 10 der Verordnung Nr. 6/2002 heißt es:

„(5) [I]n den einzelnen Mitgliedstaaten [ist ein] unmittelbar geltendes Gemeinschaftsgeschmacksmuster notwendig; denn nur auf diese Weise ist es möglich, durch eine Anmeldung beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) aufgrund eines einzigen Verfahrens nach Maßgabe eines Gesetzes ein Geschmacksmusterrecht für ein alle Mitgliedstaaten umfassendes Gebiet zu erlangen.

(7) Ein verbesserter Schutz für gewerbliche Geschmacksmuster fördert … nicht nur den Beitrag einzelner Entwerfer zu der herausragenden Gesamtleistung der Gemeinschaft auf diesem Gebiet, sondern ermutigt auch zur Innovation und zur Entwicklung neuer Erzeugnisse sowie zu Investitionen für ihre Herstellung.

(10) Technologische Innovationen dürfen nicht dadurch behindert werden, dass ausschließlich technisch bedingten Merkmalen Geschmacksmusterschutz gewährt wird. Das heißt nicht, dass ein Geschmacksmuster unbedingt einen ästhetischen Gehalt aufweisen muss. Ebenso wenig darf die Interoperabilität von Erzeugnissen unterschiedlichen Fabrikats dadurch behindert werden, dass sich der Schutz auf das Design mechanischer Verbindungselemente erstreckt. Dementsprechend dürfen Merkmale eines Geschmacksmusters, die aus diesen Gründen vom Schutz ausgenommen sind, bei der Beurteilung, ob andere Merkmale des Geschmacksmusters die Schutzvoraussetzungen erfüllen, nicht herangezogen werden.”

Rz. 4

Art. 3 dieser Verordnung bestimmt:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet:

  1. ‚Geschmacksmuster’ die Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils davon, die sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur und/oder der Werkstoffe des Erzeugnisses selbst und/oder seiner Verzierung ergibt;
  2. ‚Erzeugnis’ jeden industriellen oder handwerklichen Gegenstand, einschließlich – unter anderem – der Einzelteil...

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