Gesetzestext

 

1Ein Testament kann auch dadurch widerrufen werden, dass der Erblasser in der Absicht, es aufzuheben, die Testamentsurkunde vernichtet oder an ihr Veränderungen vornimmt, durch die der Wille, eine schriftliche Willenserklärung aufzuheben, ausgedrückt zu werden pflegt. 2Hat der Erblasser die Testamentsurkunde vernichtet oder in der bezeichneten Weise verändert, so wird vermutet, dass er die Aufhebung des Testaments beabsichtigt habe.

A. Widerrufsgegenstand

 

Rz. 1

Bei § 2255 BGB handelt es sich um einen Ausnahmetatbestand, der einen körperlichen Eingriff oder einen Eingriff in die Schrift eines Testaments als Widerruf gelten lässt. Es handelt sich um einen Fall der konkludenten Widerrufserklärung. Widerrufshandlung i.S.v. § 2255 BGB ist ein tatsächliches Einwirken auf die Testamentsurkunde, und zwar auf das Original eines eigenhändigen Testaments. Liegen mehrere gleichlautende Originaltestamente vor und verändert oder vernichtet der Erblasser nur eines, kann S. 1 nur für alle Testamente angewendet werden, wenn keinerlei Zweifel am Aufhebungswillen aller besteht.[1] Der Widerrufswille muss sich dabei unzweifelhaft ergeben[2] und kann nicht nach S. 2 vermutet werden,[3] da bspw. die Möglichkeit besteht, dass der Erblasser die gleichlautenden Verfügungen vernichtet hat, um Missverständnissen vorzubeugen.[4]

 

Rz. 2

Bei einem öffentlichen Testament, welches sich in besonderer amtlicher Verwahrung befindet, scheidet eine Widerrufsmöglichkeit nach § 2255 BGB grundsätzlich aus. Hat der Erblasser auf der bei ihm verbliebenen Ausfertigung oder beglaubigten Abschrift des öffentlichen Testaments Widerrufshandlungen in Form von Streichungen oder Entwertungsvermerken vorgenommen, so führen diese nur dann zum Widerruf, wenn sie in Form einer letztwilligen Verfügung, also eigenhändig, ge- und unterschrieben wurden und danach als Widerrufstestament i.S.v. § 2254 BGB gelten.[5]

[1] BayObLG NJW-RR 1990, 1480; Staudinger/Baumann, § 2255 Rn 21.
[2] RGZ 14, 183.
[3] BayObLG NJW-RR 1990, 1480.
[4] Reimann/Bengel/Mayer/Voit, § 2255 Rn 11.
[5] Zur Frage, inwieweit die Vernichtung des Entwurfs eines öffentlichen Testaments als Widerruf gewertet werden kann, vgl. BayObLG Rpfleger 1996, 349.

B. Objektiver Tatbestand (Einwirkungshandlung)

I. Vernichtung

 

Rz. 3

Das Tatbestandsmerkmal Vernichtung setzt voraus, dass die Testamentsurkunde durch Zerreißen, Zerschneiden oder durch sonstige Eingriffe auf die Substanz der Urkunde vollständig zerstört wird. Kommt es nicht zu einer vollständigen Zerstörung, sondern nur zu einer teilweisen Vernichtung der Urkunde, weil bspw. nur eine bestimmte Stelle aus dem Testament herausgerissen wurde, liegt keine Vernichtung vor, sondern allenfalls eine Veränderung. Ebenso wenig sind ein Verlust der Testamentsurkunde oder eine Nichtauffindbarkeit eine Vernichtung i.S.d. § 2255 BGB, auch nicht die formlose Billigung eines Verlustes.[6] Ein verlorenes Testament kann daher nur durch ein Widerrufstestament nach § 2254 BGB oder ein widersprechendes Testament nach § 2258 BGB widerrufen werden.

[6] BGH NJW 1951, 559; BayObLG NJW-FER 1998, 109.

II. Veränderung

 

Rz. 4

Die Veränderung einer letztwilligen Verfügung ist ein Eingriff in die Schrift eines Testaments, ohne die Urkunde insgesamt zu zerstören. Im Verhältnis zur Vernichtung einer Testamentsurkunde muss der Eingriff aus objektiver Sicht den Widerrufswillen des Erblassers widerspiegeln. Bejaht wird eine Anwendung von § 2255 BGB danach, wenn der Erblasser Texte durchstreicht, unleserlich macht, wegradiert oder einreißt.[7] Gleiches gilt, wenn er wesentliche Teile des Textes oder die Unterschrift wegschneidet oder wenn er das Testament zerknüllt.[8] Im Zweifelsfall ist jedoch die Frage der Formwirksamkeit von der Frage des Beweiswerts eines Testaments abzugrenzen.[9] Keine Veränderung ist hingegen, wenn das Testament ohne es zu zerknüllen weggeworfen wird.[10] Streicht ein Erblasser den Text seines Testaments und zusätzlich seine Unterschrift komplett durch, so ist davon auszugehen, dass er diese Verfügung widerrufen hat. Das widerrufene Testament kann jedoch zur Auslegung eines späteren, unvollständig gebliebenen Testaments herangezogen werden, wenn der Erblasser dieses Testament gemeinsam mit dem widerrufenen Testament in einem Umschlag verschlossen und aufbewahrt hat.[11] Werden lediglich einzelne Textstellen gestrichen, so führt dies nicht zwingend zum Widerruf der gesamten letztwilligen Verfügung.[12] Bei nicht eigenhändig unterschriebenen Streichungen oder Entwertungsvermerken (ungültig, veraltet etc.) ist zu prüfen, ob sie aus objektiver Sicht den Widerrufswillen der letztwilligen Verfügung bekunden.[13] Ist der Entwertungsvermerk bspw. quer über den gesamten Text geschrieben, so ist von einem Widerruf auszugehen.[14] Gleiches gilt, wenn sich der Ungültigkeitsvermerk am Rande der Urkunde befindet und den Widerrufswillen deutlich erkennbar macht.[15] Ist hingegen ein Entwertungsvermerk lediglich auf dem Umschlag angebracht, in dem sich das Testament befindet, so genügt dies für einen Widerruf nicht,[16] es sei denn, er ist in handschriftlicher Form geschrieben und mit Unte...

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