Der Grund für die "Unzugänglichkeit des Nachbarrechts" dürfte darin zu sehen sein, dass bei seiner zusammenfassenden Regelung zu Beginn des 20. Jahrhunderts im BGB darauf verzichtet wurde, alle in Betracht kommenden nachbarrechtlichen Problemstellungen abschließend einheitlich zu regeln. Vielmehr wurden weite Regelungsbereiche den Landesgesetzgebern überlassen, die von ihrer Ermächtigung auf der Grundlage von Art. 124 EGBGB auch Gebrauch gemacht haben. Die das BGB ergänzenden Landesnachbarrechtsgesetze gibt es heute mit Ausnahme von Bremen, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern in allen anderen Bundesländern mit der Besonderheit für Bayern, dass sich das dortige Nachbarrecht in den Art. 43 bis 54 des Gesetzes zur Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs und anderer Gesetze (AGBGB) findet. Die landesgesetzlichen Regelungen sind weitgehend unbekannt, vielleicht auch wegen ihres häufig nur schwer verständlichen Inhalts.

Hinzu kommt, dass bei Inkrafttreten des BGB das Nachbarrecht im Wesentlichen privates Recht war.

Neben das private Nachbarrecht des BGB und der NRG, über das im Streitfall die Zivilgerichte zu entscheiden haben, ist aber im Laufe der Zeit in immer stärkerem Maße das öffentliche Nachbarrecht getreten. Dafür sind im Streitfall die Verwaltungsgerichte zuständig. Der Siegeszug des öffentlichen Nachbarrechts begann 1960 mit der in diesem Jahr erfolgten gerichtlichen Anerkennung eines nachbarrechtlichen Anspruchs auf baupolizeiliches Einschreiten (Baunachbarklage). Heute kommt ihm vor allem beim nachbarlichen Interessenausgleich im Baurecht und beim Schutz der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnliche Einwirkungen im Immissionsschutzrecht eine tragende Rolle zu.

Schließlich wird das Verständnis des Nachbarrechts auch nicht dadurch erleichtert, dass es in weiten Bereichen Richterrecht ist, weil es in vielen Fällen an klaren gesetzlichen Vorgaben fehlt. Das hat die Gerichte veranlasst, in Einzelfällen nachbarliche Rechtsstreitigkeiten im Wege der Rechtsfortbildung zu entscheiden.

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