Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Gemeinsame Politik im Bereich Asyl und subsidiärer Schutz. Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz. Anträge auf internationalen Schutz, die von den Angehörigen einer Familie getrennt gestellt werden. Individuelle Prüfung. Berücksichtigung von Bedrohungen, denen ein Familienangehöriger ausgesetzt ist, bei der individuellen Prüfung des Antrags eines anderen Familienangehörigen. Günstigere Normen, die von den Mitgliedstaaten beibehalten oder erlassen werden können, um das Asyl oder den subsidiären Schutz auf Familienangehörige der Person zu erstrecken, der internationaler Schutz gewährt worden ist. Prüfung der Verfolgungsgründe. Beteiligung eines aserbaidschanischen Staatsangehörigen an der Erhebung einer Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen sein Land. Gemeinsame Verfahrensvorschriften. Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf. Umfassende Ex-nunc-Prüfung. Vor der Asylbehörde unerwähnt gebliebene Verfolgungsgründe oder tatsächliche Gesichtspunkte, die aber im Rahmen des Rechtsbehelfs gegen die von der Asylbehörde erlassene Entscheidung vorgetragen werden

 

Normenkette

Richtlinie 2011/95/EU Art. 3-4, 10, 23; Richtlinie 2013/32/EU Art. 46

 

Beteiligte

Ahmedbekova

Nigyar Rauf Kaza Ahmedbekova

Rauf Emin Ogla Ahmedbekov

Zamestnik-predsedatel na Darzhavna agentsia za bezhantsite

 

Tenor

1. Art. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist dahin auszulegen, dass bei der individuellen Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz die Bedrohung eines Familienangehörigen des Antragstellers durch Verfolgung und einen ernsthaften Schaden zu berücksichtigen ist, um festzustellen, ob der Antragsteller aufgrund seiner familiären Bindung zu dieser bedrohten Person selbst einer solchen Bedrohung ausgesetzt ist.

2. Die Richtlinie 2011/95 und die Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes sind dahin auszulegen, dass sie es zulassen, dass bei Anträgen auf internationalen Schutz, die von Angehörigen einer Familie getrennt gestellt werden, Maßnahmen zum Umgang mit etwaigen Zusammenhängen ergriffen werden, dass sie es aber nicht zulassen, dass diese Anträge gemeinsam geprüft werden. Sie lassen es ebenfalls nicht zu, dass die Prüfung eines dieser Anträge bis zum Abschluss des Verfahrens zur Prüfung eines anderen dieser Anträge ausgesetzt wird.

3. Art. 3 der Richtlinie 2011/95 ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat gestattet, in Fällen, in denen einem Angehörigen einer Familie nach der mit dieser Richtlinie geschaffenen Regelung internationaler Schutz gewährt wird, die Erstreckung dieses Schutzes auf andere Angehörige dieser Familie vorzusehen, sofern diese nicht unter einen der in Art. 12 der Richtlinie genannten Ausschlussgründe fallen und sofern ihre Situation wegen der Notwendigkeit, den Familienverband zu wahren, einen Zusammenhang mit dem Zweck des internationalen Schutzes aufweist.

4. Der in Art. 33 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2013/32 vorgesehene Unzulässigkeitsgrund erfasst nicht eine Situation wie die im Ausgangsverfahren, in der ein Erwachsener für sich und sein minderjähriges Kind einen Antrag auf internationalen Schutz stellt, der u. a. auf das Bestehen einer familiären Bindung zu einer anderen Person gestützt ist, die einen getrennten Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat.

5. Die Beteiligung der Person, die internationalen Schutz beantragt, an der Erhebung einer Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen ihr Herkunftsland ist im Rahmen der Prüfung der in Art. 10 der Richtlinie 2011/95 vorgesehenen Verfolgungsgründe grundsätzlich nicht so anzusehen, dass damit die Zugehörigkeit des Antragstellers zu einer „bestimmten sozialen Gruppe” im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchst. d bewiesen wird, sondern sie ist als Verfolgungsgrund wegen der „politischen Überzeugung” im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchst. e anzusehen, wenn es gute Gründe für die Befürchtung gibt, dass die Beteiligung an der Erhebung der Beschwerde von diesem Land als ein Akt politischen Widerstands aufgefasst wird, gegen den es Repressalien ergreifen könnte.

6. Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 in Verbindung mit dem Verweis auf das Rechtsbehelfsverfahren in Art. 40 Abs. 1 dieser Richtlinie ist dahin auszulegen, dass das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung über die Versagung internationalen Schutzes befasste Gericht grundsätzlich verpflichtet ist, die Gründe für die Gewährung internationalen Schutze...

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