Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats. Niederlassungsfreiheit. Notare. Staatsangehörigkeitsvoraussetzung. Teilhabe an der Ausübung öffentlicher Gewalt

 

Normenkette

AEUV Art. 49, 51

 

Beteiligte

Kommission / Ungarn

Europäische Kommission

Ungarn

 

Tenor

1. Ungarn hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 49 AEUV verstoßen, dass es für den Zugang zum Beruf des Notars eine Staatsangehörigkeitsvoraussetzung aufgestellt hat.

2. Ungarn trägt die Kosten.

3. Die Tschechische Republik trägt ihre eigenen Kosten.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 20. Juli 2015,

Europäische Kommission, vertreten durch H. Støvlbæk und K. Talabér-Ritz als Bevollmächtigte,

Klägerin,

gegen

Ungarn, vertreten durch M. Z. Fehér, G. Koós und M. M. Tátrai als Bevollmächtigte,

Beklagter,

unterstützt durch

Tschechische Republik, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und D. Hadroušek als Bevollmächtigte,

Streithelferin,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Regan, J.-C. Bonichot, A. Arabadjiev (Berichterstatter) und S. Rodin,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: X. Lopez Bancalari, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. September 2016,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Mit ihrer Klage begehrt die Europäische Kommission die Feststellung, dass Ungarn dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 49 AEUV verstoßen hat, dass es für den Zugang zum Beruf des Notars eine Staatsangehörigkeitsvoraussetzung aufgestellt hat.

Rechtlicher Rahmen

Allgemeine Ausgestaltung des Notarberufs in Ungarn

Rz. 2

Notare üben ihre Tätigkeiten nach der ungarischen Rechtsordnung freiberuflich aus. Der Notarberuf wird durch das Közjegyzőkről szóló 1991. évi XLI. törvény (Gesetz Nr. XLI von 1991 über die Notare) (Magyar Közlöny 1991/109, im Folgenden: Gesetz über die Notare) geregelt.

Rz. 3

Nach § 1 Abs. 1 dieses Gesetzes verfügen die Notare über die Befugnis zur öffentlichen Beurkundung, damit sie den Parteien zum Zweck der Streitvermeidung unparteiische Rechtsdienstleistungen erbringen können.

Rz. 4

Nach § 1 Abs. 4 des Gesetzes nimmt der Notar als Teil der staatlichen Justizdienstleistungen im Rahmen der ihm gesetzlich zugewiesenen Zuständigkeiten offizielle Aufgaben der Rechtspflege wahr.

Rz. 5

§ 2 Abs. 1 des Gesetzes sieht vor, dass der Notar im Rahmen seiner Tätigkeiten nur dem Gesetz unterliegt und an keine Weisungen gebunden ist.

Rz. 6

§ 10 des Gesetzes über die Notare sieht vor, dass der Notar nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch für die von ihm verursachten Schäden haftet. Er muss ferner eine Versicherung abschließen, die während der gesamten Dauer seiner Tätigkeit etwaige Schäden deckt.

Rz. 7

Nach § 31/A Abs. 1 dieses Gesetzes können Notare ihre Tätigkeit entweder einzeln oder im Rahmen einer Sozietät ausüben. In § 31/E des Gesetzes wird präzisiert, dass die Gründung und die Ausgestaltung der Sozietät die im Gesetz über Notare festgelegte persönliche Rechtsstellung der Notare, u. a. die Verpflichtung, ihre Aufgaben persönlich auszuüben, sowie ihre standes- und materiell-rechtliche Haftung, nicht berührt.

Rz. 8

Die Notarhonorare sind im Közjegyzői díjszabásról szóló 14/1991. IM rendelet (Verordnung Nr. 14/1991 des Justizministers zur Festlegung der Notargebührenordnung) vom 26. November 1991 (Magyar Közlöny 1991/130) geregelt.

Rz. 9

Zu den Zugangsvoraussetzungen für das Notarsamt sieht § 17 Abs. 1 Buchst. a des Gesetzes über die Notare vor, dass nur ungarische Bürger zu Notaren ernannt werden können.

Notartätigkeiten in Ungarn

Rz. 10

§ 1 Abs. 1 des Fizetési meghagyásos eljárásról szóló 2009. évi L. törvény (Gesetz Nr. L von 2009 über das Zahlungsbefehlsverfahren) (Magyar Közlöny 2009/85, im Folgenden: Gesetz über das Zahlungsbefehlsverfahren) sieht vor, dass das Verfahren zur Ausstellung von Zahlungsbefehlen ein außergerichtliches, vereinfachtes Zivilverfahren zur Beitreibung von Geldforderungen ist, das in die Zuständigkeit der Notare fällt.

Rz. 11

Dieses Verfahren hat nach § 2 des Gesetzes dieselben Wirkungen wie ein Verfahren vor einem Gericht.

Rz. 12

§ 9 Abs. 1 des Gesetzes über das Zahlungsbefehlsverfahren sieht vor, dass auf elektronischem Weg gestellte Anträge auf Ausstellung von Zahlungsbefehlen – vorbehaltlich der Dispensfälle – automatisch und zu gleichen Teilen nach der Regelung der nationalen Notarkammer in Ungarn zwischen den Notariatssitzen aufgeteilt werden.

Rz. 13

Im Rahmen des Verfahrens zur Ausstellung von Zahlungsbefehlen sind nach § 18 Abs. 1 und 3 des Gesetzes über das Zahlungsbefehlsverfahren weder die Parteien zu hören, noch ist ein Verfahren zur Vorlage von Beweisen einzuleiten.

Rz. 14

Nach den einschlägigen Bestimmungen dieses Gesetzes und des Bírósági végrehajtásról szóló 1994. évi LIII. törvény (Gesetz Nr. LIII von 1994 über...

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