Leitsatz

Die Beklagte wurde aus übergegangenem Recht auf Zahlung von Unterhalt für seine im April 1920 geborene und im März 2010 verstorbene Mutter für die Zeit von Mai 2007 bis September 2009 an Anspruch genommen.

Das erstinstanzliche Gericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Mutter des Beklagten habe ihre Unterhaltsansprüche gegen ihn gemäß § 1611 BGB verwirkt, weil sie ihn ohne nachvollziehbaren Grund kurz nach der Geburt zu der Großmutter zur Betreuung und Versorgung gegeben habe. Darüber hinaus sei seine Kindheit und Jugend eine einzige Folge von Zurücksetzungen, ungerechten Behandlungen und Schikanen gewesen.

Hiergegen richtete sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihren erstinstanzlichen Antrag weiterverfolgte.

Das Rechtsmittel erwies sich als teilweise begründet.

 

Sachverhalt

Siehe Kurzzusammenfassung

 

Entscheidung

Anders als das AG kam das OLG zu dem Ergebnis, der Klägerin stehe aus gemäß § 94 Abs. 1 S. 1 SGB XII übergegangenem Recht ein Anspruch auf Unterhalt nach §§ 1601 ff. BGB gegen den Beklagten zu.

Der Übergang der Unterhaltsansprüche sei nicht gemäß § 94 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII ausgeschlossen. Danach gingen die Ansprüche nicht über, soweit der Übergang des Anspruchs eine unbillige Härte darstellen würde.

Nach der Rechtsprechung des BGH (FamRZ 2004, 1097, 1098) unterliege der Begriff der unbilligen Härte den sich wandelnden Anschauungen in der Gesellschaft, zumal in früheren Zeiten bestimmte Verhaltensweisen ohne weiteres als selbstverständlich angesehen worden seien, während sie heute als Härte empfunden werden könnten. Weil bei der Auslegung der Vorschrift die Zielsetzung und die allgemeinen Gedanken der Sozialhilfe zu beachten seien, könne eine unbillige Härte u.a. dann angenommen werden, wenn und soweit die Grundsätze der familiengerechten Hilfe ein Absehen von der Heranziehung geboten erscheinen lasse (vgl. OLG Hamm FamRZ 2010, 303, 306 m.w.N.). Gemäß § 1611 Abs. 1 S. 1 BGB brauche der Unterhaltspflichtige nur einen Betrag in der der Billigkeit entsprechenden Höhe zum Unterhalt des Berechtigten leisten, wenn dieser u.a. seine eigene Unterhaltspflicht ggü. dem Unterhaltspflichtigen gröblich vernachlässigt oder sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen schuldig gemacht habe. Nur wenn die Inanspruchnahme grob unbillig wäre, falle die Verpflichtung ganz weg. Eine Vernachlässigung der Betreuung des eigenen Kindes könne grundsätzlich die Rechtswirkungen des § 1611 Abs. 1 BGB auslösen, auch wenn die Betreuung nicht in vollem Umfang persönlich erbracht werden müsse. Dies setze indes eine tief greifende Beeinträchtigung schutzwürdiger wirtschaftlicher Interessen oder persönlicher Belange des Pflichtigen voraus (vgl. BGH FamRZ 2004, 1559. OLG Celle FamRZ 1993, 1235, 1236. OLG München FamRZ 1992, 595, 597). Demgegenüber könne eine emotionale Vernachlässigung insbesondere in schwierigen Lebenssituationen für eine vorsätzliche schwere Verfehlung nicht ausreichend sein.

Im Hinblick auf die hier vorliegenden Umstände hielt das OLG eine Herabsetzung des geschuldeten Unterhalts um 25 % auf einen der Billigkeit entsprechenden Betrag für gerechtfertigt, weil zwischen dem Beklagten und seiner Mutter seit seinem Auszug aus dem elterlichen Haus mit Beginn seiner Ausbildung zum Schlosser und seinem Umzug im Jahre 1960 nahezu kein persönlicher Kontakt mehr bestanden habe. Nach der - insoweit auf die Beziehung zu einem minderjährigen Kind bezogenen - Rechtsprechung des BGH (FamRZ 2004, 1559, 1560) sei im Rahmen der Eltern-Kind-Beziehung auch zu berücksichtigen, ob der Elternteil Anteil am Leben seines Kindes und seiner Entwicklung nehme, ihm bei auftretenden Problemen und Schwierigkeiten zur Seite stehe und ihm die Gewissheit vermittle, ein ihm in Liebe und Zuneigung verbundener Elternteil für ihn zu sein. Ob diese Ausführungen des BGH auch auf die Zeit nach der Volljährigkeit zu übertragen seien und hiervon nach dem Auszug des Beklagten aus dem elterlichen Haushalt auszugehen sei, bedürfe im Hinblick auf einen mehrere Jahrzehnte fehlenden persönlichen Kontakt keiner Entscheidung.

Das OLG hat sich im Übrigen der Berechnung des Anspruchs auf Elternunterhalt auseinandergesetzt und sich zu den abzugsfähigen Positionen geäußert.

Dem Grunde nach sah es keine Veranlassung, den Unterhaltsanspruch der Klägerin wegen grober Unbilligkeit der Inanspruchnahme des Beklagten gänzlich zu verneinen.

 

Hinweis

Eine lesenswerte Entscheidung zum Elternunterhalt und der Berechnung des Anspruchs.

 

Link zur Entscheidung

OLG Celle, Urteil vom 26.05.2010, 15 UF 272/09

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