Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 14.06.2000; Aktenzeichen 2 BvR 993/94)

 

Tenor

Unter Zurückweisung der Berufung des früheren Soldaten wird auf die Berufung des Wehrdisziplinaranwalts das Urteil der 4. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 29. Januar 1993 aufgehoben.

Dem früheren Soldaten wird wegen eines Dienstvergehens das Ruhegehalt aberkannt.

Der frühere Soldat hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Dem früheren Soldaten wird ein Unterhaltsbeitrag in Höhe von 75 vom Hundert des erdienten Ruhegehalts für die Dauer eines Jahres bewilligt.

 

Tatbestand

I

Der jetzt 48 Jahre alte frühere Soldat besuchte nach vier Jahren Grundschule von September 1956 an die Oberrealschule, die er am 17. Juli 1963 mit dem Abschluß der mittleren Reife verließ. Von September 1963 bis März 1967 durchlief er erfolgreich eine Lehre als Modell-Schlosser und war bis zu seiner Einberufung zum Grundwehrdienst zum 3. Januar 1968 im erlernten Beruf tätig.

Auf Grund seiner Bewerbung und Verpflichtung wurde er mit Urkunde vom 14. März 1968 am 18. März 1968 als Pionier in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Seine Dienstzeit wurde zunächst auf sechs Monate, sodann auf drei, acht und zwölf Jahre festgesetzt. Mit Urkunde vom 17. Februar 1975 wurde ihm am 11. März 1975 die Eigenschaft eines Berufssoldaten verliehen. Auf seinen Antrag vom 6. April 1992 wurde er mit Ablauf des 31. Dezember 1993 gemäß § 2 PersStärkeG vorzeitig in den Ruhestand versetzt.

Nach regelmäßigen Zwischenbeförderungen wurde der frühere Soldat durch Urkunde vom 17. April 1973 am 18. April 1973 zum Feldwebel, am 11. August 1975 zum Oberfeldwebel und durch Urkunde vom 19. Dezember 1983 am 19. Januar 1984 zum Hauptfeldwebel ernannt.

Der frühere Soldat wurde zunächst beim Pbataillon 1 und beim APbataillon 2, beide in I, verwendet. Vom 8. Januar bis 19. März 1969 absolvierte er an der Pschule in M den Unteroffizierlehrgang Teil A mit ausreichendem und vom 4. Januar 1972 bis 15. März 1972 an der Hchule in S den Unteroffizierlehrgang Teil B mit befriedigendem Ergebnis. Den Feldwebellehrgang für Rechnungsführer an der Fschule in S bestand er in der Zeit vom 27. Februar bis zum 13. April 1973 mit der Abschlußnote „gut”. Seit 1. April 1975 zur 1./1Pbataillon 5 in Köln und seit 1. Oktober 1979 zur Pkompanie 3 in K, jeweils als Rechnungsführerfeldwebel, versetzt, durchlief er während einer Kommandierung an die Lehrgruppe B der FSchule vom 28. April bis 23. Juni 1981 den Kompaniefeldwebel-Lehrgang mit sehr gutem Ergebnis. Zum 1. Oktober 1983 wurde der frühere Soldat zur 1./Ibataillon 1 in H, später V, versetzt und als Instandsetzungs- und Zahlstellenfeldwebel verwendet. Wegen des Vorfalls, der Gegenstand dieses Verfahrens ist, wurde er am 30. März 1992 als Zahlstellenverwalter abgelöst und anderweitig verwendet.

Der frühere Soldat hat sich in seinen Leistungen seit seiner ersten Verwendung als Portepee-Unteroffizier und Rechnungsführer von der zusammengefaßten Wertung „5 C” (voll befriedigend, uneingeschränkte Förderung) im Jahr 1974 über „4 C” (ziemlich gut, uneingeschränkte Förderung) in den Beurteilungen der Jahre 1976 mit 1980 auf „3 C” in den Jahren 1982, 1984 und 1986 gesteigert. In der Beurteilung vom 1. Juli 1988 erhielt er in der gebundenen Beschreibung neunmal die Wertung „4” und je dreimal die Wertungen „3” und „2”, in der freien Beschreibung wurde ihm für „Fähigkeit zur Einsatz- und Betriebsführung” der Ausprägungsgrad „B” zuerkannt. In der Beurteilung vom 2. Juli 1990 erhielt er achtmal die Note „3” sowie siebenmal die Note „2”; in der freien Beschreibung wurden sein „Verantwortungsbewußtsein” und wiederum seine „Fähigkeit zur Einsatz- und Betriebsführung” hervorgehoben. Die Sonderbeurteilung vom 28. April 1993 weist achtmal die Wertung „2” und siebenmal die Wertung „3” sowie in der freien Beschreibung für „Verantwortungsbewußtsein” und „Fähigkeit zur Einsatz- und Betriebsführung” den Ausprägungsgrad „B” aus.

Der frühere Soldat ist seit 11. November 1981 Träger des Leistungsabzeichens in Gold, seit 24. November 1981 der Schützenschnur in Silber. Ihm wurde am 1. Dezember 1970 eine förmliche Anerkennung wegen vorbildlicher Pflichterfüllung erteilt, weil er am Lehrgang für Versorgungsunteroffiziere als Lehrgangsbester abgeschnitten hatte.

Das Bundeszentralregister enthält keine Eintragung, das Disziplinarbuch weist keine Maßregelung des früheren Soldaten aus.

Der frühere Soldat hat ein Ruhegehalt in Höhe von 75 vom Hundert der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge aus der 13. Dienstaltersstufe der Besoldungsgruppe A 8 mit Amtszulage nach Fußnote 2 des Bundesbesoldungsgesetzes erdient, das zuletzt monatlich 3.532,52 DM brutto, unter Berücksichtigung des Kindergeldes für drei Kinder 3.845,85 DM netto betrug. Aus dem Kauf eines Wohnhauses hat er noch Schulden in Höhe von 65.000 DM, die ihn monatlich mit 830 DM belasten. Insgesamt sind seine wirtschaftlichen Verhältnisse geordnet.

Der frühere Soldat ist seit 25. Juli 1975 verheiratet, aus der Ehe sind drei Töchter im Alter von jetzt 16, zwölf und elf Jahren hervorgegangen. Die Ehefrau ist bis auf eine Saisonarbeit als Erntehelferin im Weinbau nicht berufstätig.

 

Entscheidungsgründe

II

In dem mit Verfügung des Kommandeurs der 2. Pdivision vom 11. Mai 1992 durch Aushändigung am 16. Mai 1992 ordnungsgemäß eingeleiteten disziplinargerichtlichen Verfahren legte der Wehrdisziplinaranwalt in seiner Anschuldigungsschrift vom 3. Dezember 1992 dem früheren Soldaten folgendes Verhalten als Dienstvergehen zur Last:

„Am Donnerstag, dem 26. März 1992, zahlte der damals als Zahlstellenverwalter der 1./Ibataillon 1 eingesetzte Soldat in der MKaserne in V an 15 zur Entlassung heranstehende Wehrpflichtige der 1./Ibataillon 1 die von diesen Soldaten quittierten Verpflegungsgelder nicht aus, sondern behielt bei einem Wehrpflichtigen 34,00 DM, bei einem anderen 120,00 DM, bei zwei anderen je 20,00 DM, bei fünf Kameraden jeweils 40,00 DM und bei sechs anderen Soldaten je 30,00 DM ein, um dann diese Gelder in der Gesamtsumme von 574,00 DM an sich zu nehmen und sich anzueignen.”

Die 4. Kammer des Truppendienstgerichts Süd fand den früheren Soldaten am 29. Januar 1993 eines Dienstvergehens schuldig und setzte ihn in den Dienstgrad eines Feldwebels herab.

Die Kammer traf Feststellungen entsprechend der Anschuldigung und würdigte das Verhalten des früheren Soldaten als vorsätzliche Verletzung seiner Pflichten zum treuen Dienen (§ 7 SG), zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten im Dienst (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG), zur Kameradschaft (§ 12 Satz 2 SG) und der Pflicht, in dienstlichen Angelegenheiten die Wahrheit zu sagen (§ 13 Abs. 1 SG).

Zur Maßnahmebemessung führte sie aus:

Das Dienstvergehen wiege sehr schwer; denn der frühere Soldat habe durch die Falschauszahlungen nicht nur das Vermögen der Wehrpflichtigen geschädigt, sondern auch seine Vertrauensstellung ihnen und der Bundesrepublik Deutschland gegenüber gröblichst mißbraucht. Er habe damit im Kernbereich seiner dienstlichen Pflichten versagt. Da er als Vorgesetzter in Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel zu geben habe (§ 10 Abs. 1 SG), müsse ihm auch die Verantwortung für dieses Fehlverhalten besonders streng angelastet werden. Nach der ständigen Rechtsprechung aller Wehrdienstgerichte sei der Zugriff eines Soldaten auf Eigentum und Vermögen des Dienstherrn, das ihm zur Verwahrung und Verwaltung anvertraut sei, ein so schweres Dienstvergehen, daß es regelmäßig zur Entfernung aus dem Dienstverhältnis führe. Der frühere Soldat habe die ihm eingeräumte Vertrauensstellung zu Manipulationen mißbraucht, die mit der Dienststellung eines Zahlstellenverwalters nicht zu vereinbaren seien. Die Kammer habe gleichwohl die Entfernung aus dem Dienstverhältnis noch nicht als einzig mögliche disziplinare Reaktion angesehen. Hierbei seien die in langen Dienstjahren erbrachten guten Leistungen zu berücksichtigen gewesen. Auch sein Engagement im Kameradenkreis als Vorsitzender der Unteroffizierheimgesellschaft und im Vorstand der Offizierheimgesellschaft habe nicht übersehen werden dürfen. Der frühere Soldat stehe zudem unmittelbar vor dem Ausscheiden aus der Bundeswehr. Eine zivilberuflich verwertbare Ausbildung besitze er nicht, in seinem Lebensalter sei ein ziviler Arbeitsplatz kaum noch zu erreichen. Unter Abwägung aller für und gegen ihn sprechenden Umstände habe die Kammer die Höchstmaßnahme im Rahmen der Dienstgradherabsetzung für notwendig erachtet. Gegen Unteroffiziere mit Portepee, die Berufssoldaten seien, sei nur eine Degradierung bis zum Feldwebel zulässig. Die Kammer habe dementsprechend den früheren Soldaten in den Dienstgrad eines Feldwebels herabgesetzt.

Gegen diese ihm am 4. März 1993 zugestellte Entscheidung hat der frühere Soldat beim Bundesverwaltungsgericht – Wehrdienstsenate – durch seinen Verteidiger am 1. April 1993 Berufung einlegen und zu deren Begründung im wesentlichen vorbringen lassen:

Die Berufung sei beschränkt auf seine Dienstgradherabsetzung in den Dienstgrad eines Feldwebels.

Das Truppendienstgericht gehe in seinen Zumessungserwägungen von einem „Zugriff auf Eigentum und Vermögen des Dienstherrn, das zur Verwahrung und Verwaltung anvertraut sei”, aus, welcher regelmäßig zur Entfernung aus dem Dienstverhältnis führe. Zutreffenderweise habe das Truppendienstgericht gleichwohl die Entfernung aus dem Dienstverhältnis noch nicht als einzig mögliche disziplinare Reaktion angesehen. Wäre das Truppendienstgericht jedoch nicht rechtsirrig von einem Zugriff auf Eigentum und Vermögen des Dienstherrn ausgegangen, dann wäre es nicht zu einer Dienstgradherabsetzung, sondern zu einer milderen Maßnahme gelangt. Aus dem unstreitigen Sachverhalt ergebe sich, daß der frühere Soldat eben keinen Zugriff auf Eigentum und Vermögen des Dienstherrn begangen habe. Es sei vielmehr zu einer von ihm von vornherein als ganz kurz, vorübergehend und nicht dauerhaft beabsichtigten Schädigung des Vermögens von Wehrpflichtigen ohne Zueignungsabsicht zum Zwecke einer Demonstration gegen aus seiner Sicht vorhandene Mißstände in der Dienststelle gekommen. Daß diese Handlungsweise rechtswidrig gewesen sei, stehe außer Rede. Sie sei jedoch kein Zugriff auf Eigentum und Vermögen des Dienstherrn gewesen. Bei einer diesem Vortrag entsprechenden Wertung des Dienstvergehens hätte das Truppendienstgericht richtigerweise als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen nicht die Entfernung aus dem Dienstverhältnis, sondern die Dienstgradherabsetzung wählen müssen. Angesichts der mildernden Umstände hätte deshalb statt auf eine Dienstgradherabsetzung auf ein Beförderungsverbot erkannt werden müssen.

Gegen das ihm am 1. März 1993 zugestellte Urteil hat auch der Wehrdisziplinaranwalt am 30. März 1993 Berufung mit dem Antrag eingelegt, den früheren Soldaten aus dem Dienstverhältnis zu entfernen, und zur Begründung im wesentlichen vorgebracht:

Zwar habe der frühere Soldat den äußeren Hergang seines Fehlverhaltens nicht bestritten, und auch das Truppendienstgericht sei von der in der Anschuldigungsschrift geschilderten Vorgehensweise des früheren Soldaten bei seiner Urteilsfindung ausgegangen. Die Kammer habe aber die in der Anschuldigungsschrift belegte Zueignungsabsicht des früheren Soldaten verneint. Dieser Aspekt sei bei der Bewertung von Eigenart und Schwere des Dienstvergehens entscheidend. Nach ständiger Rechtsprechung des 2. Wehrdienstsenats des Bundesverwaltungsgerichts könne dem Dienstherrn die Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden, wenn ein Soldat durch den Zugriff auf dienstlich anvertraute Gelder seinen Dienstherrn schädige. Diese Absicht des früheren Soldaten lasse sich aus Art und Weise seines Vorgehens und aus seinem anschließenden Verhalten zweifelsfrei ablesen. Der frühere Soldat habe vorgebracht, er habe mit seinem Handeln auf Mißstände in der Truppenverwaltung hinweisen wollen, insbesondere darauf, daß er nunmehr an den Hauptzahltagen allein habe auszahlen müssen, nachdem zuvor durch Zahlungsbeauftragte die Abwicklung erfolgt sei. Bei der Auszahlung an die Angehörigen der 1./Ibataillon 1 habe sich aber gegenüber früheren Auszahlungsterminen keine Änderung ergeben. Auch lägen insgesamt in der durch den Leiter der Truppenverwaltung festgelegten Neuerung nicht solche Einschränkungen vor, daß mit einem derartigen Fehlverhalten darauf hätte hingewiesen werden müssen. Regierungsamtsrat Friedel habe zudem am 24. März 1992 festgelegt, daß sich die Rechnungsführer Oberfeldwebel H und Feldwebel D als Zahlungsbeauftragte bereitzuhalten hätten, um auf Anforderung des früheren Soldaten diesen zu unterstützen. Als sein Fehlverhalten auf Grund der Nachprüfung durch Feldwebel F offenbar zu werden gedroht habe, sei der frühere Soldat nicht ob des Gelingens seines angeblichen Planes erfreut gewesen, sondern habe – um die Sache aus der Welt zu schaffen – Feldwebel F gebeten, den Fehlbetrag von 30 DM auszulegen und den Gefreiten M damit zufriedenzustellen. Selbst als das Geschehen noch am Auszahlungstag aufgedeckt worden sei und der Disziplinarvorgesetzte den früheren Soldaten befragt habe, wie er sich die Fehler bei der Auszahlung erkläre, habe er nicht das von ihm behauptete Ziel seines Handelns als erreicht angesehen, sondern trotz längerem, eingehendem Befragen erklärt, er könne sich vertippt, auf der Auszahlungsliste verlesen haben, habe letztlich aber keine Erklärung. Hätte der frühere Soldat mit seinem Handeln auf Mißstände hinweisen wollen, so hätte er spätestens zu diesem Zeitpunkt von seinem vorgeblichen Motiv sprechen müssen. Sein Vorgehen lasse nur den Schluß zu, daß er die einbehaltenen Gelder keinesfalls an die Wehrpflichtigen habe auszahlen wollen. Er habe die einzelnen Beträge zur Addition so auf einem Papierstreifen aufgetippt, daß selbst in der Hauptverhandlung vor der Kammer nicht habe herausgefunden werden können, ob letztendlich jeder der Wehrpflichtigen das ihm zustehende Geld auch bekommen habe. Die Zahlen seien übereinandergedruckt und die einzelnen Additionen nicht mit dem Namen des jeweiligen Soldaten versehen gewesen; es habe nur erraten werden können, welche Zahlenreihe der Auszahlung an einen bestimmten Wehrpflichtigen zuzuordnen sei. Hätte der frühere Soldat die Absicht gehabt, die einbehaltenen Gelder doch noch auszuzahlen, hätte er als über jahrelange Erfahrung verfügender Zahlstellenverwalter die Addition sauberer ausgeführt und sie mit einer Kennung versehen. Nur so hätten er oder ein Dritter später noch belegen können, welcher Betrag dem jeweiligen Wehrpflichtigen noch zugestanden habe. Der frühere Soldat habe darüber hinaus nur denjenigen Wehrpflichtigen zuwenig Geld ausgezahlt, von denen zu erwarten gewesen sei, daß sie die Beträge nicht nachrechnen würden. Dies seien zur Entlassung heranstehende Wehrpflichtige gewesen, die erfahren hätten, daß ihnen allein schon 2.500 DM Entlassungsgeld zustünde. Sie seien ausgekleidet gewesen und hätten sich in einem Zustand der Freude über das erhaltene Geld sowie ihre in wenigen Stunden erfolgende Inmarschsetzung befunden. Es sei nicht anzunehmen gewesen, daß sie unter diesen Umständen die Zahlungsabwicklung im einzelnen kritisch mitverfolgten. Die wenigen Wehrpflichtigen, bei denen er eine Entdeckung habe befürchten müssen, habe der frühere Soldat bei seinem betrügerischen Vorgehen ausgeklammert:

den Gefreiten S, der als Rechnungsführergehilfe eingesetzt gewesen sei,

den Gefreiten B, der im Kompaniegeschäftszimmer tätig gewesen sei,

den Gefreiten W, dessen Vater in der Zahlstelle als ziviler Mitarbeiter eingesetzt gewesen sei,

den Gefreiten K, von dem bekannt gewesen sei, daß er sich um sein Geld sorgfältig gekümmert habe, und den Gefreiten Wo, dem der geringste Betrag zugestanden habe und bei dem das Nachrechnen völlig unproblematisch gewesen wäre.

Auch habe der frühere Soldat darauf gesehen, daß er von den Wehrpflichtigen, die viel Geld zu erhalten gehabt hätten, mehr einbehalten habe als von denjenigen, die weniger hätten beanspruchen können, um nicht das Fehl eher sichtbar werden zu lassen.

III

1. Beide Berufungen sind zulässig. Sie sind statthaft, ihre Förmlichkeiten sind gewahrt (§ 110 Abs. 1, § 111 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 WDO).

2. Die Rechtsmittel sind nach dem maßgeblichen Inhalt ihrer Begründung jeweils in vollem Umfang eingelegt worden. Der Senat hatte mithin im Rahmen der Anschuldigung (§ 118 Satz 1 i.V.m. § 103 Abs. 1 WDO) eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen, diese rechtlich zu würdigen und die angemessene Maßnahme zu finden.

3. Die Berufung des früheren Soldaten war unbegründet, die des Wehrdisziplinaranwalts hatte Erfolg.

Der Senat hat auf Grund der Einlassung des früheren Soldaten, soweit ihr gefolgt werden konnte, der Vernehmung des Zeugen Oberfeldwebel Fröhlich in der Berufungshauptverhandlung, durch Verlesung der Aussagen der in erster Instanz vernommenen Zeugen Gefreiter der Reserve M, Gefreiter der Reserve E, Gefreiter der Reserve S, Gefreiter der Reserve Se, Regierungsamtsrat F, Regierungsoberinspektor Fa, Hauptfeldwebel M und Major A und der beigezogenen und zum Gegenstand der Verhandlung gemachten Kassenunterlagen folgenden Sachverhalt festgestellt:

Der frühere Soldat sollte am 26. März 1992 Auszahlungen über einen Gesamtbetrag von etwa 200.000 DM an Soldaten von vier in Volkach stationierten Einheiten, nämlich der 1./ und 3./Ibataillon 1 und der Akompanien 6 und 10, vornehmen. Wegen der Übertragung dieser Aufgabe allein auf ihn hatte es seit Ende 1991 Differenzen mit dem Leiter der Truppenverwaltung, Regierungsamtsrat F, gegeben. Dieser hatte in Abänderung der bisherigen Praxis, die Auszahlungen für zwei Kompanien durch Zahlstellenbeauftragte durchführen zu lassen, angeordnet, daß nunmehr der frühere Soldat allein für alle vier Einheiten die Auszahlungen vornehmen solle. Da das nach Auffassung des früheren Soldaten wegen der damit verbundenen Mehrbelastung, die zwangsläufig zu Fehlern führen müsse, nicht sachgerecht war, versuchte er in einer Aussprache mit dem Leiter der Truppenverwaltung, Regierungsamtsrat F, und durch eine Vorsprache beim Bataillonskommandeur eine Rücknahme der Neuregelung zu erreichen. Aus seiner Sicht waren jedoch beide Gespräche erfolglos. Für den nächsten Auszahlungstermin am 26. März 1992 stellte der Zeuge F aber am 24. März 1992 zwei Rechnungsführer bereit, die auf Anforderung des früheren Soldaten Auszahlungen übernehmen sollten. Der frühere Soldat hielt diese Regelung allerdings nicht für bestimmungsgemäß und für unpraktikabel.

Er begann am 26. März 1992 gegen 10.30 Uhr mit der Auszahlung von Entlassungs- und Verpflegungsgeld, teilweise auch Wehrsold, an die an jenem Tag ausscheidenden Wehrpflichtigen der 1./Ibataillon 1. Diese sammelten sich vor der Zahlstelle und traten einzeln in den Kassenraum ein, in dem sich der frühere Soldat allein befand. Sie nannten Einheit, Namen und Dienstgrad, erhielten 2.500 DM an Entlassungsgeld in Form eines Barschecks über 2.000 DM und 500 DM in bar sowie Verpflegungsgeld in unterschiedlicher Höhe und gegebenenfalls Nachzahlungen von Wehrsold. Bei einigen Soldaten wurden auch Beträge zur Erstattung verlorengegangener Ausrüstungsgegenstände verrechnet. Die Entlassungsgeld-Auszahlungsliste wurde den Soldaten hierbei mit einer Ausnahme von dem früheren Soldaten ordnungsgemäß zur Unterschrift vorgelegt, die Verpflegungsgeldliste hingegen „stand auf dem Kopf”. Die Geldempfänger unterschrieben diese Liste demnach so, daß sich die Eintragungen über Dienstgrad, Namen und Auszahlungsbetrag einerseits und die Unterschriften andererseits im umgekehrten Schriftbild befanden. Da der frühere Soldat zudem mit dem Finger auf die Stelle deutete, an der die Unterschrift zu leisten war, konnte die Mehrzahl der Geldempfänger die ordnungsgemäß ausgewiesenen Beträge nicht erkennen. Keiner der zu entlassenden Wehrpflichtigen beanstandete dies oder prüfte Auszahlungsbetrag und Listeneintrag auf ihre Übereinstimmung. Sie vertrauten auf eine korrekte Abwicklung durch den ihnen vorgesetzten früheren Soldaten und wollten auch im Interese der noch wartenden Kameraden die Auszahlungsformalitäten nicht verzögern, um frühzeitig die Heimreise antreten zu können.

Auf diese Weise gelang es dem früheren Soldaten, an 15 der in der Verpflegungsgeldliste aufgeführten 20 Soldaten geringere Beträge auszuzahlen, als diesen jeweils zustanden und einen Überhang an Barmitteln in der Dienstkasse herbeizuführen.

Im einzelnen wurde zu wenig ausgezahlt:

Lfd.Nr.

2

dem Gefreiten Ka

DM

40,00

„…”

3

dem Gefreiten B

DM

40,00

„…”

4

dem Gefreiten S

DM

30,00

„…”

5

dem Gefreiten Me

DM

120,00

„…”

6

dem Gefreiten Rü

DM

20,00

„…”

7

dem Gefreiten C

DM

30,00

„…”

8

dem Gefreiten G

DM

30,00

„…”

9

dem Gefreiten Se

DM

30,00

„…”

10

dem Gefreiten W

DM

40,00

„…”

13

dem Gefreiten Ko

DM

20,00

„…”

15

dem Gefreiten Be

DM

30,00

„…”

16

dem Gefreiten Mü

DM

30,00

„…”

17

dem Gefreiten Br

DM

40,00

„…”

18

dem Gefreiten E

DM

34,00

„…”

20

dem Hauptgefreiten V

DM

40,00

Fünf Soldaten erhielten den ihnen zustehenden Betrag ungeschmälert:

  • der Gefreiten W (lfd.Nr. 1 der Liste), der sich im Krankenstand befand und dem der geringste Betrag von DM 105, 30, zustand,
  • der Gefreite Seb (lfd.Nr. 11), der Rechnungsführergehilfe war,
  • der Gefreite Bä (lfd.Nr. 12) der Dienst als Geschäftszimmersoldat geleistet hatte,
  • der Gefreite Wa (lfd.Nr. 14), dessen Vater als Angestellter in der Zahlstelle beschäftigt war, und
  • der Gefreite Kn (lfd.Nr. 19), von dem allgemein bekannt war, daß er sich um seine Geldangelegenheiten stets sorgfältig kümmerte.

Als erster schöpfte der Gefreite Mü Verdacht und diskutierte hierüber mit seinen Kameraden. Da er einer der älteren Soldaten war, faßte er den Entschluß, zum Rechnungsführer seiner Kompanie, Feldwebel Fr, zu gehen, um sich nach dem ihm zustehenden Betrag zu erkundigen. Der Zeuge Fr, der die Auszahlungslisten für die 1./Ibataillon 1 erstellt hatte, erkannte, daß dem Gefreiten Mü 30 DM zu wenig ausgezahlt worden waren. Er informierte sofort den früheren Soldaten fernmündlich, worauf dieser erklärte, derartiges sei möglich und könne einmal passieren, er – Fr – möge den Betrag von 30 DM an Mü aus seinem Geldbeutel vorstrecken, was dieser auch tat.

Während dieses Telefongesprächs befand sich gerade der Gefreite Se im Kassenraum und konnte mithören, daß einer seiner Kameraden 30 DM zu wenig erhalten hatte und daß Feldwebel Fr diesen Betrag zunächst verauslagen solle. Der Zeuge Se quittierte dennoch ohne Bedenken auf der Verpflegungsgeldliste den dort ausgewiesenen Auszahlungsbetrag, weil er von einem bereits geklärten Versehen ausging und dem früheren Soldaten vertraute, obwohl ihm dieser zu wenig ausgezahlt hatte.

Nachdem Gefreiter Mü seine Kameraden über die Nachzahlung unterrichtet hatte, begaben sich weitere Soldaten zu dem Zeugen Fr, der anhand seiner Unterlagen ebenfalls Unstimmigkeiten bei den an sie geleisteten Zahlungen feststellte. Feldwebel Fr begab sich deshalb persönlich zu dem früheren Soldaten in den Kassenraum und berichtete ihm von den Geschehnissen, worauf dieser erwiderte, daß alle Soldaten, die glaubten, zu wenig Geld erhalten zu haben, zu ihm kommen sollten. Er könne anhand seines Kassenzettels nachprüfen, ob wirklich eine Nachzahlung zu erfolgen habe. Den durch Feldwebel Fr verauslagten Betrag erstattete er bei dieser Gelegenheit.

Feldwebel Fr rief deshalb im Anschluß daran alle übrigen Wehrpflichtigen in sein Dienstzimmer und prüfte soweit möglich mit diesen die Zahlungsbeträge auf ihre Richtigkeit. Wer zu wenig erhalten hatte, wurde von ihm zur Zahlstelle befohlen, wo er ohne weitere Überprüfung und Unterschriftsleistung von dem früheren Soldaten den von ihm genannten Fehlbetrag ausgezahlt bekam. Kassentechnische Belege wurden darüber nicht erstellt.

Auf Grund dieser Vorkommnisse entstand unter den Soldaten, die sich wieder im Kompanieblock zum Gruppenbild versammelt hatten, erhebliche Unruhe. Hierdurch wurde der Kompaniefeldwebel, Hauptfeldwebel M, aufmerksam und erkundigte sich, was geschehen sei. Nachdem ihm die Soldaten berichtet hatten, begab er sich zur Zahlstelle, fragte nach und erhielt durch den früheren Soldaten die Antwort, daß alles bereits geklärt sei und die wehrpflichtigen Soldaten ihr Geld bekommen hätten.

Dennoch wurde der Vorgang dem Kompaniechef, Major A, gemeldet, der ebenfalls der Sache nachging, sich mehrere Minuten mit dem früheren Soldaten unter vier Augen unterhielt, jedoch nur ausweichende Auskünfte von ihm bekam, die darauf hinausliefen, daß er, der frühere Soldat, sich nicht erklären könne, was geschehen sei und wie es dazu habe kommen können. Major A informierte daraufhin gegen 14.00 Uhr den Leiter der Truppenverwaltung, der seinerseits eine Kassenprüfung durch den Zeugen Regierungsoberinspektor Fa anordnete. Diese ergab einen Überschuß von 4,21 DM, ansonsten keine Beanstandung.

Der frühere Soldat wurde nach Abschluß der Kassenprüfung von Major A in Gegenwart von Regierungsoberinspektor Fa vernommen. Er erklärte dabei, es bestehe die Möglichkeit, daß er sich auf dem Rechenstreifen vertippt oder auf der Auszahlungsliste verlesen habe. Es könnten auch Namensverwechslungen vorgekommen sein, weil Soldaten nicht in der Listenreihenfolge zur Zahlstelle gekommen seien. Auf die Frage, wie es angesichts jahrelanger Erfahrung als Zahlstellenverwalter zu erklären sei, daß auf einmal so viele Fehler aufgetreten seien, erwiderte der frühere Soldat, er sei unkonzentriert gewesen und habe keine Erklärung. Die Frage, warum es sich bei den Differenzen nur um glatte Beträge gehandelt habe, beantwortete er damit, daß er sich „verhauen” habe.

Der frühere Soldat hat den äußeren Geschehensablauf nicht bestritten. Er hat sein Verhalten – wie schon in der zweiten Vernehmung durch den Disziplinarvorgesetzten vom 3. April 1992 – damit zu erklären versucht, daß er die genannten Teilbeträge bewußt nicht ausgezahlt habe, um damit auf Mißstände hinzuweisen und um zu verdeutlichen, daß die Anordnung, Auszahlungen derartigen Umfangs allein durch ihn durchführen zu lassen, zu solchen Fehlern führen müsse. Er habe das Geld nicht für sich behalten wollen, sondern sei davon ausgegangen, daß die betroffenen Soldaten gewußt hätten, was sie zu bekommen hätten, und damit alles aufgeklärt würde. Gerade dies habe er gewollt.

Diese Einlassung des früheren Soldaten, er habe mit seinem Vorgehen lediglich auf den unhaltbaren Zustand einer Zahlungsabwicklung durch ihn allein aufmerksam machen wollen, er habe von vorneherein eine Entdeckung in sein Kalkül miteinbezogen, hält der Senat für nicht glaubhaft. Der frühere Soldat hat nämlich zunächst und in der Vernehmung vom 26. März 1992 das Geschehen als Versehen, Vertippen, Verrechnen oder irrtümliche Falschauszahlung zu erklären versucht und erst in der von ihm veranlaßten Vernehmung vom 3. April 1992 sein Verhalten als Protestreaktion dargestellt. Seine Behauptung, er habe den Sachverhalt und dessen Hintergründe bei der ersten Vernehmung nicht richtig geschildert, weil er den von schwerer Krankheit gekennzeichneten „Herrn F nicht im Beisein von Herrn Fa belasten wollte”, entbehrt der Logik und ist als Schutzbehauptung zu bewerten. Denn das Verhalten des Leiters der Truppenverwaltung, Regierungsamtsrat F, war nicht zu beanstanden. Derartige Zahlungstermine und deren Bewältigung durch einen Zahlstellenverwalter sind in der Bundeswehr nicht außergewöhnlich. Zudem hatte der Leiter der Truppenverwaltung wegen der Remonstration des früheren Soldaten organisatorische Entlastungsmaßnahmen zu dessen Gunsten in die Wege geleitet. Es bestand deshalb auch im Hinblick auf die Schwere der gegen ihn erhobenen Vorwürfe keinerlei Anlaß, Regierungsamtsrat F „zu decken”. Auch die damit im Zusammenhang stehende Einlassung des früheren Soldaten, er habe die Gelder nicht behalten und sich nicht bereichern wollen, hält der Senat für widerlegt. Zum einen hat er bei den Zahlungsempfängern, bei denen eine Manipulation ein erhöhtes Entdeckungsrisiko mit sich gebracht hätte, den zustehenden Betrag ungeschmälert ausgezahlt. Er hat weiter, um sein Vorgehen zu verschleiern, die Höhe der von ihm einbehaltenen Beträge an der Höhe des jeweils auszuzahlenden Verpflegungsgeldes gestaffelt orientiert. Je höher der Auszahlungsbetrag war, desto größer gestaltete er den einbehaltenen Betrag. Nach seiner eigenen Einlassung hat er bei dem Gefreiten W, dem der geringste Betrag zustand und für den das Nachrechnen unproblematisch gewesen wäre, und bei dem Gefreiten S, der als Rechnungsführergehilfe eingesetzt war und deshalb Zugang zu den Auszahlungslisten hatte, „bewußt richtig” ausgezahlt. Ferner hat der frühere Soldat stets zum Nachteil anderer und nicht ein einziges Mal zuviel ausgezahlt. Zudem behielt er in jedem Fall glatte Beträge ein. Im übrigen hätte er vielfältige andere Mittel und Wege wählen können, um seinen aus seiner Sicht notwendigen Protest, ohne rechtswidrig zu handeln, auszudrücken.

Der frühere Soldat hat auch in der Berufungshauptverhandlung die Möglichkeit verminderter Schuldfähigkeit zur Tatzeit geltend gemacht und zum Beweis hierfür sowie dafür, daß er keine Zueignungsabsicht gehabt habe, die Einholung eines psychologisch-medizinischen Fachgutachtens beantragt. Er habe sich auf Grund der Auseinandersetzung mit seinen Vorgesetzten und dem in seiner Persönlichkeitsstruktur begründeten Gefühl einseitiger Benachteiligung möglicherweise in einer „psychisch verengten Ausnahmesituation” – auch wenn diese für seine Umgebung nicht erkennbar gewesen sei – befunden. Es habe sich um eine spontane, persönlichkeitsfremde Kurzschlußtat mit selbstschädigender Tendenz gehandelt.

Der Senat hat diesen Antrag in der Berufungshauptverhandlung durch Beschluß zurückgewiesen und dies u.a. damit begründet, es bestünden keinerlei Anhaltspunkte, die Zweifel an der vollen Schuldfähigkeit des früheren Soldaten zur Tatzeit erwecken konnten. Der frühere Soldat habe voll überlegt, orientiert, zielgerichtet und ohne jegliches Anzeichen einer der vier in § 20 StGB genannten Ausnahmesituationen gehandelt. Die von ihm geltend gemachte Belastungssituation sei für ihn nicht überraschend aufgetreten, sondern habe sich seit längerem abgezeichnet. Es sei offenkundig, daß er im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gehandelt habe. Bei dem begehrten Gutachten über die subjektive Tatseite der Zueignungsabsicht handle es sich um ein völlig ungeeignetes Beweismittel.

Durch die unvollständigen Auszahlungen zum Nachteil der Wehrpflichtigen in Verbindung mit dem Versuch, den so entstehenden tatsächlichen Kassenüberbestand sich zuzueignen, hat der frühere Soldat vorsätzlich gegen die Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG) verstoßen. Mag sein Vorgehen strafrechtlich als Versuch vorsätzlicher rechtswidriger Zueignung zu bewerten sein, dienstrechtlich ist es als (vollendete) vorsätzliche Pflichtverletzung einzustufen. Der frühere Soldat hat es unternommen, auf ihm anvertrautes Gut des Dienstherrn zuzugreifen, die unvollständigen Auszahlungen an zur Entlassung heranstehende Untergebene verfolgten den Zweck, eine von ihm geplante Entnahme eines so entstehenden Kassenüberbestandes zu ermöglichen. Dieser Überschuß an Barmitteln stand aber nach wie vor dem Dienstherrn und nicht den ausscheidenden Wehrpflichtigen zu, deren Zahlungsansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland durch den früheren Soldaten als Sachverwalter seines Dienstherrn nicht vollständig erfüllt worden waren (vgl. Urteil vom 10. Dezember 1981 – BVerwG 2 WD 76.80 –).

In seinem Verhalten liegt zugleich ein vorsätzlicher Verstoß gegen seine Pflicht zur Fürsorge gegenüber Untergebenen (§ 10 Abs. 3 SG). Der frühere Soldat war als Zahlstellenverwalter Vorgesetzter der Zahlungsempfänger nach § 3 VVO – Vorgesetzter mit besonderem Aufgabenbereich –. Er war somit verpflichtet, sich jeder pflichtwidrigen Schädigung eines dieser Untergebenen zu enthalten (vgl. Urteil vom 3. September 1973 – BVerwG 2 WD 53.72 – ≪BVerwGE 46, 153≫).

Des weiteren hat der frühere Soldat vorsätzlich gegen seine Pflichten zur Kameradschaft (§ 12 SG), in dienstlichen Angelegenheiten die Wahrheit zu sagen (§ 13 Abs. 1 SG) sowie zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten innerhalb des Dienstes (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) verstoßen.

Er hat damit insgesamt ein Dienstvergehen nach 23 Abs. 1 SG begangen.

Nach § 54 Abs. 5 i.V.m. § 34 Abs. 1 WDO sind bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme Eigenart und Schwere des Dienstvergehens, seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen.

Das Dienstvergehen des früheren Soldaten wiegt außerordentlich schwer.

Der vorsätzliche Zugriff eines Soldaten auf Zeit oder Berufssoldaten auf Eigentum oder Vermögen des Dienstherrn, das ihm zur Verwaltung und Verwahrung anvertraut ist, stellt nach gefestigter Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile vom 10. Dezember 1991 – BVerwG 2 WD 32.91 – und vom 27. Januar 1987 – BVerwG 2 WD 11.86 – ≪BVerwGE 83, 273 = NZWehrr 1987, 256≫) ein so schwerwiegendes Dienstvergehen dar, daß es regelmäßig zur disziplinaren Höchstmaßnahme führt. Unternimmt es ein Zahlstellenverwalter in dieser Funktion dienstliche Gelder zu veruntreuen, zerstört er das in ihn gesetzte Vertrauen des Dienstherrn und damit auch die Grundlage seines Dienstverhältnisses so nachhaltig, daß ein weiteres Verbleiben in seinem Dienstverhältnis dem Dienstherrn regelmäßig nicht mehr zuzumuten ist. Befindet sich der Soldat inzwischen im Ruhestand, hat er demzufolge die Aberkennung seines Ruhegehalts verwirkt (§ 59 Abs. 3 Satz 1 WDO).

Den früheren Soldaten, der als Vorgesetzter in Haltung und Pflichterfüllung strengen Maßstäben unterlag (§ 10 Abs. 1 SG), belastet ferner schwer, daß er bei Gelingen seines Planes ihm untergebenen, wehrpflichtigen Kameraden auf Dauer nicht geringe finanzielle Schäden zugefügt hätte. Der Senat hat auch dienstliche wie außerdienstliche Verfehlungen eines Soldaten gegen Eigentum und Vermögen von Kameraden stets als gravierendes Fehlverhalten gewertet, das Rückschlüsse auf die Persönlichkeit eines Soldaten zuläßt und die Möglichkeit seiner dienstlichen Verwendung berührt. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile vom 13. Februar 1992 – BVerwG 2 WD 46.91 – und vom 1. Juli 1987 – BVerwG 2 WD 1.87 –) stellt eine solche Tat zu Lasten von Kameraden ein schwerwiegendes Dienstvergehen dar, für dessen Ahndung grundsätzlich die Dienstgradherabsetzung bis in einen Mannschaftsdienstgrad Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen ist. Besondere Erschwerungsgründe können sogar eine Entfernung aus dem Dienstverhältnis bzw. die Aberkennung des Ruhegehalts gebieten.

So verhält es sich hier. Der frühere Soldat hat die besondere „Abschleusungssituation” und das Vertrauen der ihm unterstellten Wehrpflichtigen in überaus verwerflicher Weise ausgenutzt. Er hat durch sein Fehlverhalten Unruhe in der Truppe und eine Störung des Dienstbetriebes verursacht und letztlich seine Ablösung von seinem Dienstposten herbeigeführt. Dies fällt ihm als Auswirkung des Dienstvergehens ebenfalls erschwerend zur Last.

Milderungsgründe in der Tat sind nicht ersichtliche geworden. Insbesondere konnte sich der frühere Soldat nicht auf eine erhebliche Verminderung seiner Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB berufen.

Besondere Gründe, die gleichwohl ein Absehen von der Höchstmaßnahme hätten rechtfertigen können, lagen ebenfalls nicht vor. Bei dem früheren Soldaten waren weder eine unverschuldete wirtschaftliche Notlage noch eine psychische Zwangssituation erkennbar. Es konnte auch nicht von einer unüberlegten, persönlichkeitsfremden Augenblickstat ausgegangen werden; denn die Abwicklung der Auszahlungen nahm gewisse Zeit in Anspruch und bei jedem weiteren Zahlungsempfänger bestand für den früheren Soldaten Gelegenheit zur Umkehr, wozu insbesondere Anlaß bestanden hätte, nachdem ihn Feldwebel F angerufen und auf die nicht vollständige Zahlung an den Gefreiten Mü hingewiesen hatte.

Die in der Person des früheren Soldaten liegenden Milderungsgründe, seine langjährige überdurchschnittliche Dienstleistung, seine förmliche Anerkennung, die von ihm erdienten Auszeichnungen und sein besonderes Engagement als langjähriges Vorstandsmitglied der Unteroffizierheimgesellschaft sind nicht geeignet, zu einer der Art nach milderen Maßnahme zu führen.

Mangels Milderungsgründen in der Tat kann ihm auch weder sein bisheriger noch ein herabgesetzter Dienstgrad für das Reserveverhältnis belassen werden (§ 58 Abs. 2 WDO).

Der frühere Soldat ist jedoch wegen der für ihn sprechenden Milderungsgründe in der Person eines Unterhaltsbeitrages nicht unwürdig, dessen er angesichts des Fehlens einer zivilberuflich verwertbaren Ausbildung und der derzeitigen Arbeitsmarktlage voraussichtlich für eine längere Übergangszeit bedarf (§ 105 Abs. 1 WDO). Der Senat hat ihm daher einen Unterhaltsbeitrag in Höhe von 75 vom Hundert des erdienten Ruhegehalts zunächst für die Dauer eines Jahres bewilligt; der vom Truppendienstgericht unter den Voraussetzungen des § 105 Abs. 4 WDO auf Antrag weiterbewilligt werden kann.

4. Da die Berufung des Wehrdisziplinaranwalts Erfolg hatte, waren die Kosten des ersten Rechtszuges gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 WDO dem früheren Soldaten aufzuerlegen. Die Kosten des für den früheren Soldaten erfolglosen und für den Wehrdisziplinaranwalt erfolgreichen Berufungsverfahrens waren gemäß § 131 Abs. 1 WDO und in entsprechender Anwendung von § 131 Abs. 1 und 2 WDO dem früheren Soldaten zu überbürden. Gründe, ihn von den ihm im Verfahren erwachsenen notwendigen Auslagen zu entlasten, waren nicht gegeben.

 

Unterschriften

Hacker, Dr. Schwandt, Roth, Karthäuser, Schrader

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1622337

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