1.1 Der Anwendungsbereich des Ertragswertverfahrens

Gem. § 182 Abs. 3 BewG wird dieses Verfahren insb. bei Mietwohngrundstücken, bei Geschäftsgrundstücken und bei gemischt genutzten Grundstücken angesetzt, wenn sich für die Objekte eine verkehrsübliche Miete ermitteln lässt.

Beispiele für das Ertragswertverfahren

 

Beispiel 1

Ein Wohnhaus im Einzugsbereich einer süddeutschen Großstadt ist Ende Dez. 1998 mit elf Einheiten (Gesamtwohnfläche: 900 m²) bezugsfertig geworden und soll Ende 2008 auf die Kinder – ohne Gegenleistung – übertragen werden.

Monatlich werden als – vertraglich vereinbarte – "Nettomieten" 10.000 EUR überwiesen; die Einheiten sind alle gleich vermietet.

Das Mietshaus ist auf einer Fläche von 1.500 m² errichtet. Der vom Gutachterausschuss ermittelte Bodenrichtwert/m² beträgt in dieser Gemeinde 600 EUR.

Der Grundbesitzwert ist zu ermitteln.

Lösung:

 
I) Ermittlung des Bodenwerts    
1.500 m² × 600 EUR   900.000 EUR
II) Ermittlung des Gebäudeertragswerts
1. Reinertrags des Grundstücks
Rohertrag (12 × 10.000 EUR) 120.000 EUR  

– Bewirtschaftungskosten

(lt. Anlage 23/Rest-ND > 60 Jahre/Mietwohngrundstück): 21 Prozent ./.
25.200 EUR  
Reinertrag des Grundstücks 94.800 EUR  
2. Gebäudereinertrag
Reinertrag 94.800 EUR  

– Bodenwertverzinsung

(5 Prozent von 94.800 EUR)
– 4.740 EUR  
Gebäudereinertrag 90.060 EUR  
3. Gebäudeertragswert

Gebäudereinertrag × Vervielfältiger

(lt. Anlage 21: Rest-ND = 70 Jahre Liegenschaftszins 5 Prozent) = 19,34

Gebäudeertragswert 90.060 EUR × 19,34
  1.741.760 EUR
III) Grundstücksertragswert 2.641.760 EUR
 

Beispiel 2

Der Vater V überträgt ein 1979 erbautes Mietwohngrundstück mit acht Wohnungen im Jahr 2009 schenkungsweise auf seine Tochter T. Das Grundstück hat eine bezogene auf das Gebäude angemessene Größe von 1200 m², der Bodenwert beträgt 300 EUR/m², die Jahresnettokaltmiete beträgt 60.000 EUR. Der örtliche Gutachterausschuss kann weder einen Liegenschaftszinssatz noch die Bewirtschaftungskosten beziffern.

Lösung:

 

Bodenwert gem. §§ 182 Abs. 3, 179 BewG

Fläche 1.200 m² × Bodenrichtwert 300 EUR/m²
360.000 EUR

Gebäudeertragswert § 182 Abs. 3 BewG

Rohertrag (Jahresnettokaltmiete/übliche Miete)
60.000 EUR
– Bewirtschaftungskosten § 187 BewG mangels Angaben des örtlichen Gutachterausschusses Ermittlung nach Anlagen 22 und 23 zum BewG:
Mietwohngrundstück, Restnutzungsdauer 50 Jahre
(Gesamtnutzungsdauer nach Anlage 22 zum BewG:
80 Jahre, Alter 2009: 30 Jahre): 23 Prozent
60.000 EUR × 23 Prozent = 13.800 EUR
– 13.800 EUR
= Reinertrag 46.200 EUR
– Verzinsung Bodenwert gem. Liegenschaftszinssatz (§ 188 BewG)
Ansatz der gesamten Fläche, da zum Gebäude angemessene
Grundstücksgröße
Mangels Angaben des örtlichen Gutachterausschusses
Ermittlung Liegenschaftszinssatz aus § 188 Abs. 2 Nr. 1
BewG: 5 Prozent Bodenwert 360.000 EUR × 5 Prozent = 18.000 EUR
– 18.000 EUR
= Gebäudereinertrag 28.200 EUR

× Kapitalisierungsfaktor bei Liegenschaftszinssatz von 5 Prozent und
Restnutzungsdauer des Gebäudes von 50 Jahren beträgt der
Vervielfältiger gem. Anlage 21 zum BewG: 18,26

= Gebäudeertragswert § 185 Abs. 3 BewG
28.200 EUR × 18,26 = 514.932 EUR
514.932 EUR
Ertragswert des Grundstücks § 184 Abs. 3 BewG
(typisierter gemeiner Wert)
Bodenwert 360.000 EUR + Gebäudeertragswert 514.332 EUR
874.932 EUR

1.2 Das Sachwertverfahren

1.2.1 Der Anwendungsbereich

Immer dann, wenn kein Vergleichswert vorliegt oder wenn keine Vergleichsmiete zu ermitteln ist sowie bei sonstigen bebauten Grundstücken, schreibt § 182 Abs. 4 BewG das Sachwertverfahren vor.

1.2.1.1 Besonderheiten des Sachwertverfahrens

Die Ermittlung des Gebäudesachwerts geht zunächst – mangels Vergleichsbasis – von Regelherstellungskosten für das Gebäude aus (§ 190 Abs. 1 BewG), die in der umfangreichen Anlage 24 zum BewG normiert sind. Nachfolgend werden nur die Regelherstellungskosten für Geschäftsgrundstücke mit einer typisierten Gesamt-ND von 70 Jahren bzw. 60 Jahren wiedergegeben. Eine Gesamtnutzungsdauer von 60 Jahren wird z. B. angenommen bei Verwaltungsgebäuden, Bankgebäuden, Schulen, Kindergärten, Alten- und Pflegewohnheimen, Hotels und Sporthallen. Die Gebäude-HK werden pro Bruttogrundfläche ermittelt und sind nach Baujahren gestaffelt.

Nachfolgender amtlicher Auszug illustriert das Verfahren:

Zum Vergleich: Die Regel-HK für Ein- und Zweifamilienhäuser (Baujahr ab 2000; gehobener Ausstattungsstandard; mit Keller) betragen danach zwischen 910 EUR (bei nicht ausgebautem Dachgeschoss) und 1.010 EUR (mit ausgebautem Dachgeschoss bzw. mit Flachdach).

Das weitere Verfahren berücksichtigt nach § 190 Abs. 2 BewG eine Alterswertminderung, die in Abhängigkeit von der typisiert unterstellten wirtschaftlichen Gesamtnutzungsdauer (Anlage 22) errechnet wird.

Wie im Ertragswertverfahren werden nun der so ermittelte Gebäudesachwert und der Bodenwert saldiert und mit einer Wertzahl nach Anlage 25 multipliziert (§ 191 BewG). So beträgt beispielsweise die Wertzahl idealtypisch 1,0, wenn der vorläufige Sachwert 200.000 EUR und der dazugehörende Bodenrichtwert zwischen 150 EUR und 200 EUR/m² beträgt.

Je geringer der vorläufige Sachwert ermittelt wird, desto höher fällt die Wertzahl aus (und umgekehrt: bei einem vorläufigen Sachwert ...

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