Rz. 26

Der Wert von Anteilen, für die kein Börsenkurs i.S.v. § 11 Abs. 1 BewG festgestellt werden kann,[76] wird gem. § 11 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 BewG vorrangig aus tatsächlich durchgeführten Verkäufen abgeleitet. Maßgeblich ist hierbei der tatsächlich erzielte, nicht der ursprünglich vereinbarte Erlös. Auch nach dem Bewertungsstichtag eintretende Kaufpreisminderungen sind zu berücksichtigen, wenn bzw. soweit das Recht zur Minderung bereits vor dem Stichtag entstanden ist bzw. die entsprechenden tatsächlichen Voraussetzungen schon bestanden. Dies gilt allerdings nur, wenn die Kaufpreisminderung auch tatsächlich vollzogen wird.[77]

 

Rz. 27

Im Übrigen bedeutet "Ableitung" nicht etwa, dass der gemeine Wert unbedingt mit den tatsächlich beobachteten Kaufpreisen übereinstimmen muss. Vielmehr bilden diese lediglich den Ausgangspunkt für die Bewertung der jeweils übertragungsgegenständlichen Beteiligung, sodass Umstände bzw. Ausstattungsmerkmale, hinsichtlich derer die bewertungsgegenständliche Beteiligung von den tatsächlich veräußerten abweicht, durch entsprechende, angemessene Zu- oder Abschläge zu berücksichtigen sind. Dies gilt bspw. für die Ableitung des Werts von nicht notierten Aktien einer bestimmten Gattung aus Kursnotierungen für Aktien einer anderen Gattung oder für die Ableitung des Werts einer Minderheitsbeteiligung aus dem bei der Veräußerung einer Mehrheitsbeteiligung erzielten Verkaufspreis.[78]

Insoweit geht der BFH allerdings davon aus, dass bei Fehlen konkreter Anhaltspunkte für die Zahlung eines Aufschlags für den Erwerb der Mehrheit (im entschiedenen Fall sogar von 100 %) der gemeine Wert einer Minderheitsbeteiligung aus dem durchschnittlichen Kaufpreis für den Erwerb der Mehrheitsbeteiligung abgeleitet werden müsse; Abschläge seien hier prinzipiell nicht erforderlich.[79] Hieran wird man mit Recht zweifeln dürfen, und zwar umso mehr, als das Gesetz selbst in § 11 Abs. 3 BewG eine Vermutung statuiert, dass mehrheitsvermittelnde Beteiligungen grundsätzlich höher zu bewerten seien als die Summe der in ihnen zusammengefassten Einzel-Anteile (vgl. Rdn 69 ff.).

 

Rz. 28

Auch wenn sich aufgrund einer Veränderung der Marktlage[80] oder wegen der Realisierung werterhöhender erwerbsbedingter Synergieeffekte nach dem zeitnahen Verkaufsvorgang i.S.v. § 11 Abs. 2 S. 1 BewG[81] Wertveränderungen eingestellt haben, ist dies im Rahmen der Wertableitung zu berücksichtigen. Der tatsächlich erzielte Verkaufspreis ist dann entsprechend zu korrigieren.[82] Dasselbe gilt, soweit zwischen dem Zeitpunkt einer i.S.v. § 11 Abs. 2 BewG maßgeblichen Veräußerung und dem Bewertungsstichtag Veränderungen der objektiven Gegebenheiten eintreten, die sich auf den Wert der in Rede stehenden Kapitalgesellschaftsanteile auswirken. Der tatsächlich erzielte Verkaufspreis kann dann nur die Grundlage der Bewertung bilden, wenn er mit Hilfe an objektiven Maßstäben orientierter Zu- bzw. Abschläge an die eingetretenen Veränderungen angepasst werden kann. Ist dies nicht möglich, scheidet ein Rückgriff auf diesen Verkaufspreis aus.[83]

 

Rz. 29

Relevant sind grds. nur Verkäufe unter fremden Dritten, die – im Besteuerungszeitpunkt, also am Stichtag – weniger als ein Jahr zurückliegen. Die Formulierung "unter fremden Dritten" stellt insoweit eine Änderung gegenüber der früheren Fassung des BewG (vor dem Erbschaftsteuerreformgesetz 2009) dar. Diese sprach von Veräußerungen im "gewöhnlichen Geschäftsverkehr" und meinte damit den Handel, der sich nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage unter frei agierenden Wirtschaftssubjekten vollzieht und bei dem jeder Vertragspartner ohne Zwang und unter Wahrung seiner eigenen Interessen zu handeln vermag.[84] Durch ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse beeinflusste Preise konnten nicht unter das Tatbestandsmerkmal "gewöhnlicher Geschäftsverkehr" subsumiert werden. Sie waren daher auszuscheiden; dies ergibt sich nach wie vor bereits aus § 9 Abs. 3 BewG. Nichtsdestotrotz lag nicht jeder Sondereinfluss außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs.[85] So war z.B. eine Preiserhöhung, die auf dem besonderen Interesse eines Unternehmens am Eintritt in einen bestimmten Markt beruht, nicht als ungewöhnlich anzusehen.[86] Dasselbe galt für den Handel mit Sperrminoritäten, Schachtelbeteiligungen oder Mehrheitsbeteiligungen an Kapitalgesellschaften.[87] Als Verkauf im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs konnte auch die Übernahme von GmbH-Anteilen anlässlich einer Kapitalerhöhung, z.B. bei Hinzutreten neuer Gesellschafter,[88] angesehen werden; ebenso die Ausgabe neuer Geschäftsanteile bei der Aufnahme eines neuen Gesellschafters.[89] Auch ein Ausscheiden aus der Gesellschaft gegen Abfindung kam als relevanter Verkauf in Betracht, soweit die Abfindung dem Verkehrswert der Beteiligung entsprach.[90] An alldem dürfte sich auch durch die Änderung des Gesetzeswortlauts nichts geändert haben.[91] Fraglich ist nur, ob und in wie weit derartige Vorgänge (sowie schlichte Verkäufe) auch dann der Bewertu...

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