Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Status der Kirchen und der religiösen Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten im Hinblick auf das Unionsrecht. Niederlassungsfreiheit. Beschränkungen. Rechtfertigung. Verhältnismäßigkeit. Subventionen für eine private Bildungseinrichtung. Antrag einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Religionsgesellschaft. Einrichtung, die von dieser Gesellschaft als konfessionelle Schule anerkannt wird

 

Normenkette

AEUV Art. 17 Abs. 1, Art. 49

 

Beteiligte

Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland

Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland KdöR

Bildungsdirektion für Vorarlberg

 

Tenor

1. Art. 17 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass er nicht bewirkt, dass eine Situation vom Anwendungsbereich des Unionsrechts ausgenommen ist, in der eine Kirche oder eine religiöse Vereinigung oder Gemeinschaft, die in einem Mitgliedstaat den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts hat und in einem anderen Mitgliedstaat eine private Bildungseinrichtung als konfessionelle Schule anerkennt und unterstützt, für diese Einrichtung eine Subvention beantragt, die Kirchen oder religiösen Vereinigungen oder Gemeinschaften vorbehalten ist, die nach dem Recht dieses anderen Mitgliedstaats anerkannt sind.

2. Art. 49 AEUV in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die die Gewährung öffentlicher Subventionen für private Bildungseinrichtungen, die als konfessionelle Schulen anerkannt sind, davon abhängig macht, dass die Kirche oder die Religionsgesellschaft, die für eine solche Einrichtung einen Subventionsantrag stellt, nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats anerkannt ist, und zwar auch dann, wenn diese Kirche oder Religionsgesellschaft nach dem Recht ihres Herkunftsmitgliedstaats anerkannt ist.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 1. Juni 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 17. Juni 2021, in dem Verfahren

Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland KdöR

gegen

Bildungsdirektion für Vorarlberg

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter M. Safjan, N. Piçarra (Berichterstatter), N. Jääskinen und M. Gavalec,

Generalanwalt: N. Emiliou,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland KdöR, vertreten durch Rechtsanwälte M. Krömer und P. Krömer,
  • der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch, J. Schmoll und F. Werni als Bevollmächtigte,
  • der tschechischen Regierung, vertreten durch T. Machovičová, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Armati, M. Mataija und G. von Rintelen als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. Juli 2022

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 17 und 56 AEUV.

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland KdöR (im Folgenden: Freikirche) und der Bildungsdirektion für Vorarlberg (Österreich) (im Folgenden: zuständige Behörde) wegen einer Subvention, die für eine von dieser Kirche als konfessionelle Schule anerkannte und von ihr unterstützte private Bildungseinrichtung beantragt wurde.

Österreichisches Recht

AnerkennungsG

Rz. 3

§ 1 des Gesetzes vom 20. Mai 1874 betreffend die gesetzliche Anerkennung von Religionsgesellschaften (RGBl. 68/1874, im Folgenden: AnerkennungsG) bestimmt:

„Den Anhängern eines bisher gesetzlich nicht anerkannten Religionsbekenntnisses wird die Anerkennung als Religionsgesellschaft unter nachfolgenden Voraussetzungen erteilt:

  1. [d]ass ihre Religionslehre, ihr Gottesdienst, ihre Verfassung, sowie die gewählte Benennung nichts Gesetzwidriges oder sittlich Anstößiges enthält;
  2. dass die Errichtung und der Bestand wenigstens einer nach den Anforderungen dieses Gesetzes eingerichteten Kultusgemeinde gesichert ist.”

BekGG

Rz. 4

§ 11 („Zusätzliche Voraussetzungen für eine Anerkennung nach dem Anerkennungsgesetz”) des Bundesgesetzes über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften (BGBl. I 19/1998) in der Fassung des BGBl. I 78/2011 (im Folgenden: BekGG) sieht vor:

„Für eine Anerkennung müssen die nachstehend genannten Voraussetzungen zusätzlich zu den im [AnerkennungsG] umschriebenen Erfordernissen erfüllt sein.

1. Die Bekenntnisgemeinschaft muss

  1. durch zumindest 20 Jahre in Österreich, davon 10 Jahre in organisierter Form, zumindest 5 Jahre als religiöse Bekenntnisgemeinschaft mit Rechtspersönlichkeit nach diesem Bundesgesetz bestehen oder
  2. organisatorisch und in der Lehre in eine international tätige Religionsgesellschaft eingebunden sein, die seit zumindest 100 Jahren besteht, und...

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