Rz. 257

Der Pflichtteilsanspruch ist eine Kapitalforderung, die nach ihrer Geltendmachung mit ihrem Nominalwert beim Berechtigten als Erwerb zu besteuern und beim Verpflichteten mit diesem Wert als Nachlassverbindlichkeit abzuziehen ist. Für erbschaftsteuerliche Zwecke ist es irrelevant, wenn statt der Auszahlung des Pflichtteils in Geld ein Grundstück aus dem Nachlass übertragen wird; maßgeblich ist nämlich, worauf sich der Pflichtteilsanspruch richtet.[212] Wird der auf eine Geldzahlung gerichtete (geltend gemachte) Pflichtteilsanspruch durch Lieferung eines Grundstücks aus dem Privatvermögen des Erblassers erfüllt, ist dies ein entgeltliches Geschäft, das ggf. der Grunderwerbsteuer unterliegt und ein steuerbares privates Veräußerungsgeschäft i.S.d. § 23 EStG darstellen kann.

 

Beispiel:

Der übergangene Sohn S macht nach dem Tod des Vaters seinen Pflichtteil in Höhe von (unstreitig) 500.000 EUR geltend, nachdem die Lebensgefährtin seines Vaters Alleinerbin geworden ist. Der Anspruch wird durch Übereignung eines wertgleichen (unbebauten) Nachlassgrundstücks erfüllt, das der Erblasser innerhalb der letzten zehn Jahre für 400.000 EUR (inkl. NK) erworben hatte.

Maßgeblich für die Besteuerung ist der Wert der Geldforderung. S muss daher einen Erwerb von 500.000 EUR versteuern. Es kommt zu einer Erbschaftsteuerbelastung, da sein persönlicher Freibetrag überschritten wird; steuerpflichtig sind 100.000 EUR (unterstellt, dass der persönliche Freibetrag des Sohnes noch in voller Höhe zur Verfügung steht).

Außerdem entsteht, falls nicht die Befreiung nach § 3 Nr. 2 GrEStG zur Anwendung kommt, Grunderwerbsteuer in Höhe von mindestens 17.500 EUR.[213]

Die mit der Pflichtteilszahlung belastete Erbin kann 500.000 EUR als Nachlassverbindlichkeit abziehen. Außerdem verwirklicht sie ein steuerbares privates Veräußerungsgeschäft und erzielt einen einkommensteuerpflichtigen Gewinn von (mindestens) 100.000 EUR (§ 23 EStG).

 

Rz. 258

Die Besteuerung mit dem Nominalwert, die Gefahr einer Grunderwerbsteuerbelastung und der Annahme eines steuerbaren privaten Veräußerungsgeschäfts kann allerdings verhindert werden, indem das Eingreifen des Erwerbstatbestands nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG (Erwerb aufgrund eines geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs) vermieden und der Erwerb nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG (Abfindung für den Verzicht auf den entstandenen – aber noch nicht geltend gemachten – Pflichtteilsanspruch) erfolgt. Unterschiede ergeben sich daraus, dass der geltend gemachte Pflichtteil als Kapitalforderung mit dem Nominalwert zu bewerten ist, bei der Abfindung für den Verzicht auf die Geltendmachung dagegen der als Abfindung geleistete Vermögensgegenstand mit seinem Steuerwert maßgeblich ist.[214] Lassen sich mangels wesentlicher Bewertungsunterschiede keine bewertungsrechtlichen Vorteile mehr erreichen, können zumindest die Entstehung von Grunderwerbsteuer und auch ein privates Veräußerungsgeschäft mit ertragsteuerlichen Folgen vermieden werden.

 

Abwandlung:

Bevor S seinen Pflichtteil geltend macht, überlegt sich die Erbin, dass sie im Falle der Geltendmachung des Pflichtteils ein Nachlassgrundstück verkaufen müsste und hierbei ein einkommensteuerpflichtiger Gewinn aus privatem Veräußerungsgeschäft von mindestens 100.000 EUR entsteht und für diesen Erwerb Grunderwerbsteuer anfällt. Sie bietet S daher zur Abfindung des (nicht geltend gemachten) Pflichtteils die Übereignung des Grundstücks an. Bei optimaler Gestaltung entsteht weder Grunderwerbsteuer noch liegt ein privates Veräußerungsgeschäft vor.

[213] Grunderwerbsteuer kann abhängig davon, in welchem Bundesland der Grundbesitz belegen ist, mit 3,5–6,5 % anfallen, soweit keine der in § 3 GrEStG genannten Befreiungen vorliegt. Vorliegend erwirbt der Sohn von der nicht verwandten und nicht verschwägerten Lebensgefährtin des Vaters. Der BFH, Urt. v. 10.7.2002 – II R 11/01, BStBl II 2002, S. 775 ff. hat allerdings entschieden, dass der Erwerb auch insoweit nach § 3 Nr. 2 GrEStG steuerfrei sein soll.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge