Entscheidungsstichwort (Thema)

Klagebefugnis eines Miterben bei Enteignung eines Nachlaßgegenstandes. Beschaffung von Grundstücken für Verteidigungszwecke. Bezeichnung des Vorhabens durch den Bundesminister der Verteidigung. Wirksamkeit der Bezeichnung. Bekanntgabe der Bezeichnung gegenüber der Gemeinde. keine enteignungsrechtliche Vorwirkung der Bezeichnung. Planprüfungsverfahren. vorzeitige Besitzeinweisung. Planungsverfahren. Enteignungsverfahren. Verfahrensstufung

 

Leitsatz (amtlich)

Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit einer vorzeitigen Besitzeinweisung in ein Grundstück, das für ein vom Bumdesminister der Verteidigung bezeichnetes Vorhaben benötigt wird, ist nicht, daß die Bezeichnung der von dem Vorhaben betroffenen Gemeinde bekanntgegeben worden und damit dieser gegenüber wirksam geworden ist.

 

Normenkette

VwGO § 42 Abs. 2; BGB § 2038 Abs. 1 S. 2; VwVfG §§ 35, 41 Abs. 1 S. 1, § 43 Abs. 1 S. 1; LBG § 1 Abs. 3, §§ 10, 31 Abs. 4, §§ 38, 58; BayEG Art. 28 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Bayerischer VGH (Urteil vom 15.03.1993; Aktenzeichen 9 B 91.817)

VG Augsburg (Entscheidung vom 24.01.1991; Aktenzeichen Au 2 K 89 A.146)

 

Tenor

Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. März 1993 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.

 

Tatbestand

I.

Der Kläger ist in ungeteilter Erbengemeinschaft mit drei anderen Erben Eigentümer eines rd. 1,6 ha großen Ackergrundstücks auf dem Gebiet der Gemeinde Kammeltal. Im Südwesten grenzt das Grundstück in einer Länge von etwa 200 m an einen öffentlichen Feldweg an, der im Eigentum der Gemeinde steht.

Nach Fertigstellung einer NATO-Treibstoffleitung in dem Abschnitt Lechfeld-Unterpfaffenhofen nahm die Beigeladene die Planungen für eine Verlängerung bis zum Flugplatz Leipheim auf, in deren Verlauf eine Trasse festgelegt wurde, die u.a. in einem Abstand von 3 m parallel zum Feldweg über das Grundstück der Erbengemeinschaft verläuft.

Am 8. Juli 1900 richtete der Bundesminister der Verteidigung eine Verfügung an die Oberfinanzdirektion München – Bundesvermögensverwaltung –, in der er das Vorhaben unter Bezugnahme auf beigefügte Planunterlagen bezeichnete.

Die Gemeinde Kammeltal erlangte Mitte 1987 Kenntnis von dem Vorhaben. Der Gemeinderat stimmte am 27. Juli 1987 dem Abschluß eines Gestattungsvertrages für die Verlegung der Treibstoffleitung auf gemeindeeigenem Grund zu.

Nachdem das Bundesvermögensamt Augsburg erfolglos über die Gestattung der Verlegung der Rohrleitung auf dem Grundstück der Erbengemeinschaft verhandelt hatte, beantragte es unter dem 8. März 1988 bei der Regierung von Schwaben die Zwangsbelastung des Grundstücks zugunsten der Beigeladenen und die vorzeitige Besitzeinweisung für die als Arbeitsstreifen benötigte Teilfläche von 3.235 qm. Der Kläger machte geltend, es gebe keinen plausiblen Grund dafür, die geplante Leitung in dem Grundstück und nicht in dem angrenzenden Feldweg zu verlegen. Die Regierung von Schwaben wies die Beigeladene mit Beschluß vom 28. Juli 1988, wie beantragt, in den Besitz zur Verlegung der Fernleitung ein und ordnete die sofortige Vollziehung an. Gleichzeitig setzte sie die Entschädigung vorläufig auf 291,15 DM fest. Den Widerspruch des Klägers wies sie mit Bescheid vom 29. Dezember 1988 zurück. Die Treibstoffleitung wurde Mitte 1989 auf dem Grundstück verlegt und im Dezember 1990 in Betrieb genommen.

Das Verwaltungsgericht Augsburg hat der vom Kläger erhobenen Klage mit Urteil vom 24. Januar 1991 stattgegeben.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die Berufungen des Beklagten und der Beigeladenen mit Urteil vom 15. März 1993 zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Klage sei zulässig. Durch die Verlegung der Fernleitung sei keine Erledigung eingetreten. Der Kläger sei allein legitimiert; denn der Widerspruch und die Klage gegen den Einweisungsbeschluß erwiesen sich als zur Erhaltung des Nachlasses notwendige Maßregeln. Die Klage sei auch begründet. Für eine vorzeitige Besitzeinweisung sei die wirksame Bezeichnung des Vorhabens Rechtmäßigkeitsvoraussetzung. Daran fehle es hier. Die Bezeichnung sei im Verhältnis zur betroffenen Gemeinde als Verwaltungsakt zu qualifizieren. Wirksam werde sie erst, wenn sie der Gemeinde bekanntgemacht werde. Diesem Erfordernis sei der Bundesminister nicht gerecht geworden. Die Gemeinde Kammeltal habe zwar schon 1987 mehr oder minder vollständig Kenntnis von der Bezeichnung erlangt. Damit allein sei aber noch nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Bekanntgabe genügt worden; denn es spreche nichts dafür, daß der Bundesminister der Verteidigung von der Eröffnung seiner Planungsentscheidung an die Gemeinde gewußt und die Bekanntgabe an sie – sei es durch eine ihm nachgeordnete Behörde, sei es durch die Enteignungsbehörde – auch gewollt habe. Der Kläger könne als enteignend Betroffener geltend machen, öffentliche Belange seien nicht hinreichend beachtet worden. Hierzu gehöre auch das Fehlen einer wirksamen Bezeichnung.

Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beigeladenen.

Der Oberbundesanwalt hat sich nicht am Verfahren beteiligt.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet. Die Vorinstanzen haben auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen der Klage zu Unrecht stattgegeben.

1. Dies folgt entgegen der Ansicht der Beigeladenen allerdings nicht bereits daraus, daß die Klage unzulässig wäre. Der Kläger als einer von mehreren Miterben ist klagebefugt, obwohl das im Wege der vorzeitigen Besitzeinweisung in Anspruch genommene Grundstück als Teil des Nachlasses gemeinschaftliches Vermögen der Erben ist. Nach § 2038 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz BGB kann jeder Miterbe die zur Erhaltung des Nachlasses notwendigen Maßregeln ohne Mitwirkung der anderen treffen. Notwendig im Sinne dieser Bestimmung sind auch Maßnahmen, die der Abwehr des (staatlichen) Zugriffs auf einzelne Nachlaßgegenstände dienen. Dies schließt den Gebrauch von Rechtsbehelfen ein, wenn nur auf diese Weise das zum Nachlaß gehörende Recht erhalten werden kann (vgl. BVerwG, Urteile vom 7. Mai 1965 – BVerwG 4 C 24.65 – BVerwGE 21, 91 und vom 27. November 1981 – BVerwG 4 C 1.81 – Buchholz 310 § 42 VwGO Nr. 96). Die vorzeitige Besitzeinweisung nach § 38 LBG verschafft dem Vorhabenträger den Besitz und eröffnet ihm im Vorgriff auf die Enteignung die Möglichkeit, das in Anspruch genommene Grundstück dem Enteignungszweck entsprechend zu nutzen. Sie stellt, wie aus § 38 Abs. 2 LBG erhellt, einen Verwaltungsakt dar, der in Bestandskraft erwächst, wenn er nicht fristgerecht mit dem Widerspruch und der Klage angefochten wird. Nur mit Hilfe dieser Rechtsbehelfe läßt sich die Belastung des Nachlasses abwehren. Ohne Erfolg wendet die Revision ein, der Kläger habe genügend Zeit gehabt, um sich mit den übrigen Miterben abzusprechen, da sich die vorzeitige Besitzeinweisung schon seit längerem abgezeichnet habe. Der Kläger brauchte nicht schon Vorkehrungen zu treffen, ehe die Besitzeinweisung förmlich beschlossen wurde. Auch für die Klageerhebung brauchte er nicht die Zustimmung der anderen Miterben einzuholen. War er unter Heranziehung des in § 2038 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz BGB enthaltenen Rechtsgedankens berechtigt, ohne die Mitwirkung der übrigen Erben Widerspruch zu erheben, so kann sich der Zugang zum Klageverfahren nicht nach anderen Kriterien bestimmen.

Zustimmung verdient auch die Annahme des Berufungsgerichts, daß der Kläger ein Rechtsschutzinteresse hat. Der Einweisungsbeschluß vom 28. Juli 1988 ist nicht aufgehoben worden. Die Besitzeinweisung hat sich auch nicht etwa dadurch erledigt, daß die Treibstoffernleitung inzwischen verlegt worden ist. Solange kein Enteignungsbeschluß vorliegt, bildet die Besitzeinweisung weiterhin die Grundlage für die Beschränkungen, denen die Nutzung des Grundstücks unterliegt.

2. Dagegen folgt der Senat dem Berufungsgericht nicht in der Annahme, daß der angefochtene Beschluß dem Kläger gegenüber mangels wirksamer Bezeichnung des Vorhabens rechtswidrig ist.

Das Berufungsurteil wird von der Erwägung getragen, daß im Verhältnis zu den privaten Betroffenen eine Rechtswirksamkeitsvoraussetzung der vorzeitigen Besitzeinweisung fehlt, wenn die Bezeichnung des Vorhabens der von dieser Maßnahme betroffenen Gemeinde gegenüber nicht wirksam geworden ist. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, daß von einer Bezeichnung im Rechtssinne keine Rede sein kann, solange die Bekanntgabe an die Gemeinde noch aussteht. Diese Auffassung findet keine Stütze im Gesetz. Für sie läßt sich auch die bisherige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht ins Feld führen.

Nach § 38 Abs. 1 LBG kann die Enteignungsbehörde den Begünstigten durch Beschluß in den Besitz des Grundstückes einweisen, auf das sich die vorgesehene Enteignung bezieht, falls dies für die Durchführung der beabsichtigten Maßnahmen dringend geboten ist. Die vorzeitige Besitzeinweisung ist, wie aus ihrer Regelung im Vierten Abschnitt des Zweiten Teils des Landbeschaffungsgesetzes hervorgeht, Teil des Enteignungsverfahrens. Sie dient der Sicherung des Enteignungszwecks; denn sie vermittelt, noch bevor eine abschließende Entscheidung über die Enteignung vorliegt, dem Vorhabenträger das Recht, das zu enteignende Grundstück in Besitz zu nehmen, und damit die Möglichkeit, die von ihm beabsichtigten Baumaßnahmen auszuführen. Im Verhältnis zu dem vorausgegangenen Planungsverfahren ist das Enteignungsverfahren durch das Merkmal der Akzessorietät gekennzeichnet. Voraussetzung für seine Einleitung ist, daß die Landbeschaffung einem der in § 1 Abs. 1 LBG genannten Zwecke dient und der zuständige Bundesminister das Verteidigungsvorhaben, für das die Enteignung durchgeführt werden soll, nach § 1 Abs. 3 LBG bezeichnet hat.

Die Bezeichnung, die den Schlußakt des in § 1 Abs. 2 LBG geregelten Planungsverfahrens bildet, ist gegenüber der davon betroffenen Gemeinde ein Verwaltungsakt (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. April 1986 – BVerwG 4 C 51.83 – BVerwGE 74, 124); denn sie greift unmittelbar in die gemeindliche Planungshoheit ein. Die für Verteidigungszwecke in Anspruch genommenen Flächen stehen für eine anderweitige Planung nicht mehr zur Verfügung. Will die Gemeinde dies verhindern, so muß sie gegen die Bezeichnung vorgehen, da ihr im weiteren Verlauf des Verfahrens die Möglichkeit abgeschnitten ist, ihre Belange noch mit Erfolg geltend zu machen. Ist die Bezeichnung insoweit als Verwaltungsakt zu qualifizieren, so muß sie auch den Anforderungen genügen, die sich aus den §§ 35 ff. VwVfG ergeben. Hierzu gehört u.a., daß sie nach § 41 Abs. 1 Satz 1 VwVfG der Gemeinde als der von ihr Betroffenen bekanntzugeben ist. Erst durch die Bekanntgabe wird sie der Gemeinde gegenüber wirksam (vgl. § 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG).

Anders als im Verhältnis zur Gemeinde hat die Bezeichnung des Verteidigungsvorhabens im Verhältnis zu etwaigen durch die Planung betroffenen privaten Grundeigentümern keinen Regelungscharakter (vgl. BVerwG, Urteile vom 12. November 1982 – BVerwG 4 C 67 u. 68.80 – Buchholz 406.33 § 1 LBG Nr. 1 und vom 21. März 1986 – BVerwG 4 C 48.82 – BVerwGE 74, 109). Dem in § 1 LBG geregelten Planungsverfahren ist eine obligatorische Beteiligung privater Betroffener fremd. Zwar wird auch Privaten, deren Grundeigentum in Anspruch genommen wird, die rechtsstaatlich gebotene Möglichkeit eingeräumt, Einwendungen gegen das Vorhaben zu erheben. Gelegenheit hierzu braucht ihnen aber nicht schon im Planungsverfahren, sondern ausweislich des § 32 Abs. 2 LBG erst im Enteignungsverfahren gegeben zu werden. Die Bezeichnung nach § 1 Abs. 3 LBG tritt ihnen gegenüber nicht mit dem Anspruch der Rechtsverbindlichkeit nach außen hin in Erscheinung. Ob ein Privater den mit der Verwirklichung des Vorhabens verbundenen Eingriff in sein Grundeigentum hinzunehmen hat, entscheidet sich nicht im Planungsverfahren. Die Bezeichnung im Sinne des § 1 Abs. 3 LBG entfaltet dem Privaten gegenüber, anders als beispielsweise der Planfeststellungsbeschluß im Bundesfernstraßenrecht (§ 19 FStrG), keine enteignungsrechtliche Vorwirkung. Die Rechtsstellung des einzelnen Grundeigentümers und die Möglichkeit hoheitlicher Eingriffe in das Grundeigentum sind lediglich im Zusammenhang mit der Enteignung und der vorzeitigen Besitzeinweisung Gegenstand der gesetzlichen Regelung (vgl. §§ 10 ff. LBG). Erst auf dieser Verfahrensstufe nimmt der Vorhabenträger Zugriff auf ein bestimmtes Grundstück. Hiergegen und nicht schon gegen die Bezeichnung des Vorhabens kann der Grundeigentümer sich zur Wehr setzen, indem er im Planprüfungsverfahren (§ 31 Abs. 4 LBG) oder in der Verhandlung, die der vorzeitigen Besitzeinweisung vorausgeht (§ 38 Abs. 2 LBG), Einwendungen erhebt und, falls er damit nicht durchdringt, von den Rechtsbehelfen Gebrauch macht, die ihm nach der Verwaltungsgerichtsordnung zu Gebote stehen (§ 58 LBG). Erschöpft sich die Bezeichnung im Verhältnis zu den privaten Grundeigentümern in einem innerbehördlichen Planungsakt ohne Außenwirkung, so erübrigt es sich insoweit, anders als bei einem Verwaltungsakt, der darauf gerichtet ist, unmittelbare Rechtswirkungen zu erzeugen, sie den potentiellen Betroffenen, in welcher Form auch immer, zu eröffnen.

Das Berufungsgericht hat gesehen, daß zwischen dem Planungsverfahren und dem Enteignungsverfahren ein Abhängigkeitsverhältnis besteht. Es hat auch erkannt, daß der Bezeichnung gegenüber privaten Grundeigentümern eine andere rechtliche Qualität beizumessen ist als gegenüber der Gemeinde; es hat hieraus indes nicht die gebotenen Schlußfolgerungen gezogen. Das Berufungsgericht hat dem aus § 43 Abs. 1 VwVfG abgeleiteten Erfordernis, daß die Bezeichnung des Verteidigungsvorhabens der Gemeinde bekanntgegeben werden muß, um wirksam zu werden, eine Bedeutung zuerkannt, die ihm im Verhältnis zum Kläger nicht zukommt.

Beruht die Enteignung auf einer Planungsentscheidung, die die Merkmale eines Verwaltungsakts aufweist, so ist sie, wie dem Berufungsgericht einzuräumen ist, allerdings grundsätzlich nur dann zulässig, wenn die Planungsentscheidung Wirksamkeit erlangt hat und unanfechtbar oder sofort vollziehbar ist (vgl. Art. 28 Abs. 1 BayEG). Dies gilt unabhängig davon, ob eine entsprechende ausdrückliche Regelung vorhanden ist oder nicht. Denn es entspricht einem allgemeinen Grundsatz, daß sich die Verwaltung bei einer gesetzlich angeordneten Verfahrensstufung der einem späteren Verfahrensabschnitt vorgehaltenen Eingriffsinstrumente nicht ohne Rücksicht auf die Wirksamkeit und die Vollziehbarkeit desjenigen früheren Verwaltungsakts bedienen darf, der hierfür erst die materiellen Voraussetzungen schafft (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1973 – BVerwG 4 C 79.69 – DÖV 1973, 785). Das Berufungsgericht hat indes verkannt, daß eine Planungsentscheidung, die als Grundlage für Maßnahmen der Enteignung dient, kein Gesamtakt ist, der allen Betroffenen gegenüber nur wirksam oder unwirksam, anfechtbar oder unanfechtbar, vollziehbar oder nicht vollziehbar sein kann. Sowenig in Fällen, in denen von ein und demselben Verwaltungsakt eine Mehrzahl von Personen betroffen ist, von einem Grundsatz der „Einheit der Unanfechtbarkeit und der sofortigen Vollziehung” die Rede sein kann (vgl. BVerwG, Beschluß vom 27. Januar 1982 – BVerwG 4 ER 401.81 – Buchholz 310 § 80 VwGO Nr. 39), sowenig bietet das geltende Recht Raum für den Grundsatz der „Einheit der Wirksamkeit”. Nach § 41 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekanntzugeben, der von ihm betroffen wird. Erst mit der Bekanntgabe wird er dem Betroffenen gegenüber wirksam (§ 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG). Sind mehrere betroffen, so genügt es nicht, daß der Verwaltungsakt irgendeinem bekanntgemacht wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Februar 1969 – BVerwG 4 C 82.66 – Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 15). Vielmehr muß dem Bekanntgabeerfordernis, sofern gesetzlich nichts anderes vorgesehen ist, in bezug auf jeden von ihnen genügt werden. Fehlt es an der erforderlichen Bekanntgabe, so haftet dem Verwaltungsakt ein Mangel indes nur im Verhältnis zu dem davon jeweils Betroffenen an. Die Rechtswirksamkeit den übrigen gegenüber wird hierdurch allein nicht berührt. Die Anwendung des § 43 Abs. 1 VwVfG kann dazu führen, daß ein Verwaltungsakt im Verhältnis zu den einzelnen Betroffenen zu verschiedenen Zeitpunkten, einem bestimmten Betroffenen gegenüber im Gegensatz zu den anderen möglicherweise auch überhaupt nicht wirksam wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Dezember 1980 – BVerwG 4 C 28.77 – Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 36).

Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß die Bezeichnung, die der angefochtenen Besitzeinweisung zugrunde liegt, der Gemeinde Kammeltal gegenüber mangels Bekanntgabe nicht wirksam geworden ist. Keiner Klärung bedarf, ob ihm darin zu folgen ist, daß dem Bundesminister der Verteidigung der Bekanntgabewille gefehlt hat. Dahinstehen kann auch, ob die Gemeinde Kammeltal sich gegebenenfalls nicht trotz fehlender Bekanntgabe nach den vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätzen (vgl. das bereits zitierte Urteil vom 11. April 1986, insoweit nur in Buchholz 406.33 § 1 LBG Nr. 4 vollständig abgedruckt) so behandeln lassen muß, als wäre ihr die Bezeichnung vom 8. Juli 1980 eröffnet worden. Offenbleiben kann schließlich, ob der vom Verwaltungsgerichtshof angenommene Verfahrensfehler auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. die Urteile vom 30. Mai 1984 – BVerwG 4 C 58.81 – BVerwGE 69, 256, vom 5. Dezember 1986 – BVerwG 4 C 13.85 – BVerwGE 75, 214 und vom 18. Dezember 1987 – BVerwG 4 C 9.86 – NVwZ 1988, 527, insoweit in BVerwGE 78, 347 nicht abgedruckt) als Aufhebungsgrund nicht schon deshalb ausscheidet, weil offensichtlich ist, daß ein etwaiger Bekanntgabemangel nicht ursächlich für das Abwägungsergebnis gewesen sein kann, das in der vom Bundesminister der Verteidigung getroffenen Planungsentscheidung seinen Niederschlag gefunden hat. Denn jedenfalls hat das Berufungsgericht übersehen, daß die Unwirksamkeit der Bezeichnung gegenüber der Gemeinde Kammeltal im Verhältnis zum Kläger die Rechtswirksamkeitsvoraussetzungen für Enteignungsmaßnahmen unberührt läßt. Hat die Bezeichnung für die potentiell betroffenen Grundeigentümer nicht die Qualität eines Verwaltungsakts, so braucht sie insoweit, damit aus ihr Rechtsfolgen abgeleitet werden können, nicht nach Maßgabe des Verwaltungsverfahrensgesetzes bekanntgegeben zu werden. Den privaten Interessenten gegenüber reicht es aus, daß der Bundesminister eine als Enteignungsgrundlage geeignete Planungsentscheidung getroffen hat. Maßnahmen auf der Enteignungsebene dürfen nicht einsetzen, solange sich das Vorhaben noch im Planungsstadium befindet. Dagegen sind sie zulässig, sobald die Planung abgeschlossen ist. Den Schlußpunkt bildet in dieser Hinsicht die Bezeichnung im Sinne des § 1 Abs. 3 LBG, die, unabhängig davon, wann sie gegenüber der Gemeinde als Träger der kommunalen Planungshoheit wirksam wird, im Verhältnis zu den Grundeigentümern den Weg für die Einleitung des Enteignungsverfahrens freimacht.

Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß der Bundesminister das Vorhaben, dessen Verwirklichung die vorzeitige Besitzeinweisung dient, mit Verfügung vom 8. Juli 1980 näher bezeichnet hat. Auf der Grundlage dieser Feststellung kann der Erfolg der Klage nicht davon abhängen, ob die Bezeichnung im Verhältnis zur Gemeinde an einem Bekanntgabemangel leidet.

Da das Berufungsgericht dies verkannt hat, ist das Berufungsurteil aufzuheben. Die Sache ist nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, weil sie nicht spruchreif ist. Ob der angefochtene Besitzeinweisungsbeschluß rechtmäßig oder rechtswidrig ist, hängt insbesondere davon ab, ob bei der Entscheidung, das Nachlaßgrundstück für Verteidigungszwecke in Anspruch zu nehmen, die öffentlichen Belange, die für das Vorhaben sprechen, gerecht mit gegenläufigen öffentlichen Belangen und den privaten Interessen des Klägers abgewogen worden sind. Zu dieser Frage ist das Berufungsgericht bisher aufgrund seines verkürzten rechtlichen Ansatzes nicht durchgedrungen.

 

Unterschriften

Gaentzsch, Hien, Lemmel, Heeren, Halama

 

Fundstellen

DVBl. 1994, 710

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