3.1 Abweichung von Mindestanforderungen

 

Rz. 4

Eine Abweichung von den gesetzlichen Mindestanforderungen ist unzulässig, wenn diese zu Ungunsten des Auszubildenden wirkt. Im Gegenschluss sind abweichende Regelungen zugunsten des Auszubildenden zulässig. Bei der Beurteilung, die wie eine Abweichung wirkt, muss ein objektiver Maßstab zugrunde gelegt werden.[1] Für die erforderliche Vergleichsbetrachtung stehen unterschiedliche Anknüpfungspunkte zur Auswahl. Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass – wie beim Günstigkeitsvergleich nach § 4 Abs. 3 TVG – ein Sachgruppenvergleich maßgeblich ist. Danach sind die "in einem offensichtlichen inneren Zusammenhang stehenden vertraglichen Bestimmungen mit den entsprechenden gesetzlichen Vorschriften im Hinblick auf die Lage des Auszubildenden miteinander zu vergleichen".[2]

 
Praxis-Beispiel
  • Der Ausschluss einer Ausbildungsvergütung ist nichtig.[3]
  • Der Verzicht auf Ausbildungsvergütung ist auch dann eine unzulässige Regelung zu Ungunsten des Auszubildenden, wenn der Ausbilder keinen Bedarf für einen Auszubildenden hatte und diesem nur die Fortsetzung einer abgebrochenen Lehre ermöglichen wollte.[4]
  • Eine Rückzahlungsvereinbarung, nach der der Auszubildende im Fall einer Eigenkündigung die Sonderaufwendungen für den Besuch einer anderen als der staatlichen Bildungseinrichtung zurückzuzahlen hat, ist bereits nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 BBiG nichtig.[5]
  • Das BAG hat allerdings anerkannt, dass eine Probezeit über die eigentliche Höchstfrist von 4 Monaten verlängert werden kann, wenn die tatsächliche Ausbildung während der Probezeit innerhalb eines signifikanten Zeitraums nicht durchgeführt wurde.[6] Auch wenn das BAG dies damit zu begründen versucht, die Verlängerung der Probezeit liege auch im Interesse des Auszubildenden, der das Ausbildungsverhältnis so eine längere Zeit jederzeit beenden könne, lässt sich das Ergebnis eigentlich nur mit dem auch vom BAG herangeführten praktischen Argument rechtfertigen, dass das Ausbildungsverhältnis sonst mit Sicherheit vom Ausbildenden beendet worden wäre.
[1] BAG, Urteil v. 9.6.2016, 6 AZR 396/15 mit weiteren Nachweisen.
[2] BAG, Urteil v. 9.6.2016, 6 AZR 369/15.
[3] Hessisches LAG, Urteil v. 8.11.1984, 3 Sa 424/84.

3.2 Nichtigkeitsfolge

 

Rz. 5

Rechtsfolge eines Verstoßes gegen die Unabdingbarkeit der Mindestvorschriften gem. § 25 BBiG ist die rückwirkende Nichtigkeit (ex tunc) der betroffenen Regelung. Andere Teile des Vertrages bleiben hiervon unberührt, § 139 BGB ist zum Schutz des Auszubildenden nicht anwendbar. Eine Regelungslücke wird dadurch vermieden, dass die ungünstige nichtige Regelung durch die günstigere gesetzliche Vorschrift ersetzt wird.

 
Praxis-Beispiel

Vergütung während der Freistellung

Die Parteien haben im Ausbildungsvertrag vereinbart, dass der Auszubildende für Zeiten der Freistellung, in denen er am Berufsschulunterricht teilnimmt, nur 50 % seiner Ausbildungsvergütung erhält. Die Regelung verstößt gegen § 19 Abs. 1 Nr. 1 BBiG und ist insofern jedenfalls nach § 25 BBiG nichtig. Der Ausbildungsvertrag bleibt ansonsten jedoch wirksam. Der nichtige Teil entfällt und der Auszubildende kann auf der Grundlage der gesetzlichen Mindestbedingung 100 % seiner Vergütung verlangen.

 
Praxis-Beispiel

Kündigungsfristen

Vereinbaren die Parteien für alle Kündigungen nach § 22 Abs. 2 BBiG eine 2-wöchige Kündigungsfrist, wird es hingegen komplizierter. Die entfristete Kündigung in der Probezeit kommt schließlich nicht nur dem Ausbildenden zugute, sondern kann auch denjenigen Auszubildenden erfreuen, der das Ausbildungsverhältnis so schnell wie möglich aufgeben möchte. Die Verkürzung der Kündigungsfrist bei der Berufswechselkündigung kommt hingegen allerdings nur dem Auszubildenden zugute, der sich ja selbst im Fall einer solchen Vereinbarung entscheiden könnte, mit einer längeren Frist zu kündigen. Richtigerweise wird man daher die Verkürzung der Kündigungsfrist bei der Berufswechselkündigung zulassen müssen.

Hiervon getrennt zu betrachten ist allerdings die Probezeitkündigungsfrist, zumal es ja um verschiedene Situationen und Zeiträume geht. Eine Verlängerung der normalen Kündigungsfrist ist zwar im allgemeinen Arbeitsrecht zulässig, wie sich aus § 622 Abs. 5 Satz 3 BGB ergibt. Da eine entsprechende Regelung im BBiG fehlt, spricht viel dafür, dass eine vertragliche Verlängerung der Probezeitkündigungsfrist nicht wirksam ist, weil sie eben auch den Auszubildenden gegenüber der gesetzlichen Wertentscheidung länger binden würde. Unbenommen bleibt es jeweils den Parteien, gleichwohl mit einer längeren Frist zu kündigen. Nur vertraglich erzwingbar ist das nicht.

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