Gesetzestext

 

1Der Pflichtteilsberechtigte kann die Ergänzung des Pflichtteils auch dann verlangen, wenn ihm die Hälfte des gesetzlichen Erbteils hinterlassen ist. 2Ist dem Pflichtteilsberechtigten mehr als die Hälfte hinterlassen, so ist der Anspruch ausgeschlossen, soweit der Wert des mehr Hinterlassenen reicht.

A. Allgemeines

 

Rz. 1

Die Vorschrift bietet dem Pflichtteilsberechtigten, der Erbe oder Vermächtnisnehmer wurde, Schutz vor lebzeitigen Schenkungen des Erblassers und bestätigt damit den Grundgedanken der Pflichtteilsergänzung. Sie ist Ausdruck der Unabhängigkeit des Pflichtteilsergänzungsanspruchs, der auch dann besteht, wenn ein ordentlicher Pflichtteilsanspruch nach §§ 2303, 2305, 2307 BGB nicht verlangt werden kann,[1] weil dem Pflichtteilsberechtigten die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils oder mehr hinterlassen wurde.[2]

 

Rz. 2

Die Anwendbarkeit der Regelung des § 2326 BGB für den Erben ist unabhängig vom Grund der Erbfolge, d.h., es spielt keine Rolle, ob der Pflichtteilsberechtigte gesetzlicher oder gewillkürter Erbe wurde.[3] Auch der Alleinerbe kann pflichtteilsergänzungsberechtigt sein. Sein Anspruch richtet sich zwangsläufig gegen den Beschenkten, § 2329 Abs. 1 S. 2 BGB.[4]

[1] Soergel/Dieckmann, § 2326 Rn 2; Staudinger/Olshausen, § 2326 Rn 1.
[2] MüKo/Lange, § 2326 Rn 1.
[3] RGZ 58, 124, 126; Staudinger/Olshausen, § 2326 Rn 1 m.w.N.
[4] Soergel/Dieckmann, § 2326 Rn 1; MüKo/Lange, § 2326 Rn 1.

B. Tatbestand

I. Pflichtteilsberechtigter als Erbe bzw. Vermächtnisnehmer (S. 1)

 

Rz. 3

Derjenige Pflichtteilsberechtigte, dessen Erbteil geringer ist als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, hat Anspruch auf Pflichtteilsergänzung in voller Höhe. Das Gleiche gilt für denjenigen pflichtteilsberechtigten Erben, dessen Erbteil dem Pflichtteil entspricht, S. 1. Anspruch auf volle Pflichtteilsergänzung besteht auch dann, wenn der Pflichtteilsberechtigte den ihm zugewandten beschwerten oder unbeschwerten hälftigen gesetzlichen Erbteil ausgeschlagen hat und ein Anspruch auf den ordentlichen Pflichtteil nicht mehr besteht. Die Anrechnung des Wertes der ausgeschlagenen Hinterlassenschaft sieht das Gesetz insoweit nicht vor.[5] Wurde dem Pflichtteilsberechtigten lediglich ein Vermächtnis zugewandt, so hat er Anspruch auf volle Pflichtteilsergänzung, wenn der Wert der ihm zugewandten Vermächtnisse seinen ordentlichen Pflichtteil nicht übersteigt. Erhält der Pflichtteilsberechtigte im Wege des Vermächtnisses wertmäßig mehr als seinen ordentlichen Pflichtteil, greift S. 2 ein.[6]

[5] Soergel/Dieckmann, § 2326, Rn 2; a.A. MüKo/Lange, § 2326 Rn 5 m.w.N.
[6] MüKo/Lange, § 2326 Rn 5.

II. Minderung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs (S. 2)

 

Rz. 4

Wird dem Pflichtteilsberechtigten mehr als die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils hinterlassen, so hat er sich denjenigen Betrag auf seinen Pflichtteilsergänzungsanspruch anrechnen zu lassen, um den sein Erbteil den ordentlichen Pflichtteil übersteigt.[7] Der Anrechnungsbetrag entspricht dem Quotenerbteil des Pflichtteilsberechtigten abzüglich des ordentlichen Pflichtteils. Die Berechnung der Höhe des Pflichtteilsergänzungsanspruchs erfolgt nach folgender Formel, die von J. Mayer entwickelt wurde:

EP = N + S : 2 Q – E[8]

(EP = Pflichtteilsergänzungsanspruch; N = Nachlass im Zeitpunkt des Erbfalles; S = Summe der Schenkungen; E = Wert des hinterlassenen Erbteils; Q = Nenner des gesetzlichen Erbteils des Ergänzungsberechtigten)

Nach dieser Formel wird zunächst der Gesamtpflichtteil aus realem und fiktivem Nachlass gebildet. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch ermittelt sich, indem vom Gesamtpflichtteil der Erbteil des pflichtteilsberechtigten Erben abgezogen wird.[9]

 

Rz. 5

Die Kürzung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs ist von Amts wegen zu berücksichtigen.[10]

[7] Vgl. Kerscher/Riedel/Lenz, Pflichtteilsrecht, § 9 Rn 123.
[8] MüKo/Lange, § 2326 Rn 2 m.w.N.
[9] BGH WM 1989, 382 = FamRZ 1989, 273.
[10] BGH NJW 1973, 995; OLG Hamm FamRZ 2011, 594, 595.

III. Hälfte des gesetzlichen Erbteils

 

Rz. 6

Umstritten ist, was unter dem Begriff "Hälfte des gesetzlichen Erbteils" zu verstehen ist.

Einerseits wird vertreten, dass zur Ermittlung des Kürzungsbetrages nach S. 2 auf die reine Erbquote nach §§ 2303, 1924 ff. BGB abzustellen ist.[11] Die h.M. in der Lit. stellt auf den sog. Wertpflichtteil ab,[12] der sich unter Berücksichtigung von Anrechnungs- und Ausgleichungspflichten ermittelt. Teilweise wird zur Berechnung eine "erweiterte Bemessungsgrundlage" aus Vorempfang und Werterbteil zugrunde gelegt.[13]

Maßgeblich muss richtigerweise der Normzweck des § 2326 BGB sein. Dieser liegt darin, den Pflichtteilsberechtigten gegen lebzeitige Schenkungen des Erblassers zu schützen. Insofern besteht eine Parallele zum ordentlichen Pflichtteil, bei dessen Berechnung Anrechnungs- und Ausgleichungspflichten nach §§ 2315, 2316 BGB zu berücksichtigen sind.[14] Dasselbe muss im Ergebnis aber auch beim Ergänzungsanspruch gelten. Andernfalls wären Wertungswidersprüche die Folge, wenn ordentlicher Pflichtteil und Pflichtteilsergänzungsanspruch nebeneinander zur Anwendung kommen.[15] Daher ist bei der zur Ermittlung des Kürzungsbetrages nach S. 2 auf den Wertpflichtteil abzustellen. Zur Berechnung kann auf die nachfolgende For...

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