Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Kinder von Grenzarbeitnehmern. Soziale Vergünstigungen. System der Erstattung von Schülerbeförderungskosten. Voraussetzung des Wohnsitzes in einem Bundesland. Ausschluss der Kinder, die in diesem Bundesland zur Schule gehen und in einem anderen Mitgliedstaat als dem der besuchten Schule wohnen. Ausschluss der inländischen Staatsangehörigen, die in anderen Bundesländern wohnen

 

Normenkette

Verordnung (EU) Nr. 492/2011

 

Beteiligte

Landkreis Südliche Weinstraße

Landkreis Südliche Weinstraße

PF u. a

 

Tenor

1. Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union ist dahin auszulegen, dass eine nationale Rechtsvorschrift, die die Übernahme der Schülerbeförderung durch ein Bundesland von der Voraussetzung eines Wohnsitzes in diesem Bundesland abhängig macht, eine mittelbare Diskriminierung darstellt, da sie sich ihrem Wesen nach eher auf Grenzarbeitnehmer als auf inländische Arbeitnehmer auswirken kann.

2. Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 492/2011 ist dahin auszulegen, dass praktische Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der effizienten Organisation der Schülerbeförderung in einem Bundesland keinen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen, der eine als mittelbare Diskriminierung eingestufte nationale Maßnahme rechtfertigen kann.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (Deutschland) mit Entscheidung vom 11. Dezember 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Dezember 2018, in dem Verfahren

Landkreis Südliche Weinstraße

gegen

PF u. a.,

Beteiligter:

Vertreter des öffentlichen Interesses,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten S. Rodin sowie der Richter D. Šváby und N. Piçarra (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Hödlmayr und B.-R. Killmann als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. 2011, L 141, S. 1).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen PF und dem Landkreis Südliche Weinstraße über die Übernahme der Schülerbeförderungskosten von Kindern von Grenzarbeitnehmern durch das Bundesland.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 3 bis 5 der Verordnung Nr. 492/2011 heißt es:

„(3) Es sollten Bestimmungen festgelegt werden, mit denen die in den Artikeln 45 und 46 des [AEU-]Vertrags … auf dem Gebiet der Freizügigkeit festgelegten Ziele erreicht werden können.

(4) Die Freizügigkeit ist ein Grundrecht der Arbeitnehmer und ihrer Familien. … Allen Arbeitnehmern der Mitgliedstaaten sollte das Recht zuerkannt werden, eine von ihnen gewählte Tätigkeit innerhalb der Union auszuüben.

(5) Dieses Recht sollte gleichermaßen Dauerarbeitnehmern, Saisonarbeitern, Grenzarbeitnehmern oder Arbeitnehmern zustehen, die ihre Tätigkeit im Zusammenhang mit einer Dienstleistung ausüben.”

Rz. 4

Art. 7 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung bestimmt:

„(1) Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, darf aufgrund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.

(2) Er genießt dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer.”

Rz. 5

Art. 10 dieser Verordnung sieht vor:

„Die Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, können, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen.

Die Mitgliedstaaten fördern die Bemühungen, durch die diesen Kindern ermöglicht werden soll, unter den besten Voraussetzungen am Unterricht teilzunehmen.”

Deutsches Recht

Rz. 6

§ 56 Abs. 1 des Rheinland-Pfälzischen Schulgesetzes vom 30. März 2004 (GVBl. RP 2004, S. 239), zuletzt geändert durch Art. 10 des Gesetzes vom 16. Februar 2016 (GVBl. RP 2016, S. 37), bestimmt:

„Der Besuch einer Schule ist Pflicht für alle Kinder, Jugendlichen und Heranwachsenden, die in Rheinland-Pfalz ...

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