Rz. 112

Die zum Problemkreis des unzureichenden Nachlasses ergangenen Entscheidungen stehen teilweise zueinander in deutlichem Widerspruch.[417] Der BGH hat zum Spannungsverhältnis von Ausgleichung und Pflichtteilsergänzung nur einmal am Rande Stellung genommen:[418] grundsätzlich vollzieht sich die Ausgleichung am realen Nachlass. Zur Durchführung der Ausgleichung werden sämtliche ausgleichungspflichtige Zuwendungen dem Nachlass hinzugerechnet. Anschließend erfolgt eine Anrechnung der Zuwendung auf den Erbteil desjenigen Abkömmlings, der sie erhalten hat. Die Hälfte dieses Wertes entspricht dem Wertpflichtteil gem. § 2316 Abs. 1 S. 1 BGB.[419] Hinterlässt ein Erblasser kein ausreichendes Vermögen, scheitert eine (vollständige) Ausgleichung, da nach § 2056 S. 2 BGB ein den Ausgleichungserbteil übersteigender Mehrbetrag vom Zuwendungsempfänger nicht herauszugeben ist. Die Ausgleichungsvorschriften klären somit nur die Frage, wie ein vorhandener Nachlass unter den Miterben zu verteilen ist. Das RG hat jegliche Berücksichtigung nur ausgleichungspflichtiger Vorempfänge bei der Ermittlung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs abgelehnt, soweit ein Erblasser keinen effektiven Nachlass hinterlässt. Eine Heranziehung auch der nur ausgleichungspflichtigen Vorempfänge würde die durch § 2056 BGB gewährleistete Befreiung von jeder Herausgabepflicht vereiteln.[420] Nach Auffassung des BGH steht jedoch § 2056 BGB einer Berücksichtigung nur ausgleichungspflichtiger Vorempfänge bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs nicht entgegen. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch der §§ 2325 ff. BGB verfolge das Ziel, den Berechtigten so zu stellen, als befände sich der verschenkte Gegenstand im Zeitpunkt des Erbfalls noch im Nachlass. Dieser Grundsatz gelte auch hinsichtlich ausgleichungspflichtiger Vorempfänge. Nach Auffassung des BGH hat die Ausgleichung am Ergänzungsnachlass zu erfolgen, da §§ 2056, 2316 BGB keine lex specialis gegenüber § 2325 BGB darstellen.[421] Ob diese Grundsätze auf den Negativnachlass übertragbar sind, wurde bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden, im Ergebnis kann hier aber wohl nichts anderes gelten.[422]

[417] RGZ 77, 282; BGH NJW 1965, 1526 ff.
[418] BGHZ 102, 289 = NJW 1988, 821.
[419] Kerscher/Riedel/Lenz, Pflichtteilsrecht, § 9 Rn 156.
[420] RGZ 77, 282.
[421] Vgl. hierzu BGH NJW 1965, 1526; bestätigt durch BGH NJW 1988, 821, 822 = FamRZ 1988, 280 f.; MüKo/Lange, § 2316 Rn 25; Soergel/Dieckmann, § 2316 Rn 29.
[422] Kerscher/Riedel/Lenz, Pflichtteilsrecht, § 9 Rn 159.

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