Rz. 45

Eine Fallgruppe, die eine Haftung des Geschäftsleiters aus § 826 BGB begründet, ist die Bestellung von Ware bzw. die Inanspruchnahme von Leistungen für die Gesellschaft mit dem Bewusstsein, dass diese nicht mehr bezahlt werden können. Hierbei wird diskutiert, ob und wann eine Offenbarungspflicht hinsichtlich einer drohenden oder ggf. schon eingetretenen Insolvenzreife bestehen soll. Bei einer bereits eingetretenen Insolvenzreife ist diese aufzudecken[1], wenn der Vertragspartner vorleisten soll, also z.B. gegen Rechnung oder Zahlungsziel Ware liefert. Die Absicherung nur über einen Eigentumsvorbehalt ist in der Praxis unzureichend. Sofern ernsthafte Sanierungsbemühungen ggf. gepaart mit einer positiven Fortbestehensprognose vorliegen und deshalb eine Erfüllung seitens der GmbH überwiegend wahrscheinlich ist, kann nicht von einer Offenbarungspflicht ausgegangen werden, zumindest ist die Schwelle der Haftung für eine vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung noch nicht überschritten.[2]

 

Rz. 46

 

Beispiel: "Kostenlose Fracht"[3]

Der Geschäftsführer G beauftragt den Transportunternehmer T mit der Beförderung zahlreicher Güter, wobei wie üblich der Frachtlohn sechs Wochen später gezahlt werden soll. G verschweigt hierbei, dass demnächst die Durchführung des Insolvenzverfahrens beantragt wird, so dass der Frachtlohn zumindest nicht mehr in voller Höhe gezahlt werden kann. Hier hätte G die Vermögenslage offenbaren müssen. Er handelt vorsätzlich und sittenwidrig, wenn er T zur Vorleistung in der Gewissheit veranlasst, dass diese Vorleistung nicht – wie vereinbart – entlohnt wird. G hat daher den entstandenen Schaden gemäß § 826 BGB zu ersetzen. Schwierig sind – wie erwähnt - die Fälle, in denen sich der Geschäftsführer um ernsthafte Sanierung bemüht und die Bemühungen auch objektiv Erfolg versprechen. Hier könnte der Hinweis auf eine Krise der Gesellschaft den Todesstoß geben.[4]. Ein Unterlassen verletzt die guten Sitten nur, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht,[5] was sich im Fall der ernsthaften Sanierungsbemühungen nicht annehmen lässt.

 

Rz. 47

Auch kann bereits allein die verspätete Stellung des Insolvenzantrags durch den Geschäftsleiter dessen Haftung aus § 826 BGB begründen, wobei der Geschäftsleiter persönlich Kontakt mit den Geschädigten gehabt haben muss. Der BGH, Urt. v. 27.7.2021 – II ZR 164/20 –, juris formuliert dies wie folgt:

1. Leitsatz: "Die vorsätzliche Insolvenzverschleppung in der Absicht, das als unabwendbar erkannte Ende eines Unternehmens so lange wie möglich hinauszuzögern, erfüllt den Tatbestand einer sittenwidrigen Schädigung i.S.d. § 826 BGB, wenn dabei die Schädigung der Unternehmensgläubiger billigend in Kauf genommen wird."

 

Rz. 48

Einen Spezialfall der Haftung aus § 826 BGB wegen Handelns trotz bestehender Insolvenzreife kann seitens der Bundesagentur für Arbeit bestehen. Stellt der Geschäftsführer trotz Insolvenzreife keinen Insolvenzantrag und beschäftigt er die Arbeitnehmer weiter ohne ihnen die Löhne auszubezahlen, weil die Mitarbeiter ja ohnehin für drei Monate Insolvenzgeld vom Arbeitsamt erhalten, kann eine Haftung aus § 826 BGB ausgelöst werden, wenn eine rechtzeitige Antragstellung dazu geführt hätte, dass Insolvenzgeld insgesamt nicht oder nur in geringerem Umfang hätte gezahlt werden müssen.[6]

 

Rz. 49

Bei börsennotierten Gesellschaften kann in Extremfällen eine Haftung aus § 826 BGB für unterlassene oder falsche Ad-Hoc-Mitteilungen begründet werden.[7] § 826 BGB, eine Haftung des Emittenten gegenüber dem Sekundärmarkt, also gegenüber Anspruchstellern von Derivaten, kommt bei bewusst falschen Informationen und damit Ad-Hoc-Mitteilungen in Betracht, durch denen auch der Sekundärmarkt gezielt geschädigt werden soll, aber gerade nicht durch unterlassene oder verspätete Ad-Hoc-Mitteilungen. Die Vorschriften über die Ad-hoc-Mitteilungen sind gerade keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs.2 BGB. Allein durch eine unterlassene oder verspätete Ad-hoc-Mitteilung lässt sich auch der Vorwurf der vorsätzlichen, sittenwidrigen Schädigung nicht begründen.

 

Rz. 50

Das LG Braunschweig[8] fasst die Rechtslage überzeugend wie folgt zusammen, wobei es dort um Call-Optionen auf VW-Stammaktien ging:

"4. Der Kläger hat auch keinen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB. Es fehlt an der erforderlichen Sittenwidrigkeit des Handelns der Beklagten. ….. Bei der Frage der Sittenwidrigkeit ist vorab darauf hinzuweisen, dass der vorliegende Fall sich grundlegend von den bisher entschiedenen Fällen in der Rechtsprechung unterscheidet. In den bislang entschiedenen Fällen der Rechtsprechung klagte jeweils ein Anleger gegen den Emittenten wegen einer falschen Information."

Bezogen auf das Verhalten eines Emittenten wird nach den Maßgaben des Bundesgerichtshofs die Verwerflichkeit und damit eine Haftung aus § 826 BGB indiziert, wenn der Emittent direkt vorsätzlich durch wiederholte grob unrichtige Ad-hoc-Mitteilungen das Sekundärmarktpublikum unlauter beeinflusst (vgl. beispielhaft BGH, Urteil v...

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