Rz. 1

§ 12 ErbStG ist eine Vorschrift im II. Teil des ErbStG (Wertermittlung). Um die Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer nach der allgemeinen Formel Bemessungsgrundlage x Steuersatz ermitteln zu können, ist es erforderlich, diese Bemessungsgrundlage zu bestimmen.

Nachdem unter Anwendung der §§ 38 ErbStG die Frage beantwortet wird, ob und inwieweit überhaupt ein steuerpflichtiger Vorgang vorliegt, ist im Rahmen der Wertermittlung dessen Umfang zu klären. Dabei bestimmt sich nach § 10 ErbStG zunächst, welche Vermögensgegenstände und Schulden bzw. sonstige Verbindlichkeiten im Rahmen der Steuerberechnung anzusetzen sind. § 12 ErbStG regelt sodann deren Bewertung (im engeren Sinne) auf den Stichtag gem. § 11 ErbStG.[1] Hernach sind noch die sachlichen Steuerbefreiungen (§§ 1313d ErbStG) zu berücksichtigen und schließlich die persönlichen Steuerbefreiungen nach §§ 16 und 17 ErbStG.

Vor diesem Hintergrund regelt § 12 ErbStG nur einen kleinen – aber bedeutenden – Teilbereich der Ermittlung der steuerlichen Bemessungsgrundlage, nämlich die eigentliche Bewertung der einzelnen für den steuerpflichtigen Erwerb relevanten Vermögensgegenstände. Das Ziel der Bewertung besteht darin, den Wert sämtlicher relevanten Aktiva und Passiva in einem Geldbetrag auszudrücken, um diesen der weiteren Steuerberechnung zugrunde zu legen.[2]

Soweit im ErbStG der Begriff "Wert" verwendet wird, handelt es sich dabei regelmäßig um den Wert i.S.v. § 12 ErbStG, so insb. in § 3 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 oder § 5 Abs. 1 S. 5 ErbStG.[3]

 

Rz. 2

Als allgemeinen Bewertungsmaßstab hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschl. v. 7.11.2006[4] den Verkehrswert bzw. einen dem Verkehrswert angenäherten Wert vorgegeben. Der Gesetzgeber hat sich diesen Begriff nicht zu eigen gemacht, sondern – wie auch nach früherem Recht – am gemeinen Wert als oberstem Wertmaßstab festgehalten. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob und inwieweit der der Erbschaftbesteuerung zugrunde zu legende gemeine Wert (§ 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 9 BewG) den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspricht.

Der Verfassungsgerichtsbeschluss geht in Tz. 104 davon aus, dass der gemeine Wert durch Verkauf realisiert werden könne. Auf die zivilrechtliche Rechtsprechung zur Unternehmensbewertung, die sich grds. an Erkenntnissen der Betriebswirtschaftslehre orientiert und durch bewertungsrechtliche Regelungen nicht beschränkt ist, wird dabei verwiesen.[5] Dennoch goutiert das Bundesverfassungsgericht die bereits vor dem 1.1.2009 geltende erbschaft- bzw. schenkungsteuerrechtliche Regelbewertung mit dem gemeinen Wert (§ 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 9 BewG) und hält diese für verfassungskonform.[6] Vor diesem Hintergrund bildet der gemeine Wert i.S.v. § 9 BewG nach dem seit dem 1.1.2009 geltenden ErbStG durchgängig das Ziel der Bewertung nach § 12 ErbStG.[7]

 

Rz. 3

Allerdings kann der gemeine Wert zum Bewertungsstichtag gem. § 11 ErbStG nicht allgemein mit dem Verkehrswert im Sinne der zivilrechtlichen Rechtsprechung gleichgesetzt werden.[8] Denn teilweise steht das dem Erbschaftsteuer- und Bewertungsrecht zugrunde liegende statische Stichtagsprinzip im Widerspruch zu den die zivilrechtliche Betrachtung prägenden betriebswirtschaftlichen Grundsätzen. Dies gilt insb. im Zusammenhang mit der Bewertung von Unternehmen, die auf zukünftigen Ertragserwartungen aufbaut. Zum anderen sieht das Gesetz selbst aus Vereinfachungs- und Praktikabilitätserwägungen normative Verallgemeinerungen vor, die von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls abstrahierende Vorgaben enthalten und so zu Abweichungen vom tatsächlichen Verkehrswert führen. In diesem Zusammenhang sind insb. die Vorschriften zur Unternehmensbewertung nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren (§§ 199203 BewG) sowie zur Bewertung bebauter Grundstücke im Sachwertverfahren (§ 182 Abs. 4 BewG) oder im Ertragswertverfahren (§ 185 BewG)[9] zu erwähnen.

Mithin ist nach wie vor die der Wertermittlung vorgelagerte Frage, ob überhaupt eine Bereicherung im erbschaft- bzw. schenkungsteuerrechtlichen Sinne vorliegt, anhand der nach bürgerlich-rechtlichen bzw. betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ermittelten Verkehrswerte zu klären.

[1] Vgl. auch R E 12.1 S. 1 ErbStR 2019.
[2] Meincke/Hannes/Holtz, § 12 Rn 6; Hofmann, in: Viskorf/Schuck/Wälzholz, ErbStG und BewG, § 12 ErbStG Rn 2.
[3] Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 12 Rn 2; Meincke/Hannes/Holtz, § 12 Rn 1.
[7] Vgl. R E 12.1 S. 3 ErbStR 2019.
[8] Vgl. auch Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 12 Rn 4.
[9] Hier insb. die Vorgabe typisierter Bewirtschaftungskosten (§ 187 BewG) und typisierter Liegenschaftszinssätze (§ 188 BewG).

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