Rz. 14

Wie atypisch gestaltete Verträge, z.B. von der Beteiligung am Nennkapital abweichende Gewinn- oder Liquidationserlösverteilungsabreden, zu berücksichtigen sind, ist trotz der Einfügung von § 97 Abs. 1b S. 4 BewG nicht abschließend geklärt. Für Bewertungsstichtage bis zum 31.12.2015[35] konnten im Rahmen der Aufteilung nach § 97 Abs. 1b BewG a.F. derartige Gesichtspunkte keine Berücksichtigung finden.[36] Dies hat sich durch die Einfügung eines Satzes 4 an § 97 Abs. 1b BewG für Bewertungsstichtage ab dem 1.1.2016 geändert.[37] Allerdings enthält weder das Gesetz noch die Gesetzesbegründung[38] klare Vorgaben, wie die Berücksichtigung auf den Anteilswert durchschlagender atypischer Gesellschaftsvertragsgestaltungen praktisch erfolgen soll.

 

Rz. 15

Außerdem gilt die von den Beteiligungen am Nennkapital abweichende Bewertung nach dem Wortlaut des Gesetzes nur für solche Vertragsklauseln, die nicht als "ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse" i.S.v. § 9 Abs. 2 und 3 BewG zu qualifizieren sind.[39] Insbesondere disquotale Stimmrechtsverteilungen, Stimmrechtsbeschränkungen, Verfügungsbeschränkungen und Vinkulierungsklauseln sowie Thesaurierungsverpflichtungen bzw. Ausschüttungsbeschränkungen finden daher nach wie vor im Rahmen der Bewertung keine Berücksichtigung.[40]

 

Rz. 16

In den – schmalen[41] – Anwendungsbereich von § 97 Abs. 1b S. 4 BewG fallen aber (nach dem Wortlaut) vom Verhältnis der Nennkapitalbeteiligungen zueinander abweichende Gewinnverteilungsschlüssel[42] und (nach zutreffender Auslegung) abweichende Beteiligungen am Liquidationserlös.[43] Die konkreten Auswirkungen solcher Satzungsklauseln auf die Wertaufteilung sind, wie erwähnt, gesetzlich nicht geregelt. Insoweit kommen unterschiedliche Ansätze in Betracht. Die Finanzverwaltung unterscheidet insoweit wie folgt:[44]

 

Rz. 17

Für den Fall der Vereinbarung eines von den Kapitalanteilen abweichenden Gewinnverteilungsschlüssels soll eine zweistufige Aufteilung des Gesamtwerts der Kapitalgesellschaft auf die Gesellschafter greifen. Dabei soll sich bis zur Höhe des Substanzwerts die Aufteilung nach dem Verhältnis der Beteiligungen am Nennkapital richten. Ein den Substanzwert übersteigender Rest-Unternehmenswert (z.B. der nach Abzug des Substanzwerts verbleibende Teil des Ertragswerts) ist anschließend nach dem Gewinnverteilungsschlüssel auf die Gesellschafter zu verteilen. Eine Berücksichtigung des abweichenden Gewinnverteilungsschlüssels findet also nur statt, wenn der aufzuteilende Wert der Kapitalgesellschaft über dem Substanzwert liegt.

 

Rz. 18

Bei von den Beteiligungsquoten abweichenden Vereinbarungen über die Verteilung eines etwaigen Liquidationserlöses will die Finanzverwaltung im Grunde den umgekehrten Weg gehen. Hier soll der Teil des Werts der Kapitalgesellschaft, der (gedanklich) auf den Substanzwert entfällt, nach dem abweichenden Schlüssel zu verteilen sein, der den Substanzwert übersteigende Teil des Unternehmenswerts (soweit vorhanden) aber nach dem Verhältnis der Nennkapitalbeteiligungen zueinander.

 

Rz. 19

So simpel das Vorgehen der Verwaltung auch erscheint, so schematisch und damit ungenau ist es auch. Insbesondere berücksichtigt es gerade nicht die konkreten Verhältnisse des bewertungsgegenständlichen Unternehmens. Und auch unter bewertungssystematischen Gesichtspunkten kann es nicht überzeugen.

Denn der grundsätzliche Ansatz der ertragswertorientierten Unternehmensbewertung unterstellt eine ewige Dauer des Unternehmens, soweit nicht im konkreten Fall eine Einstellung zu erwarten ist.[45] Hiermit ist der Gedanke der Verwaltung, den Substanzwertanteil nach einem anderen Schlüssel verteilen zu wollen als einen darüber hinaus gehenden Wertanteil, nur schwer vereinbar. Das gilt sowohl für Besonderheiten bei der Gewinnverteilung als auch für solche bei der Verteilung eines Liquidationserlöses. Denn im einen Fall (Gewinnverteilung) repräsentiert die Beteiligung an der Kapitalgesellschaft eben die Beteiligung an den künftigen Gewinnen; der Substanzwert ist demgegenüber (so lange er nicht realisiert wird) von völlig untergeordneter Bedeutung. Dies gilt auch für den Fall, dass ein (theoretischer) Liquidationserlös nach einem anderen Schlüssel verteilt werden soll.[46]

 

Rz. 20

Im Übrigen sieht § 11 Abs. 3 BewG zwar die Möglichkeit von Paketzuschlägen sowie Höherbewertungen aufgrund anderer besonderer Umstände vor. Eine korrespondierende Regelung, die Abschläge gegenüber dem durch pure Verhältnisrechnung bestimmten Anteilswert erlauben würde, fehlt indes. Hieran hat auch § 97 Abs. 1b S. 4 BewG nichts geändert.

[35] Zeitpunkt der Steuerentstehung, vgl. § 205 Abs. 8 BewG; vgl. auch gleich lautende Erlasse v. 2.3.2016, BStBl I 2016, 246.
[36] So auch die Finanzverwaltung, vgl. R B 97.6 Abs. 2 S. 3 ErbStR 2019; ebenso bereits gleich lautende Ländererlasse v. 5.6.2014, BStBl I 2014, 882, Tz 1.10.
[37] Hier ist § 97 Abs. 1b S. 4 BewG anzuwenden, und zwar auch dann, wenn ein nach altem Recht ermittelter Basiswert i.S.v. § 151 BewG vorliegen sollte. Dieser...

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