Rz. 8

Der Aufsichtsrat bestellt den Vorstand und beruft ihn ggf. ab. Bereits bei der Auswahl der geeigneten Personen können dem Aufsichtsrat Versäumnisse unterlaufen, für die er in die Haftung geraten kann. Ferner handelt der Aufsichtsrat mit dem Vorstand den Anstellungsvertrag aus. Hier ordnet bereits § 116 Satz 3 AktG an, dass der Aufsichtsrat haftet, wenn er eine unangemessene hohe Vergütung festsetzt. Gleiches gilt, wenn der Aufsichtsrat bei Verschlechterung der Lage der Gesellschaft keine angemessene Herabsetzung der Vorstandsvergütung gemäß § 87 Abs. 2 AktG durchsetzt.[1] Der Aufsichtsrat ist zudem dafür zuständig den Vorstand bei Pflichtverletzungen in die Haftung zu nehmen und ggf. auch die Ansprüche gerichtlich geltend zu machen (§ 112 AktG). Grundlegend ist hier die ARAG/Garmenbeck-Entscheidung des BGH vom 21.4.1997,[2] der 3. Leitsatz formuliert:

 

Rz. 9

"Kommt der Aufsichtsrat zu dem Ergebnis, dass sich der Vorstand schadensersatzpflichtig gemacht hat, muss er aufgrund einer sorgfältigen und sachgerecht durchzuführenden Risikoanalyse abschätzen, ob und in welchem Umfang die gerichtliche Geltendmachung zu einem Ausgleich des entstandenen Schadens führt. Gewissheit, dass die Schadensersatzklage zum Erfolg führen wird, kann nicht verlangt werden."

Dazu das folgende Beispiel:

 

Rz. 10

 

Beispiel: "Gefährliche Finanztransaktionen"[3]

Der Geschäftsführer einer GmbH legt beträchtliche Gelder bei einer Briefkastenfirma im Seebad Torquay (Südwestengland) an. Es erfolgte keine vorige Bonitätsprüfung. Nach Maßgabe eines Gesellschafterbeschlusses dürfen Gelder nur in sog. mündelsicheren Anleihen angelegt werden, wozu die getätigte Anlage eindeutig nicht zählt. Die englische Gesellschaft gewährt auf Spargelder hohe Zinsen und reicht Billigkredite zu niedrigen Zinsen aus, so dass der Zusammenbruch - bei diesem nach dem Schneeballsystem aufgebauten Prinzip - zwangsläufig vorprogrammiert war. Die bei der Briefkastenfirma angelegten Gelder, die noch nicht einmal eine Lizenz zum Betreiben von Bankgeschäften besaß, wurden nie zurückgezahlt. Der Aufsichtsrat beschloss gegen den Widerstand einzelner Mitglieder, den Geschäftsführer nicht wegen des Schadens zur Rechenschaft zu ziehen.

 

Rz. 11

Da der Geschäftsführer sich über einen Gesellschafterbeschluss hinwegsetzte, handelte er ganz klar pflichtwidrig. Der Aufsichtsrat hat - wenn er zu dem Ergebnis gelangt ist, dass ein Schadensersatzanspruch gegen die Geschäftsführung besteht - diesen grundsätzlich auch durchzusetzen. Bei einem klar auf der Hand liegenden Schadensersatzanspruch der Gesellschaft gegen den Vorstand besteht grundsätzlich kein unternehmerisches Ermessen des Aufsichtsrats hinsichtlich der Frage, ob der Anspruch geltend gemacht wird. Der Aufsichtsrat darf nur dann davon absehen, den Schadensersatzanspruch durchzusetzen, wenn wichtige Interessen der Gesellschaft, etwa negative Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit dies ausnahmsweise erfordern. Die bloße Erhaltung der Motivation des Geschäftsführers, die bei der Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs geschmälert wäre, genügt hier nicht. Der Aufsichtsrat hat daher eindeutige Schadensersatzansprüche gegen den Geschäftsführer durchzusetzen. Unterlässt er dies, so machen sich die Mitglieder, die dafür nicht gestimmt haben oder sich nicht ausreichend gegen den Beschluss gewehrt haben, schadensersatzpflichtig.

[1] Siehe BGH Urt. v. 27.10.2015 – II ZR 296/14, BGHZ 207, 190, Leitsätze: "1. Das Recht zur Herabsetzung der Bezüge gemäß § 87 Abs. 2 AktG ist ein einseitiges Gestaltungsrecht der Aktiengesellschaft, das durch eine Gestaltungserklärung ausgeübt wird, die der Aufsichtsrat in Vertretung der Gesellschaft gegenüber dem Vorstandsmitglied abgibt. 2. Eine Verschlechterung der Lage der Gesellschaft im Sinne von § 87 Abs. 2 AktG tritt jedenfalls dann ein, wenn die Gesellschaft insolvenzreif wird. Die Weiterzahlung der Bezüge ist unbillig im Sinne des § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG, wenn der Vorstand pflichtwidrig gehandelt hat oder ihm zwar kein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen ist, die Verschlechterung der Lage der Gesellschaft jedoch in die Zeit seiner Vorstandsverantwortung fällt und ihm zurechenbar ist. 3. Die Herabsetzung der Bezüge muss mindestens auf einen Betrag erfolgen, dessen Gewährung angesichts der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft nicht mehr als unbillig angesehen werden kann. Die Vorschrift erlaubt andererseits keine Herabsetzung der Bezüge des Vorstandsmitglieds, die weiter geht, als es die Billigkeit angesichts der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft erfordert."
[2] BGH Urt. v. 21.4.1997 - II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, = NJW 1997, 1926 ARAG/Garmenbeck.
[3] Angelehnt an die ARAG/Garmenbeck-Entscheidung (siehe letzte Fußnote), übernommen aus Jula, Die Haftung von GmbH-Geschäftsführern und Aufsichtsräten, 1998, S. 137.

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