Entscheidungsstichwort (Thema)

Nationales Verwaltungsverfahren. Rein innerstaatlicher Sachverhalt. Verwaltungsakte. Begründungspflicht. Möglichkeit, im Laufe eines gegen einen Verwaltungsakt gerichteten gerichtlichen Verfahrens eine fehlende Begründung nachzuholen. Auslegung der Art. 296 Abs. 2 AEUV und 41 Abs. 2 Buchst. c der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Unzuständigkeit des Gerichtshofs

 

Normenkette

AEUV Art. 296 Abs. 2; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 41 Abs. 2 Buchst. c

 

Beteiligte

Romeo

Giuseppa Romeo

Regione Siciliana

 

Tenor

1. Die erste von der Corte dei conti, Sezione giurisdizionale per la Regione Siciliana (Italien), mit Entscheidung vom 19. Juni 2012 vorgelegte Frage ist unzulässig.

2. Der Gerichtshof der Europäischen Union ist für die Beantwortung der zweiten und der dritten von der Corte dei conti, Sezione giurisdizionale per la Regione Siciliana, mit Entscheidung vom 19. Juni 2012 vorgelegten Frage nicht zuständig.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Corte dei conti, Sezione giurisdizionale per la Regione Siciliana (Italien), mit Entscheidung vom 19. Juni 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Juni 2012, in dem Verfahren

Giuseppa Romeo

gegen

Regione Siciliana

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz (Berichterstatter) sowie der Richter E. Juhász, A. Rosas, D. Šváby und C. Vajda,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Frau Romeo, vertreten durch M. Viaggio, avvocatessa,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga und H. Krämer als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Grundsatzes der Pflicht zur Begründung von Rechtsakten der öffentlichen Verwaltung nach den Art. 296 Abs. 2 AEUV und 41 Abs. 2 Buchst. c der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Romeo und der Regione Siciliana über eine Entscheidung, in der vorgesehen wurde, die Pension von Frau Cicala herabzusetzen und für abgelaufene Zeiträume gezahlte Beträge zurückzufordern.

Italienisches Recht

Rz. 3

Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 241 vom 7. August 1990 über neue Vorschriften betreffend das Verwaltungsverfahren und das Recht auf Zugang zu Verwaltungsunterlagen (GURI Nr. 192 vom 18. August 1990, S. 7) in der durch das Gesetz Nr. 15 vom 11. Februar 2005 (GURI Nr. 42 vom 21. Februar 2005, S. 4) geänderten Fassung (im Folgenden: Gesetz Nr. 241/1990) sieht vor:

„Das Verwaltungshandeln verfolgt gesetzlich vorgesehene Ziele und unterliegt den Kriterien der Wirtschaftlichkeit, der Effizienz, der Unparteilichkeit, der Öffentlichkeit und der Transparenz nach den im vorliegenden Gesetz und in anderen Vorschriften über einzelne Verfahren vorgesehenen Modalitäten sowie den Grundsätzen der Gemeinschaftsrechtsordnung.”

Rz. 4

Art. 3 Abs. 1 und 2 des Gesetzes Nr. 241/1990 bestimmt bezüglich der Begründungspflicht:

  1. „Außer in den in Abs. 2 vorgesehenen Fällen muss jede Entscheidung der Verwaltung … begründet sein. Die Begründung muss die tatsächlichen Umstände und rechtlichen Gründe angeben, die die Verwaltung in Anbetracht der Ergebnisse der vorherigen Prüfung der Sache dazu veranlasst haben, diese Entscheidung zu treffen.
  2. Rechtsetzungsakte und Rechtsakte mit allgemeiner Geltung bedürfen keiner Begründung.”

Rz. 5

Art. 21 octies Abs. 2 Unterabs. 1 des Gesetzes Nr. 241/1990 lautet:

„Eine unter Verstoß gegen die Verfahrens- oder Formvorschriften erlassene Entscheidung kann nicht aufgehoben werden, wenn aufgrund der Tatsache, dass es sich um eine gebundene Entscheidung handelt, offensichtlich ist, dass ihr Regelungsgehalt nicht anders hätte lauten können als konkret beschlossen.”

Rz. 6

Art. 3 des sizilianischen Regionalgesetzes Nr. 10 vom 30. April 1991 mit Bestimmungen über Verwaltungsentscheidungen, den Zugang zu Verwaltungsunterlagen und die Verbesserung der Funktionsweise des Verwaltungshandelns (im Folgenden: sizilianisches Regionalgesetz Nr. 10/1991) hat Art. 3 des Gesetzes Nr. 241/1990 wörtlich übernommen.

Rz. 7

Art. 37 des sizilianischen Regionalgesetzes Nr. 10/1991 bestimmt:

„Soweit in diesem Gesetz nichts anderes vorgesehen ist, gelten, sofern sie vereinbar sind, die Bestimmungen des Gesetzes [Nr. 241/1990], spätere Änderungen und Ergänzungen sowie die dazugehörenden Durchführungsmaßnahmen.”

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Rz. 8

Frau Romeo bezieht von der Region Sizilien, deren Beschäftigte sie war, ein Ruhegehalt. Mit Schreiben aus dem Jahr 2007 teilte die Region Sizilien Frau Romeo mit, dass der durch ein früheres regionales Dekret festgesetzte Betrag ihres Ruhegehalts höher sei als der ihr tatsächlich geschuldete und dass...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge