Entscheidungsstichwort (Thema)

Unlautere Machenschaft. Machtmißbrauch. Enteignung als unlautere Machenschaft. staatliche Verwaltung. “Besondere Objektliste”. Beschluß des Ministerrats. Diskriminierung, generelle – einer Gruppe. gruppengerichtete Diskriminierung. Enteignung nach dem Baulandgesetz. Enteignung zugunsten Privater. “Westeigentümer”. Geheimhaltung von Richtlinien. Richtlinien, geheime. Willkür. redlicher Erwerb

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Enteignung kann die Voraussetzungen einer unlauteren Machenschaft im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG erfüllen, wenn die Enteignungsbehörde zu ihr durch unveröffentlichte, mit dem einschlägigen Enteignungsgesetz nicht zu vereinbarende Richtlinien angeleitet wurde, durch die Beschlüsse hoher Staats- oder SED-Organe umgesetzt wurden, welche Mitglieder einer Gruppe (hier: “Westeigentümer”) gezielt benachteiligen sollten (“Besondere Objektliste für nicht überschuldete Eigenheime”).

 

Normenkette

VermG § 1 Abs. 3, § 4 Abs. 2

 

Verfahrensgang

VG Berlin (Urteil vom 18.04.1997; Aktenzeichen 31 A 57.95)

 

Tenor

Die Revisionen der Klägerin und des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 18. April 1997 werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens tragen die Klägerin zu drei Viertel, der Beklagte zu einem Viertel. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

 

Tatbestand

I.

Die Klägerin begehrt die Rückübertragung eines in Berlin-T… gelegenen, mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks, das seit 1967 in ihrem Alleineigentum stand und 1988 in Volkseigentum überführt wurde. Die Beigeladenen erwarben in demselben Jahr als Mieter ein Nutzungsrecht am Grundstück und das Eigentum am Gebäude.

Auf der Grundlage der – unveröffentlichten – “Anweisung über die Behandlung der in der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik (demokratisches Berlin) befindlichen Vermögenswerte Westberliner Bürger und juristischer Personen mit Sitz in den Westsektoren” vom 18. November 1961 (abgedruckt als Dok I Nr. 156 in: RVI, Bd. 4) wurde das Grundstück seit 1963 für die Klägerin und die damalige Miteigentümerin, die beide auf legalem Weg nach Westberlin verzogen waren, durch den VEB KWV staatlich verwaltet; es war seit dieser Zeit an die Beigeladenen vermietet. Im Jahre 1987 reichte der Verwalter das Grundstück beim Magistrat als “Nachtrag zur besonderen Objektliste 1987” ein. Durch Ratsbeschluß wurde es “zur Sicherung planmäßiger Baumaßnahmen” mit Wirkung zum 1. Januar 1988 in Volkseigentum überführt. Zu diesem Zeitpunkt war das Grundstück bei einem Einheitswert von 6 900 M mit dinglich gesicherten volkseigenen Forderungen in Höhe von 7 900 M belastet; die geplanten Baumaßnahmen wurden mit 12 000 M veranschlagt. Das Entschädigungsverfahren ist nicht abgeschlossen worden; vorgesehen war auf der Grundlage eines im Jahre 1986 erstellten Gutachtens eine an dem Zeitwert von Grundstück und Gebäude in Höhe von 15 200 M orientierte Festsetzung der Entschädigung. Die Beigeladenen, die seit 1977 um einen Erwerb bemüht waren, hatten sich am 1. Oktober 1985 schriftlich verpflichtet, die auf dem Grundstück befindlichen Baulichkeiten nebst Anlagen und Anpflanzungen zu kaufen und notwendige Baumaßnahmen in eigener Regie auszuführen und zu finanzieren, sofern das Grundstück in Volkseigentum überführt würde.

Den Rückübertragungsantrag der Klägerin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 28. Februar 1994 ab. Ihren Widerspruch wies der Widerspruchsausschuß mit Bescheid vom 8. Februar 1995 zurück.

Das Verwaltungsgericht hat die auf Rückgabe des Grundstücks gerichtete Klage mit der Begründung abgewiesen, die Beigeladenen hätten redlich erworben, und den Beklagten verpflichtet, die Berechtigung der Klägerin festzustellen. Diese ergebe sich zwar nicht aus § 1 Abs. 1 Buchst. a bis c VermG, wohl aber aus § 1 Abs. 3 VermG. Die Überführung in Volkseigentum mit dem Ziel, anschließend das Gebäude an einen privaten Erwerber zu veräußern, habe ganz offensichtlich nicht dem gültigen Recht der DDR entsprochen. Zum einen sei die Inanspruchnahme von Grundstücken zugunsten Privater nach dem Baulandgesetz auf den Eigenheimneubau beschränkt gewesen. Zum anderen hätte die nach diesem Gesetz vorausgesetzte fehlende Bereitschaft eines Eigentümers zur Durchführung der erforderlichen Arbeiten nur dann unterstellt werden dürfen, wenn das Grundstück – anders als im Streitfall – überschuldet gewesen wäre. Die Inanspruchnahme des Grundstücks habe in Wahrheit auf einem geheimen Beschluß des Ministerrats der DDR aus dem Jahre 1985 und den hierzu ergangenen Richtlinien beruht. Diese hätten in konspirativer Weise den Entzug von “Westeigentum” ermöglichen sollen. Sie stellten sich als konsequente Fortsetzung der von der DDR-Führung in den siebziger Jahren beschlossenen systematischen Reduzierung solchen Eigentums durch Überführung in Volkseigentum dar.

Der Beklagte, der die Klageabweisung erstrebt, und die Klägerin, die weiterhin das Ziel der Rückgabe verfolgt, begründen ihre Revisionen wie folgt:

Der Beklagte ist der Auffassung, die Anwendung einer generell diskriminierenden Regelung wie der hier in Rede stehenden Richtlinien werde nicht von § 1 Abs. 3 VermG erfaßt, denn darin liege kein qualifiziertes Einzelfallunrecht im Sinne einer manipulativen Verletzung des gültigen DDR-Rechts. Für die Rechtswirklichkeit der DDR sei es geradezu typisch gewesen, die nach außen aufrechterhaltenen gesetzlichen Bestimmungen durch solche unveröffentlichte Anweisungen abzuändern und damit teilweise außer Kraft zu setzen. Ohnehin sei entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts eine Inanspruchnahme von Grundstücken nach Maßgabe der Vorschriften des Baulandgesetzes auch zugunsten privater Nutzung möglich gewesen, wenn dies bei der Sicherung von Baumaßnahmen notwendig gewesen sei. Das habe auch dann gegolten, wenn ein Enteignungsbeschluß als Grund der Inanspruchnahme die Sicherung geplanter Baumaßnahmen und deren Finanzierung aus Haushaltsmitteln angegeben habe, obwohl von vornherein die Übereignung des Gebäudes an die Nutzer und die Finanzierung der Baumaßnahmen durch diese vorgesehen gewesen sei. Darüber hinaus sei die vom Verwaltungsgericht vermißte Überschuldung kein Tatbestandsmerkmal des Baulandgesetzes gewesen. Vor dem Ministerratsbeschluß des Jahres 1985 sei allerdings auf die Enteignung nicht überschuldeter Grundstücke verzichtet worden. Dies habe aber darauf beruht, daß die DDR das Entstehen umfangreicher Ausländer-Guthaben habe vermeiden und ihre Position bei Verhandlungen mit der Bundesrepublik Deutschland über ein beabsichtigtes Vermögensabkommen nicht habe schwächen wollen. Der Beschluß zugunsten der “planmäßigen Verwirklichung des Wohnungsprogramms und der schöneren Gestaltung der Städte und Gemeinden” habe hier eine Änderung herbeigeführt.

Die Klägerin meint, die Beigeladenen hätten gewußt oder erkennen können, daß die Inanspruchnahme des Grundstücks vom Baulandgesetz nicht gedeckt gewesen sei. Die Beigeladenen seien schon 1977 am Erwerb des Grundstücks interessiert gewesen. Dieser sei ihnen versagt worden. Auch danach hätten sie ihr Erwerbsziel nicht aufgegeben; daher müsse davon ausgegangen werden, daß sie mit den einschlägigen Rechtsgrundlagen vertraut gewesen seien. Auch hätten sie erkennen können, daß das Grundstück nicht überschuldet gewesen sei.

Der Oberbundesanwalt verteidigt das angefochtene Urteil. Die Enteignung sei willkürlich gewesen, weil der von den Organen der DDR angegebene Enteignungszweck von keiner Rechtsgrundlage gedeckt gewesen sei. Von Inanspruchnahmen auf der Grundlage des Ministerratsbeschlusses hätten ausschließlich Bundesbürger und Ausländer betroffen sein können. Damit aber unterfielen sie dem Anwendungsbereich des § 1 Abs. 3 VermG; anderes gelte für Enteignungen, von denen Bürger der DDR, Bundesbürger und Ausländer gleichermaßen betroffen gewesen seien.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revisionen des Beklagten und der Klägerin sind nicht begründet. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 VermG (unlautere Machenschaften) wie diejenigen eines redlichen Erwerbs durch die Beigeladenen i.S.d. § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG bejaht.

1. Die Klägerin ist Berechtigte im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG, denn sie ist im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG geschädigt worden. Diese Vorschrift betrifft auch den Erwerb durch Hoheitsakt und dessen unlautere Begleiterscheinungen. Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß willkürlich oder sonst manipulativ erfolgte Enteignungen grundsätzlich nach dem Vermögensgesetz rückgängig zu machen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1997 – BVerwG 7 C 25.96 – ZOV 1997, 355 = VIZ 1997, 685 m.w.N.). Um einen solchen willkürlichen Erwerbsakt handelt es sich bei der in Rede stehenden Überführung in Volkseigentum:

a) Der Ratsbeschluß gab als Rechtsgrundlage der Enteignung das Baulandgesetz und als Enteignungszweck die Sicherung planmäßiger Baumaßnahmen an. Damit war ersichtlich Bezug genommen auf § 1 Abs. 1 sowie § 15 Abs. 1 des Baulandgesetzes (BaulG). Hiernach war die Begründung von Volkseigentum (§ 2 Abs. 1 BaulG) zur Bereitstellung von bebauten Grundstücken für die planmäßige Modernisierung, den Um- und Ausbau sowie Instandsetzung der Gebäude, baulichen Anlagen und Freiflächen vorgesehen. Indessen war, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt und der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich eingeräumt hat, die hier in Rede stehende Baumaßnahme nicht in einem Plan vorgesehen. Zudem waren die Maßnahmen gemäß § 15 Abs. 1 BaulG von den Rechtsträgern und Eigentümern vorzunehmen. Dem entsprach es, daß die Begründung von Volkseigentum gemäß § 1 Abs. 1 BaulG nur zugunsten von Staatsorganen, volkseigenen Kombinaten, volkseigenen Betrieben und vergleichbaren Institutionen zulässig war, die dort zusammenfassend als Bauauftraggeber gekennzeichnet waren. Angesichts dessen war die im Streitverfahren gewählte Methode, zwar zunächst Volkseigentum am Grundstück zu begründen, dann aber schon alsbald das Gebäude an die privaten Nutzer zu veräußern, damit diese die Baumaßnahme durchführten, offenkundig weder vom Wortlaut noch vom Sinn und Zweck der einschlägigen Vorschriften des Baulandgesetzes gedeckt. Eine wahrheitsgemäße Angabe des wirklichen Enteignungszwecks “Durchführung von Baumaßnahmen durch die privaten Nutzer” hätte mit anderen Worten sofort kenntlich gemacht, daß die Maßnahme mit dem einschlägigen Gesetzesrecht schlechterdings unvereinbar war. Der Versuch, sie als normalen Fall des Baulandgesetzes zu kennzeichnen, belegt daher die Absicht der Gesetzesumgehung. Es kommt hinzu, daß neben materiellen auch formelle Vorgaben des Baulandgesetzes nicht eingehalten wurden. Die Verfahrensvorschriften in § 15 Abs. 2 und § 16 Abs. 3 des BaulG bestimmten, daß in geeigneter Weise über im Volkswirtschaftsplan vorgesehene Baumaßnahmen informiert werden sollte, und hielten zu dem Versuch an, eine Durchführung der Maßnahmen in Übereinstimmung mit den Eigentümerinteressen bzw. ohne Enteignung zu bewerkstelligen. All dies ist nicht geschehen.

Der Befund eines mehrfachen bewußten Gesetzesverstoßes wird dadurch bestätigt und verdeutlicht, daß die vom Verwaltungsgericht zutreffend als eigentliche Grundlage der durchgeführten Maßnahme angesehene Richtlinie zur Überwindung der dargelegten Schranken des Baulandgesetzes anleitete. Diese “Richtlinie über die Nutzung von Grundstücken von Berechtigten aus kapitalistischen Staaten und Westberlin” vom 1. Oktober 1985 (unveröffentlicht; vgl. Heft 1 der Schriftenreihe des Bundesamts zur Regelung offener Vermögensfragen, S. 463 ff.) setzten einen – nicht veröffentlichten – Beschluß des Politbüros des ZK der SED vom 2. Juli 1985 um, welcher vom Präsidium des Ministerrates als eigener Beschluß übernommen worden war (a.a.O. S. 457). Er verfolgte das Ziel, “alle mit diesen Grundstücken zusammenhängenden Hemmnisse zu beseitigen, die die Verwirklichung des Wohnungsbauprogramms, die schönere Gestaltung der Städte und Gemeinden und die Befriedigung der Freizeit- und Erholungsbedürfnisse der Bürger behindern”. Auch wenn in ihnen ausdrücklich die strenge Einhaltung der geltenden gesetzlichen Bestimmungen und Regelungen angemahnt wurde, macht gerade die hier interessierende Richtlinienregelung unter II. 2. (“Zur Nutzung von staatlich verwalteten Grundstücken”) deutlich, daß die angesprochenen Hemmnisse nicht in tatsächlichen Gegebenheiten, sondern in gesetzlichen Hindernissen gesehen wurden. Hiernach konnten staatlich verwaltete, mit Ein- und Zweifamilienhäusern bebaute Grundstücke mit dem Ziel in Volkseigentum überführt werden, die aktive Mitwirkung der Bürger an der Verbesserung der Wohnbedingungen zu fördern und ihre Eigeninitiative zur Modernisierung, Instandhaltung und Instandsetzung von Wohnraum zu unterstützen, und zwar auch und gerade dann, wenn sie noch nicht zum Zeitwert verschuldet waren oder eine Verschuldung auch in Zukunft “nicht möglich” war. Die Gebäude waren an Bürger der DDR mit Wohnsitz in der DDR zu verkaufen, die zuvor ihre Bereitschaft zu erklären hatten, diese zu kaufen. Mit Hilfe einer derartigen Verfahrensweise, die dem Grundsatz 2 der durch Beschluß des Politbüros vom 2. Juli 1985 (a.a.O. S. 459) bestätigten “Grundsätze zur Erweiterung der Möglichkeiten für den Verkauf und die Nutzung des Grundbesitzes von Berechtigten aus kapitalistischen Staaten und Westberlin im Rahmen der schöneren Gestaltung unserer Städte und Gemeinden” entsprach, wurden die wesentlichen Hindernisse, die der vorgesehenen Maßnahme entgegenstanden, “ausgeräumt”. Durch den in den Richtlinien vorgesehenen Verzicht auf eine Überschuldungslage konnten die Enteignungsvoraussetzungen des Baulandgesetzes noch einfacher umgangen werden als durch eine manipulierte Überschuldung, zu denen die Ministerratsbeschlüsse von 1976/77 angeleitet hatten. Durch die Einbindung der Nutzer (und künftigen Gebäudeeigentümer bzw. Grundstücksnutzungsberechtigten) wurde das unerwünschte Ergebnis vermieden, daß Bauauftraggeber im Sinne des § 1 Abs. 1 BaulG die aus ihrer Rechtsträgerschaft resultierenden Kostenverpflichtungen zu tragen hatten. Zwar erhellt hieraus, daß mit den Richtlinien auch bezweckt war, das Problem der Unterhaltung der Grundstücke, welches offenbar wegen erhöhten Finanzbedarfs und mangels genügender Mittel zunehmend lästiger geworden war, zu lösen oder zumindest zu verkleinern. Unberührt hiervon bleibt aber der Umstand – den das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend hervorgehoben hat –, daß Betroffene der in Rede stehenden, nicht gesetzeskonformen Richtlinien zwangsläufig nur Berechtigte aus den sog. kapitalistischen Staaten sowie aus Westberlin waren.

b) Der Beurteilung der Enteignungsmaßnahme als willkürliche Unrechtsmaßnahme steht nicht entgegen, daß sie auf Beschlüsse oberster SED- bzw. Staatsorgane zurückgeht und durch die erlassenen Richtlinien notwendigerweise eine unbestimmte Vielzahl von Grundstückseigentümern in gleicher Weise betroffen war. Entgegen der Auffassung des Beklagten darf die Richtlinienregelung nicht als – von den Betroffenen regelmäßig hinzunehmende – generelle Regelung, sondern muß im Gegenteil als generelle Diskriminierung einer Gruppe begriffen werden, die im Falle ihrer Anwendung das einzelne Gruppenmitglied gegenüber den sonstigen Gesetzesunterworfenen willkürlich benachteiligte.

Der erkennende Senat hat dementsprechend bereits in dem die “Ausreisefälle” betreffenden Urteil vom 29. Februar 1996 – BVerwG 7 C 59.94 – (BVerwGE 100, 310 ≪313 f.≫) entschieden, daß eine “ständige Praxis” von staatlichen Stellen, welche im veröffentlichten Gesetzesrecht der DDR ersichtlich keine Stütze fand, eine Vielzahl von § 1 Abs. 3 VermG unterfallenden willkürlichen Erwerbstatbeständen auslöste; den Erläuterungen der Bundesregierung zum Vermögensgesetz (BTDrucks 11/7831, S. 3) läßt sich sogar entnehmen, daß der Gesetzgeber die Ausreisefälle als typischen Anwendungsfall für § 1 Abs. 3 VermG ansah. Dem vorgenannten Urteil liegt die Erkenntnis zugrunde, daß eine in bewußter Abkehr vom Gesetzesrecht und in diskriminierender Absicht verfolgte “ständige Praxis” nicht als ein Teil der gelebten Rechtswirklichkeit begriffen werden darf, auf die abzustellen ist, wenn die Abweichung einer Maßnahme von der DDR-Rechtsordnung in Frage steht. Nichts anderes gilt für die hier zu beurteilenden Fälle, in denen zu einer solchen ständigen Praxis sogar durch Richtlinien angeleitet wurde. Deren Befolgung allein rechtfertigt nämlich nicht die Beurteilung, bei der Maßnahme sei “alles mit rechten Dingen zugegangen”. Anderes läßt sich entgegen der Revision des Beklagten auch nicht dem – Zwangsaussiedlungen betreffenden – Urteil des Senats vom 26. September 1996 – BVerwG 7 C 61.94 – (BVerwGE 102, 89 ≪91≫) entnehmen. Entscheidungstragend hat der Senat in diesem Urteil nämlich darauf abgehoben, daß eine im Zusammenhang mit einer Zwangsaussiedlung erfolgte Vermögensentziehung als grob rechtsstaatswidrige Maßnahme der politischen Verfolgung nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz wiedergutzumachen ist und nicht als zielgerichteter Zugriff auf den Vermögenswert im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG beurteilt werden kann, weil sie – unbeschadet ihres Unrechtsgehalts – gleichsam nur Nebenfolge des bezweckten Zugriffs auf die Persönlichkeitssphäre der Betroffenen war. Das vorgenannte Urteil ist demgemäß nicht dahin zu verstehen, daß ein als unlautere Machenschaft zu wertendes “qualifiziertes Einzelfallunrecht” schon dann ausscheidet, wenn eine unbestimmte Vielzahl von Personen von gleichartigen Maßnahmen betroffen war. Entscheidend ist vielmehr, ob der manipulierte staatliche Vermögenszugriff in bewußter Abweichung von der durch die DDR selbst gesetzten, nach außen aufrechterhaltenen Rechtsordnung erfolgt ist, gleichgültig, ob dies – wie meist bei DDR-Bürgern – nur einen bestimmten Eigentümer oder – wie regelmäßig bei “Westbürgern” – eine Eigentümergruppe betraf.

Ob eine von einer Richtlinie vorgeprägte Enteignungsmaßnahme auf unlauteren Machenschaften beruhte, bemißt sich also danach, ob bereits die Richtlinie selbst gruppengerichtet diskriminierte. Diese Frage ist, wie dargelegt, dann zu bejahen, wenn sie eine bestimmte, nach Merkmalen gekennzeichnete Gruppe unter Mißachtung des veröffentlichten gesetzten Rechts gezielt benachteiligte. Dies ist im vorliegenden Zusammenhang für die Gruppe der “Westeigentümer” ebenso eindeutig der Fall wie bei der Benachteiligung derselben Gruppe im Zusammenhang mit diskriminierend niedrigen Entschädigungen i.S.d. § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 18. Januar 1996 – BVerwG 7 C 51.94 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 61 m.w.N.); mit in der DDR ansässigen Eigentümern hätte hier wie dort schwerlich ohne erhebliche Konflikte ähnlich umgegangen werden können. Gemeinsam ist beiden Fallgruppen, daß die DDR bestrebt war, Zugriff auf Vermögenswerte zu nehmen, die als nicht schutzbedürftig angesehenen Eigentümern gehörten. Dieser Zugriff sollte durch verschiedenartige Manipulationen an dem nach außen aufrechterhaltenen Recht erleichtert bzw. ermöglicht werden. Als Indiz für eine bewußte gruppengerichtete Diskriminierung darf dabei regelmäßig der Umstand herangezogen werden, daß die entsprechenden Richtlinien und Beschlüsse unveröffentlicht bleiben sollten.

2. Revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden ist auch die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Beigeladenen hätten den beanspruchten Vermögenswert redlich im Sinne des § 4 Abs. 2 und 3 VermG erworben. Das Revisionsvorbringen der Klägerin nötigt nicht zu einer anderen Einschätzung. Geschützt werden durch die vorbezeichneten Vorschriften Bürger der DDR, die im Vertrauen auf die seinerzeit bestehende Rechtslage manipulationsfrei Vermögenswerte erworben haben (vgl. BVerwGE 94, 279 ≪285≫). Daß im Streitfall die Voraussetzungen einer Enteignung nach dem Baulandgesetz, wie dargelegt, nicht vorlagen, konnten die Beigeladenen, deren Lebensläufe besondere Kenntnisse des Rechts der DDR jedenfalls nicht nahelegen, zum Zeitpunkt ihres Erwerbs nicht oder kaum durchschauen (vgl. auch Baumhaus, ZOV 1996, 155 ≪162, Fußnote 66≫). Aus dem Umstand allein, daß sie sich zunächst erfolglos und über einen längeren Zeitraum um einen Erwerb bemüht hatten, mußten sie nicht den Schluß ziehen, daß auch das kurze Zeit vor ihrer Erwerbsverpflichtung erlassene Baulandgesetz für ihren Erwerbswunsch keine Handhabe bot. Mithin kann daraus, daß sie “Anstöße” zu der sie begünstigenden Enteignungsmaßnahme gegeben haben, weder im Zusammenhang mit dem Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 3 VermG noch im Blick auf die Redlichkeit des Erwerbs etwas zu ihren Ungunsten hergeleitet werden. Da, wie der Beklagte in seiner Revision in anderem Zusammenhang zu Recht ausgeführt hat, eine Überschuldung des Grundstücks kein gesetzliches Merkmal einer zulässigen Enteignung nach dem Baulandgesetz war, kommt es schließlich auch nicht auf die Behauptung der Klägerin an, die Beigeladenen hätten die fehlende Überschuldung des Grundstücks gekannt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO.

 

Unterschriften

Dr. Franßen, Dr. Paetow, Dr. Bardenhewer, Kley, Dr. Brunn

 

Fundstellen

Haufe-Index 1460791

BVerwGE, 210

VIZ 1998, 376

ZAP-Ost 1998, 429

DÖV 1998, 697

NJ 1998, 441

OVS 1998, 329

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