Gesetzestext

 

Hat der Erblasser angeordnet, dass der Erbe mit dem Eintritt eines bestimmten Zeitpunkts oder Ereignisses die Erbschaft einem anderen herausgeben soll, so ist anzunehmen, dass der andere als Nacherbe eingesetzt ist.

A. Umdeutung der Verfügung

 

Rz. 1

Die Vorschrift deutet die Anordnung des Erblassers, die Erbschaft sei mit dem Eintritt eines bestimmten Zeitpunkts oder Ereignisses an einen anderen herauszugeben, zugunsten des Berechtigten als Nacherbeinsetzung. Diese Auslegungsregel trägt dem Umstand Rechnung, dass in der Laiensphäre die Herausgabepflicht (§ 2130 BGB) als besonders sinnfällige Wirkung des Übergangs der Erbenstellung leicht anstelle deren Ursache genannt wird.[1] Das Gesetz folgert daher aus der Herausgabeanordnung, dass der Erblasser eine Vor- und Nacherbeinsetzung und nicht lediglich eine Vermächtnisanordnung gewollt hat[2] Die Regelung ist nicht zwingend; sie findet nur Anwendung, wenn sich durch Auslegung kein eindeutiger Wille des Erblassers feststellen lässt.

 

Rz. 2

Begrifflich setzt die Anwendung der Vorschrift voraus, dass die letztwillige Verfügung dem Herausgabepflichtigen zumindest vorübergehend die Stellung eines Vorerben zugedacht hat.[3] Der Zeitpunkt der Herausgabe muss daher eine gewisse Zeitspanne nach dem Tod des Erblassers liegen.[4] Die Bestimmung des Zeitpunkts der Herausgabe kann nicht einem Dritten überlassen werden.[5] Die Anordnung, A solle Erbe sein, den Nachlass aber sofort an X herausgeben, ist keine Vorerbeneinsetzung. Nichtig muss eine solche Anordnung gleichwohl nicht sein, da in ihr eine unmittelbare Erbeinsetzung des X verbunden mit der Ernennung des A zum Testamentsvollstrecker liegen kann.[6]

 

Rz. 3

Um als Nacherbeinsetzung interpretiert werden zu können, muss die Herausgabeanordnung auf den ganzen Nachlass oder einen Bruchteil[7] hiervon gerichtet sein. Bezieht sich die Anordnung lediglich auf die Herausgabe einzelner Gegenstände – auch wenn diese im Wesentlichen den ganzen Nachlass ausmachen – oder einer Quote des Nachlasswertes, liegt keine Nacherbeinsetzung, sondern die Anordnung eines befristeten oder aufschiebend bedingten Vermächtnisses vor (zum Quotenvermächtnis siehe § 2147 Rdn 13). Herausgabe, die nicht zu Eigentum erfolgen soll, sondern zu nur temporärer Nutzung, reicht zur Annahme von Nacherbschaft nicht aus.

[1] Staudinger/Avenarius, § 2103 Rn 1; a.A. (Ergänzungsregel) RGRK/Johannsen, § 2103.
[2] BayObLGZ 22, 94.
[3] RG LZ 1923, 321 f.
[4] Palandt/Weidlich, § 2103 Rn 2.
[5] BGHZ 15, 199 = NJW 1955, 100.
[6] RGRK/Johannsen, § 2103; MüKo/Grunsky, § 2103 Rn 2; Staudinger/Avenarius, § 2103 Rn 3 nimmt an, dass eine solche Anordnung auch als Vermächtnis rechtlich möglich u. insoweit sinnvoll sein kann, als der Nachlass bspw. einem nichtrechtsfähigen Verein über einen treuhänderisch handelnden Erben zugewendet werden solle.
[7] KG OLGE 11, 239.

B. Einzelfälle

 

Rz. 4

In der Einsetzung auf den Überrest kann die Anordnung einer Nacherbschaft unter Befreiung des Vorerben liegen (§§ 2137, 2138 BGB).[8] Die Anordnung, dass der überlebende Ehegatte im Fall der Wiederverheiratung den Nachlass oder einen Teil hiervon an die Kinder herauszugeben habe, kann als bedingte Nacherbfolge angesehen werden.[9] Haben sich Ehegatten im gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Erben eingesetzt und angeordnet, dass der beiderseitige Nachlass nach dem Tod des Überlebenden an einen Dritten herausgegeben werden soll, geht allerdings die Auslegungsregel des § 2069 BGB der des § 2103 BGB vor; hier ist daher, wenn sich ein abweichender Testierwille nicht feststellen lässt, von einer Schlusserbeneinsetzung auszugehen.[10] Eine Nacherbeinsetzung kann auch in Anordnungen des Erblassers liegen, mit denen dem Erstberufenen geboten wird, zugunsten eines Dritten letztwillig zu verfügen oder den Nachlass nach Eintritt eines bestimmten Zeitpunkts oder Ereignisses mit einem Dritten zu teilen.[11]

[8] RGZ 152, 189, 190.
[9] KG OLGE 39, 17.
[10] Staudinger/Avenarius, § 2103 Rn 6; AK/Schaper, § 2103 Rn 2.
[11] Staudinger/Avenarius, § 2103 Rn 7 f.

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