Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Grundsatz der Rückwirkung des milderen Strafgesetzes. Italienische Staatsangehörige, die die unerlaubte Einreise rumänischer Staatsangehöriger in das italienische Hoheitsgebiet organisiert haben. Vor dem Beitritt Rumäniens zur Union abgeschlossene Handlungen. Auswirkung des Beitritts Rumäniens auf die Straftat der Beihilfe zur illegalen Einwanderung. Durchführung des Unionsrechts. Zuständigkeit des Gerichtshofs

 

Normenkette

EUV Art. 6; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 49

 

Beteiligte

Paoletti u.a

Gianpaolo Paoletti

Umberto Castaldi

Domenico Faricelli

Antonio Angelucci

Mauro Angelucci

Antonio D'Ovidio

Camillo Volpe

Giampaolo Canzano

Raffaele Di Giovanni

Antonio Della Valle

 

Tenor

Art. 6 EUV und Art. 49 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass der Beitritt eines Staates zur Union einen anderen Mitgliedstaat nicht daran hindert, eine Strafe gegen Personen zu verhängen, die vor diesem Beitritt die Straftat der Beihilfe zur illegalen Einwanderung zugunsten von Angehörigen des ersteren Staates begangen haben.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale ordinario di Campobasso (Gericht von Campobasso, Italien) mit Entscheidung vom 29. April 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 11. Mai 2015, in dem Strafverfahren gegen

Gianpaolo Paoletti,

Umberto Castaldi,

Domenico Faricelli,

Antonio Angelucci,

Mauro Angelucci,

Antonio D'Ovidio,

Camillo Volpe,

Giampaolo Canzano,

Raffaele Di Giovanni,

Antonio Della Valle

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça (Berichterstatter), der Richter F. Biltgen, A. Borg Barthet und E. Levits sowie der Richterin M. Berger,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: A. Calot Escobar,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Herrn Paoletti, vertreten durch G. Milia, avvocato,
  • von Herrn Canzano, vertreten durch P. Di Giovanni, avvocato,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von L. D'Ascia, avvocato dello Stato,
  • der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Eberhard als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Krämer und D. Nardi als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. Mai 2016,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 EUV, von Art. 49 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und von Art. 7 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines gegen Herrn Gianpaolo Paoletti und weitere italienische Staatsangehörige eingeleiteten Strafverfahrens, in dem diese der vor dem Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union erfolgten Beihilfe zur illegalen Einwanderung von rumänischen Staatsangehörigen in das italienische Hoheitsgebiet angeklagt sind.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Nach dem zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2002/90/EG des Rates vom 28. November 2002 zur Definition der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt (ABl. 2002, L 328, S. 17)

„… sollten Maßnahmen getroffen werden, um die Beihilfe zur illegalen Einwanderung zu bekämpfen, und zwar sowohl, wenn diese den unerlaubten Grenzübertritt im engeren Sinne betrifft, als auch, wenn dadurch ein Netzwerk zur Ausbeutung von Menschen unterhalten wird.”

Rz. 4

Art. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Jeder Mitgliedstaat legt angemessene Sanktionen für diejenigen fest, die

  1. einer Person, die nicht Angehörige eines Mitgliedstaats ist, vorsätzlich dabei helfen, in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter Verletzung der Rechtsvorschriften des betreffenden Staates über die Einreise oder die Durchreise von Ausländern einzureisen oder durch dessen Hoheitsgebiet zu reisen;
  2. einer Person, die nicht Angehörige eines Mitgliedstaats ist, zu Gewinnzwecken vorsätzlich dabei helfen, sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter Verletzung der Rechtsvorschriften des betreffenden Staates über den Aufenthalt von Ausländern aufzuhalten.”

Rz. 5

Nach Art. 3 dieser Richtlinie trifft jeder Mitgliedstaat die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die in den Art. 1 und 2 der Richtlinie genannten Handlungen Gegenstand wirksamer, angemessener und abschreckender Sanktionen sind.

Rz. 6

Art. 1 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/946/JI des Rates vom 28. November 2002 betreffend die Verstärkung des strafrechtlichen Rahmens für die Bekämpfung der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt (ABl. 2002, L 328, S. 1) hat folgenden Wortlaut:

„Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen um sicherzustellen, dass die in den Artikeln 1 und 2 der Richtlinie 2002/90 … beschriebenen Handlungen mit wirksamen, angemessenen und abschreckenden Stra...

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