Rz. 4

Als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal setzt § 2304 BGB voraus, dass der Zuwendungsempfänger dem Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen angehört,[8] denn sonst ergibt die Anwendung dieser Auslegungsregel wenig Sinn. Der Begriff der Zuwendung ist weit auszulegen.[9] Der Gesetzgeber wollte ihn in einem nichttechnischen Sinne verstanden wissen.[10] Danach soll jede Art der (ausdrücklichen) Pflichtteilszuwendung erfasst werden.[11] Entscheidend ist aber, dass Gegenstand der Zuwendung tatsächlich der Pflichtteil sein muss, auch wenn es auf die Verwendung des Begriffs nicht entscheidend ankommt.[12] Eine Anwendung von § 2304 BGB ist ausgeschlossen, wenn dem Empfänger wertmäßig mehr oder weniger als sein Pflichtteil zukommen soll[13] oder er etwas anderes als einen reinen Geldanspruch erhält.[14] Das ist insbesondere auch dann der Fall, wenn Zuwendungen zur Deckung des Pflichtteils angeordnet werden. Soll der Berechtigte bestimmte Gegenstände erhalten, um so wertmäßig seinen Pflichtteilsanspruch abzugelten, ist hierin grundsätzlich die Anordnung eines Vermächtnisses zu sehen,[15] dessen Gegenstand gerade nicht der Pflichtteil, sondern ein aliud ist.[16]

 

Rz. 5

Für die Entscheidung, ob das Zugewendete mit dem Pflichtteil identisch ist, muss ausschließlich auf die objektive Rechtslage (im Zeitpunkt des Erbfalls) abgestellt werden.[17] Die diesbezüglichen Vorstellungen des Erblassers spielen hingegen keine Rolle.[18] Dies kann dazu führen, dass zwischen Testamentserrichtung und Erbfall eingetretene Veränderungen eine Anwendung von § 2304 BGB ausschließen können, selbst wenn der Erblasser tatsächlich nur den Pflichtteil zuwenden wollte.[19] In einem solchen Fall greift die gesetzliche Vermutungsregelung nicht ein, was aber natürlich nichts daran ändert, dass der Wille des Erblassers maßgeblich bleibt. Dieser ist dann im Rahmen des Möglichen anhand anderer (eigener oder gesetzlicher) Vorgaben zu ermitteln.

[8] MüKo/Lange, § 2304 Rn 3.
[9] MüKo/Lange, § 2304 Rn 3; Staudinger/Otte [2015], § 2304 Rn 1.
[10] Vgl. Prot. V, S. 499 f.
[11] Vgl. Staudinger/Otte [2015], § 2304 Rn 1.
[12] Staudinger/Otte [2015], § 2304 Rn 1; BeckOGK BGB/Gierl [2/2019], § 2304 Rn 5.
[13] OLG Frankfurt a.M. ZEV 2000, 513 m. Anm. Küpper.
[14] Aliud; Staudinger/Otte [2015], § 2304 Rn 5; MüKo/Lange, § 2304 Rn 4.
[15] MüKo/Lange, § 2304 Rn 9.
[16] MüKo/Lange, § 2304 Rn 4; Staudinger/Otte [2015], § 2304 Rn 6.
[17] MüKo/Lange, § 2304 Rn 4; Ferid, NJW 1960, 121, 122.
[18] MüKo/Lange, § 2304 Rn 4; a.A. Staudinger/Otte [2015], § 2304 Rn 6.
[19] MüKo/Lange, § 2304 Rn 4.

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