Leitsatz

Die Unterhaltspflicht von Kindern ggü. ihren pflegebedürftigen Eltern ist in § 1601 BGB geregelt. Dieser Vorschrift ist jedoch nicht zu entnehmen, wie die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit des unterhaltsverpflichteten Kindes konkret zu berechnen ist, welche Abzugspositionen zu berücksichtigen sind und von welchem Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen auszugehen ist.

In seiner Entscheidung vom 28.07.2010 hat der BGH nunmehr die verschiedenen von der Praxis entwickelten Berechnungsmodelle dargelegt und ein neues Berechnungsmodell entwickelt.

 

Sachverhalt

Der Kläger machte als Träger der Sozialhilfe aus übergegangenem Recht Ansprüche auf Elternunterhalt geltend. Die pflegebedürftige Mutter des Beklagten lebte in einem Seniorenzentrum. Die Kosten des Heimaufenthalts konnten aus ihren Renteneinkünften sowie den Leistungen der Grundsicherung und der Pflegeversicherung nur teilweise aufgebracht werden. Der Kläger gewährte ihr daher ergänzend Sozialhilfe. Durch Rechtswahrungsanzeige wurde der Beklagte von der Hilfeleistung unterrichtet.

Der Beklagte befand sich seit dem 1.7.2004 im Ruhestand und erhielt Versorgungsbezüge. Auch seine Ehefrau bezog seit 2006 Rentenleistungen. Die Ehegatten bewohnten eine Eigentumswohnung. Außer dem Beklagten waren noch zwei Brüder unterhaltspflichtig.

AG und OLG haben den Beklagten zu Unterhaltszahlungen verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers, mit der er höheren Unterhalt begehrte, hatte teilweise Erfolg.

 

Entscheidung

Der BGH kam zu dem Ergebnis, der Mutter des Beklagten stehe ein Barbetrag nach SGB XII und ein Zusatzbarbedarf gemäß § 133a SGB XII zu. Diese seien auch unterhaltsrechtlich anzuerkennen.

Aufwendungen für Hausrat und die Haftpflichtversicherung des Beklagten seien einkommensmindernd nicht abzusetzen. Sie seien vielmehr im Selbstbehalt enthalten, da es sich um geringfügige Beträge handele.

Die Altersversorgung des Beklagten sei grundsätzlich anerkennenswert. Dass er sich im Ruhestand befinde und daher keine Versorgungsrücklagen mehr gebildet werden könnten, ändere daran nichts. Da der Beklagte mit dem 60. Lebensjahr in den Ruhestand getreten sei, müsse er sich bis zum 65. Lebensjahr eine zusätzliche Altersversorgung aufbauen können. Beim Elternunterhalt hielt der BGH 5 % des Jahresbruttoeinkommens als zusätzliche Altersversorgung für angemessen.

Im Übrigen sei der hälftige Wohnvorteil dem Einkommen des Beklagten zuzurechnen.

Der Beklagte sei seiner Ehefrau ggü. unterhaltspflichtig. Der Familienunterhalt (§§ 1360, 1360a BGB) sei in einen Geldanspruch umzurechnen, wenn er in Konkurrenz mit anderen Unterhaltsansprüchen stehe. Der Unterhaltsbedarf des Ehegatten sei individuell aufgrund der Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu ermitteln. Dabei könne ein Vorwegabzug des Elternunterhalts in unteren und mittleren Einkommensbereichen, bei den eine Quotenberechnung in Betracht komme, unterbleiben. Anders könne das vorrangige Ziel, den angemessenen Unterhalt des Ehegatten zu gewährleisten, nicht erreicht werden.

Bei der Unterhaltsbemessung kam der BGH zu dem Ergebnis, das Einkommen des Beklagten sei um 10 % häuslicher Ersparnis zu verringern und dann hälftig dem Selbstbehalt zuzurechnen (faktisch also zu 45 %). Daraus ergäbe sich der "individuelle Familienselbstbehalt", der von den Ehegatten entsprechend dem Verhältnis ihrer anrechenbaren Einkommen anteilig zu tragen sei.

Die 10 %ige Haushaltsersparnis leite sich aus dem Sozialrecht ab. Nach wie vor sei die Hälfte des über den Familienbedarf hinausgehenden Einkommens für den Elternunterhalt einsetzbar.

Ebenso sei das für Unterhaltszwecke verfügbare Einkommen der Brüder des Beklagten zu berechnen. Aufgrund der für Unterhaltszwecke einsetzbaren Einkünfte der Geschwister werde die Haftungsquote ermittelt.

 

Hinweis

Der BGB hat in seiner Entscheidung pauschal darauf hingewiesen, dass bei einfachen und mittleren Einkünften der Elternunterhalt nicht als bedarfsprägend für den Familienunterhalt zu berücksichtigen sei. Über den eingeschränkten Anwendungsbereich des Berechnungsmodells des BGH nur auf Fälle eines höheren Einkommens des unterhaltspflichtigen Kindes ggü. seinem mit ihm zusammenlebenden Gatten und auf "selbstbehaltsnahe Einkünfte", sollte sich der im Familienrecht tätige Praktiker hinwegsetzen. Berechnungen zeigen, dass die vom BGH entwickelte Methode auch für andere Fälle angemessene Ergebnisse bringt. Es sollte daher davon abgesehen werden, für andere Fälle neu strukturierte Berechnungsmodelle zu entwickeln, um endlich eine klare Linie beim Elternunterhalt für alle Einkommensgruppen parat zu halten.

 

Link zur Entscheidung

BGH, Urteil vom 28.07.2010, XII ZR 140/07

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