Rz. 355

Die Frage, ob und wie sich besondere gesellschaftsvertragliche Vereinbarungen, z.B. Entnahmebeschränkungen oder Vinkulierungsklauseln, auf die Bestimmung des gemeinen Werts (§ 9 BewG) von Unternehmen bzw. Unternehmensanteilen auswirken, ist seit langem umstritten. Der BFH geht in seiner Rechtsprechung davon aus, dass eine Berücksichtigung derartiger Besonderheiten bei der Ermittlung des gemeinen Werts (§ 9 BewG) ausscheidet.[834] Diese Sichtweise liegt offenbar auch den Überlegungen des Gesetzgebers zugrunde.[835] § 9 BewG blieb jedenfalls auch bei den jüngsten Reformen unangetastet.

Andererseits können bestimmte gesellschaftsvertragliche Besonderheiten (soweit sie auch tatsächlich umgesetzt werden) ein erhöhtes Verschonungsbedürfnis von Erwerben entsprechend belasteten Vermögens rechtfertigen,[836] weil die langfristig bestehende gesellschaftsvertragliche Beschränkung dazu führt, dass der objektive gemeine Wert der erworbenen Gesellschaftsanteile aus subjektiver Sicht des Erwerbers nicht verfügbar ist.[837] Vor diesem Hintergrund sieht § 13a Abs. 9 ErbStG einen Wertabschlag für Familienunternehmen (sog. Vorwegabschlag)[838] vor, soweit deren Gesellschaftsvertrag bestimmte, im Gesetz definierte Entnahme-, Verfügungs- und Abfindungsbeschränkungen enthält und diese Bestimmungen auch den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen, also "gelebt werden".[839]

Der Vorwegabschlag ist ausschließlich auf Gesellschaften zugeschnitten, für Einzelunternehmen kommt er von vornherein nicht in Betracht.[840] Dasselbe gilt (wohl) auch für Aktiengesellschaften, weil das Aktiengesetz die gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen nicht zulässt.[841] Dies erscheint unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten durchaus bedenklich.[842] Dies gilt umso mehr, als er auch der Höhe nach keinen Beschränkungen unterliegt[843] und sich im Prinzip wie ein zusätzlicher Freibetrag auswirkt, der weder einer Bedarfsprüfung noch den Behaltens- oder Lohnsummenanforderungen unterliegt.[844]

[834] BFH v. 17.6.1998 – II R 46/96, BFH/NV 1999, 17; kritisch hierzu Löcherbach, in: Viskorf/Schuck/Wälzholz, ErbStG und BewG, § 13a Rn 181; Seer/Michalowski, GmbHR 2017, 613; Kußmaul/Müller, Ubg 2017, 328, 332 ff.
[835] BT-Drucks 18/8911, S. 41.
[836] Vgl. Gesetzesbegründung BR-Drucks 18/5923, S. 24; BT-Drucks 18/8911, S. 41.
[837] BT-Drucks 18/8911, S. 41; vgl. auch Landsittel, ZErb 2015, 224, 226; Wachter, DB 2015, 1368, 1374.
[838] R E 13a.20 ErbStR 2019.
[839] Riedel, ZErb 2016, 371, 373.
[840] R E 13a.20 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 ErbStR 2019; Löcherbach, in: Viskorf/Schuck/Wälzholz, ErbStG und BewG, § 13a Rn 182; Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 13a Rn 474; Thonemann-Micker, DB 2016, 2312, 2316 mit Hinweis auf sich daraus möglicherweise ergebende verfassungsrechtliche Probleme.
[841] R E 13a.20 Abs. 1 S. 4 Nr. 2 ErbStR 2019; kritisch hierzu Wiedemann/Breyer, FuS 2018, 4, 5; Löcherbach, in: Viskorf/Schuck/Wälzholz, ErbStG und BewG, § 13a Rn 182.
[842] Wachter, FR 2016, 685, 702; Kotzenberg/Jülicher, GmbHR 2016, 1135; Weber/Schwind, ZEV 2016, 688, 689.
[843] R E 13a.20 Abs. 2 S. 3 ErbStR 2019; so bereits Weinmann, Erstkommentierung, § 13a Rn 50.
[844] Vgl. auch Steger/Königer, BB 2016, 3099, 3100; Thonemann-Micker, DB 2016, 2312, 2314.

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