Gesetzestext

 

Hat der Erblasser die Abkömmlinge eines Dritten ohne nähere Bestimmung bedacht, so ist im Zweifel anzunehmen, dass diejenigen Abkömmlinge nicht bedacht sind, welche zur Zeit des Erbfalls oder, wenn die Zuwendung unter einer aufschiebenden Bedingung oder unter Bestimmung eines Anfangstermins gemacht ist und die Bedingung oder der Termin erst nach dem Erbfall eintritt, zur Zeit des Eintritts der Bedingung oder des Termins noch nicht gezeugt sind.

A. Allgemeines

 

Rz. 1

§ 2070 BGB stellt eine Auslegungsregel dar. Für den Fall, dass der Erblasser die Abkömmlinge eines Dritten ohne nähere Bestimmung bedacht hat, ist nicht zwingend, dass hiermit nur diejenigen bedacht sind, die zur Zeit des Erbfalls leben oder zumindest erzeugt sind. Diejenigen Abkömmlinge des Dritten, die später erzeugt sind, kommen zwar nicht als Erben, jedoch als Nacherben in Betracht (§ 2101 Abs. 1 S. 1 BGB). Im Übrigen können die später erzeugten Abkömmlinge auch ein mit der Geburt anfallendes Vermächtnis (§ 2178 BGB) oder ein Nachvermächtnis (§ 2191 BGB) erhalten. Mit der Regelung des § 2070 BGB sollen klare Verhältnisse geschaffen werden. Es soll vielmehr vermieden werden, dass Ungewissheit darüber besteht, ob noch Nacherben hinzukommen werden bzw. ob die Abkömmlinge des Dritten, die beim Erbfall vorhanden sind, die Zuwendung behalten können oder sie an später gezeugte Personen herausgeben müssen. Nach Ansicht des Gesetzgebers entsprach es dem Erblasserwillen, nur die Abkömmlinge zu bedenken, die beim Erbfall vorhanden sind.

B. Tatbestand

I. Abkömmlinge

 

Rz. 2

Die Abkömmlinge eines Dritten müssen bedacht worden sein. Es ist erforderlich, dass die "Abkömmlinge" eines Dritten mit dieser allg. Bezeichnung bedacht sind. Auch wenn nicht der Begriff des Abkömmlings, sondern Begriffe wie "Kinder" oder "Nachkommen" eines Dritten verwendet werden, ist die Vorschrift des § 2070 BGB anwendbar.[1] Ob der Dritte im maßgeblichen Zeitpunkt, d.h. zum Zeitpunkt des Erbfalls bzw. zum Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung, noch lebt, ist für die Anwendbarkeit von § 2070 BGB unerheblich. Auf die Abkömmlinge von Geschwistern des Erblassers findet § 2070 BGB ebenfalls Anwendung.[2]

[1] MüKo/Leipold, § 2070 Rn 2.
[2] Soergel/Loritz, § 2070 Rn 2; BeckOGK/Gomille, § 2070 BGB Rn 5.

II. Abkömmlinge eines Dritten

 

Rz. 3

Erfasst werden nur die Zuwendungen an die Abkömmlinge eines Dritten, nicht jedoch die Zuwendungen an die Abkömmlinge des Erblassers.[3] Die Vorschrift des § 2070 BGB findet somit dann keine Anwendung, wenn der Erblasser Personen zu seinen Erben eingesetzt hat, die zu seinen Abkömmlingen gehören. Nach einer Ansicht sind hier jedoch die Regeln der gesetzlichen Erbfolge heranzuziehen. Es wird auf den erbfähigen Personenkreis im Zeitpunkt des Erbfalls abgestellt.[4] Nach a.A. ist § 2070 BGB hingegen nicht anwendbar, wenn der Dritte selbst Abkömmling des Erblassers ist, da in diesem Fall eigene Abkömmlinge bedacht sind.[5]

 

Rz. 4

Hat der Erblasser die Abkömmlinge eines seiner Kinder zu Erben eingesetzt, ist in diesem Fall im Wege der Auslegung zu entscheiden, ob auch solche Abkömmlinge, die erst nach dem Erbfall gezeugt werden, als bedacht gelten.[6] In den Fällen, in denen diese Abkömmlinge als bedacht gelten, wirkt die Erbeinsetzung für diese nur als Nacherbeneinsetzung. § 2070 BGB gilt nicht.

 

Rz. 5

Hat der Erblasser entferntere Abkömmlinge eingesetzt, ist § 2070 BGB nicht anwendbar.[7] Es handelt sich um die Fälle, in denen der Erblasser seine Enkelkinder bedenkt, ohne auch sein noch lebendes Kind zu bedenken. Für diese Fälle findet § 2070 BGB keine unmittelbare Anwendung, da es sich bei den Abkömmlingen der Abkömmlinge nicht um Abkömmlinge Dritter handelt, sondern um die Abkömmlinge des Erblassers.[8] Auch eine analoge Anwendung scheidet aus, und zwar aus dem Grund, weil dem Erblasser nicht unterstellt werden kann, dass er noch nicht gezeugte Enkelkinder generell ausschließen wollte.[9] Hier greift die Auslegung ein. Im Wege der Auslegung ist zu ermitteln, ob auch noch nicht Gezeugte zum Zuge kommen sollen oder nicht.

 

Rz. 6

Unter den Begriff des Dritten fallen sowohl die jetzige als auch die frühere Ehefrau des Erblassers, dessen Geschwister, Verschwägerte oder Freunde. In Bezug auf die Ehefrau gilt jedoch einschränkend, dass diese nur Dritte ist, sofern deren Abkömmlinge nicht auch die Abkömmlinge des Erblassers sind.[10]

[3] MüKo/Leipold, § 2070 Rn 3.
[4] KG OLGE 24, 72 – aufgegeben in KG JFG 10, 63; MüKo/Leipold, § 2070 Rn 3.
[5] OLG Köln FamRZ 1992, 475.
[6] OLG Köln FamRZ 1992, 475; Soergel/Loritz, § 2070 Rn 6.
[7] Burandt/Rojahn/Czubayko, § 2070 Rn 4; MüKo/Leipold, § 2070 Rn 3; Soergel/Loritz, § 2070 Rn 6; Staudinger/Otte (2013), § 2070 Rn 4.
[8] OLG Köln DNotZ 1993, 813 = FamRZ 1992, 475.
[9] BeckOK BGB/Litzenburger, § 2070 Rn 2; Burandt/Rojahn/Czubayko, § 2070 Rn 4; Soergel/Loritz, § 2070 Rn 6; Staudinger/Otte (2013), § 2070 Rn 4.
[10] Soergel/Loritz, § 2070 Rn 2.

III. Ohne nähere Bestimmung

 

Rz. 7

Hat der Erblasser den Kreis der Bedachten in seiner letztwilligen Verfügung näher bestimmt, geht diese Bestimmung der Anwendung des § 2070 BGB in jedem Falle vor. Ist im ...

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