2.1.4.1 Bedeutung

Für den Fall, dass Eltern in Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung für das Kind eine gemeinsame Entscheidung nicht zu treffen in der Lage sind, entscheidet das Familiengericht darüber, wem der beiden Sorgeberechtigten die Entscheidungsbefugnis zuzuordnen ist, § 1628 BGB.

Im Hinblick darauf, dass statistisch in rund 80 % der Fälle nach Trennung und Scheidung die Eltern gemeinsam die Verantwortung für Kinder ausüben, hat die Vorschrift des § 1628 BGB über die gerichtliche Entscheidung bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern erheblich an Bedeutung gewonnen.[1]

§ 1628 BGB ermächtigt die Gerichte allerdings nur dazu, einem Elternteil die Entscheidungskompetenz zu übertragen, fällt jedoch keine eigene Sachentscheidung.[2] Es wirkt aber auf eine Einigung der Sorgeberechtigten hin, § 156 FamFG.[3]

Gerichtliche Entscheidungen bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern gem. § 1628 BGB beziehen sich aber nur auf eine einzelne Angelegenheit oder eine bestimmte Art von Angelegenheit, nicht dagegen auf grundsätzliche Fragen, z. B. des Wohnsitzes der Kinder.[4]

§ 1628 BGB ist deshalb grundsätzlich restriktiv auszulegen und auf situative Entscheidungen zu begrenzen.[5]

 
Praxis-Beispiel

Zur Schulwahl (Regelschule oder Einschulung in eine Waldorfschule) hat das Amtsgericht Frankenthal[6] die Kriterien grundsätzlich erläutert. Es ist zu prüfen, welcher Elternteil am ehesten geeignet ist, eine am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung zu treffen. Dabei sind die Vorstellungen der Eltern über die gewünschte Schule an diesem Maßstab zu messen. Einzubeziehen ist, welche Auswirkungen die Schulwahl auch auf das soziale Umfeld des Kindes haben könnte. Das Gericht muss zwischen den vorgeschlagenen Entscheidungen für die regelungsbedürftige Angelegenheit abwägen, dabei die Interessen des Kindes beachten und so feststellen, welchem Vorschlag zu folgen ist. Zusätzlich sind auch die Betreuungsmöglichkeiten zu beachten.

Das Gericht entscheidet nicht darüber, welche Schulart für das Kind die am besten geeignete ist. Im entschiedenen Fall war es so, dass die Kindesmutter als Hauptbezugsperson davon besonders betroffen war und die Umsetzung überwiegend organisieren musste. Sie habe sich, so das Amtsgericht Frankenthal, tiefer und eingehender mit der Schulwahl beschäftigt als der Kindesvater. Das soziale Umfeld des Kindes und der Schulweg seien zu beachten. Auch der Wille des sechsjährigen Kindes sei zu beachten, wenngleich dieser in der Regel altersbedingt nicht entscheidend sei. Die Waldorfschule, so das Amtsgericht Frankenthal, ist eine staatlich anerkannte Ersatzschule. Deren Pädagogik, der dahinterstehende Gedanke der Anthroposophie, die besondere Schulorganisation usw. seien zwar diskutabel, aber könnten nicht per se als Gefahr für das Kindeswohl angesehen werden.[7]

Auch eine über die Einzelentscheidung hinausgehende Bedeutung kann ein Verfahren nach § 1628 BGB durchaus haben.

 
Praxis-Beispiel

Das KG hatte am 25. 7. 2017[8] eine Entscheidung zu fällen, bei der es vordergründig um die Übertragung der alleinigen Entscheidungsbefugnis im Sinne von § 1628 S. 1 BGB für die Anmeldung eines Kindes zur Schule ging. Da das Kind bisher im Wechselmodell betreut wurde und die Eltern weit voneinander entfernt wohnten (Fahrzeit 2 Stunden) stellte die Schulwahl letztlich die Weichen dafür, welcher Elternteil das Kind in Zukunft vorwiegend betreuen würde.

Da beide Elternteile zu dem Kind eine gute Beziehung hatten und auch gleichermaßen erziehungsgeeignet waren, sollte das Wechselmodell nach Einschätzung des Gerichts möglichst fortgeführt werden. Maßgeblich für den Vater sprach der Kontinuitätsgrundsatz, da das Kind an dessen Wohnort auch schon vor der Trennung der Eltern gelebt und dort stärker sozial und familiär verwurzelt war. Außerdem war er immer schon die Hauptbezugsperson des Kindes gewesen. Berücksichtigt wurde vom Gericht aber auch, dass die Gefahr bestehe, dass der eher „passiv“ erscheinende Vater sich aus dem Leben des Kindes zurückziehen werde, während der Mutter als „aktiverem“ Elternteil zugetraut wurde, dass sie auch unter erschwerten Bedingungen alles daran setzen würde, einen intensiven und umfangreichen Kontakt zum Kind aufrecht zu erhalten.

Zwar entschied das KG formal nur über eine einzelne Angelegenheit im Sinne des § 1628 S. 1 BGB, doch wurden hierbei die für die Anordnung des Wechselmodells entwickelten Kriterien umfassend berücksichtigt, weil hiermit in der Sache eine Weichenstellung für das zukünftige Betreuungsmodell verbunden war.[9]

Hier zeigt sich auch, dass die Wohnraumentfernung der Eltern über die Anordnung des Wechselmodells bzw. dessen Fortsetzung entscheiden kann. Bei Kindern, die noch nicht schulpflichtig sind, mag das im Einzelfall großzügiger gehandhabt werden können. Spätestens mit Schuleintritt des Kindes wird von den Gerichten jedoch die Erreichbarkeit der Schule von beiden Elternhaushalten aus verlangt, wenn das Wechselmodell angeordnet oder fortgesetzt werden soll.[10]

Im Hinblick darauf, dass statistisch in rund 80 % de...

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