Verfahrensgang

OVG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 18.05.2022; Aktenzeichen 10 L 115/16)

VG Greifswald (Urteil vom 10.02.2016; Aktenzeichen 11 A 1054/14)

 

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 18. Mai 2022 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

 

Gründe

Rz. 1

1. Der Beklagte wendet sich gegen seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.

Rz. 2

Der... geborene Beklagte steht im Amt eines Kriminalhauptmeisters (Besoldungsgruppe A 9) im Dienst des Landes... Im Jahr 2008 wurde gegen den Beklagten ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren wegen Betrugs zu Lasten von Versicherungen und Kreditinstituten eingeleitet. Nachdem die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren hinsichtlich der vorgeworfenen Taten aus den Jahren 2000 bis 2003 wegen Verfolgungsverjährung eingestellt hatte, stellte das Amtsgericht... mit Beschluss vom August 2012 das Strafverfahren wegen der noch angeklagten Taten aus den Jahren 2003 bis 2006 gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 900 € ein.

Rz. 3

In dem im Mai 2009 eingeleiteten und im Hinblick auf das Strafverfahren ausgesetzten Disziplinarverfahren erhob der Kläger im September 2014 Disziplinarklage. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Im ersten Berufungsverfahren hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung des Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen. Dieses erste Berufungsurteil hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 28. Januar 2020 - 2 B 15.19 - (Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 87) wegen Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz aufgehoben; die Sache wurde zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Auch im zweiten Berufungsverfahren hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

Rz. 4

Das Oberverwaltungsgericht hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Beklagte habe durch die Begehung von drei außerdienstlichen Dienstpflichtverletzungen in besonderem Maße seine beamtenrechtliche Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten verletzt. Nach erneuter Prüfung der Sach- und Rechtslage stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Beklagte dem gesondert verfolgten A im Dezember 1998 einen Zahlungsbeleg überlassen habe, um diesem die Abrechnung eines angeblichen Diebstahlschadens gegenüber der Versicherung zu ermöglichen. Weiter habe der Beklagte im Juli 2000 und im September 2006 jeweils einen Betrug zu Lasten eines Kreditinstituts in Mittäterschaft begangen, indem er seine Kreditkarte mit Wissen und Wollen dem gesondert verfolgten A zur Verwendung unter seinem Namen überlassen, die Kreditkarte anschließend als verloren gemeldet und sich die mit ihr getätigten Umsätze vom Kreditinstitut erstatten lassen habe. Bei Gesamtbetrachtung aller Umstände sei es ausgeschlossen, dass dem Beklagten die Kreditkarten entwendet worden seien. Dagegen könnten die weiteren, dem Beklagten vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen, Betrug zu Lasten von Versicherungen wegen vorgetäuschten Einbruchdiebstählen, nicht mit der notwendigen Sicherheit nachgewiesen werden. Die festgestellten Straftaten des Betrugs zu Lasten der Kreditinstitute und der Beihilfe zum Betrug zu Lasten einer Versicherung seien ein schweres Dienstvergehen des Beklagten, das nach einer Gesamtwürdigung sämtlicher zu berücksichtigender Umstände seine Entfernung aus dem Dienst erfordere. In den persönlichen Lebensumständen des Beklagten seien keine persönlichkeitsbezogenen Milderungsgründe zu erkennen, die ein Absehen von der Höchstmaßnahme rechtfertigen könnten.

Rz. 5

2. Die auf den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 69 Disziplinargesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern - LDG M-V - i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nicht verletzt.

Rz. 6

Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Sachverhalts- und Beweiswürdigung einer Tatsacheninstanz ist der Beurteilung des Revisionsgerichts nur insoweit unterstellt, als es um Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geht. Rügefähig ist damit nicht das Ergebnis der Beweiswürdigung, sondern nur der Verfahrensvorgang auf dem Weg dorthin. Derartige Mängel liegen insbesondere vor, wenn das angegriffene Urteil von einem falschen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, also beispielsweise entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder auf einer aktenwidrigen Tatsachengrundlage basiert. Die Einhaltung der verfahrensmäßigen Verpflichtungen des Tatsachengerichts ist nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter ein aus seiner Sicht fehlerhaftes Ergebnis der gerichtlichen Verwertung des vorliegenden Tatsachenmaterials rügt, aus dem er andere Schlüsse ziehen will als das angefochtene Urteil. Die Beweiswürdigung des Tatsachengerichts darf vom Revisionsgericht nicht daraufhin überprüft werden, ob sie überzeugend ist, ob festgestellte Einzelumstände mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die abschließende Beweiswürdigung eingegangen sind und ob diese Einzelumstände die Würdigung tragen. Solche Fehler sind revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen und können einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO grundsätzlich nicht begründen. Ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz hat jedoch dann den Charakter eines Verfahrensfehlers, wenn das Tatsachengericht allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze verletzt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Februar 2017 - 2 B 2.16 - juris Rn. 15 und vom 8. Juni 2017 - 2 B 5.17 - juris Rn. 17). Das Ergebnis der gerichtlichen Beweiswürdigung selbst ist vom Revisionsgericht nur daraufhin nachzuprüfen, ob es gegen Logik (Denkgesetze) und Naturgesetze verstößt oder gedankliche Brüche und Widersprüche enthält (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Mai 2007 - 2 C 30.05 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 50 Rn. 16 sowie Beschlüsse vom 23. September 2013 - 2 B 51.13 - juris Rn. 19 und vom 28. März 2017 - 2 B 9.16 - juris Rn. 17).

Rz. 7

a) Gemessen daran greift die Rüge der Beschwerde nicht durch, das Berufungsgericht habe gegen den Überzeugungsgrundsatz verstoßen, weil es aus dem Umstand der verzögerten Benennung von Entlastungszeugen entgegen einem im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Januar 2020 - 2 B 15.19 - (Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 87 Rn. 27) aufgestellten Beweisgrundsatz widerstreitende Schlussfolgerungen gezogen habe.

Rz. 8

Mit dem Hinweis im Beschluss vom 28. Januar 2020 - 2 B 15.19 - (Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 87 Rn. 27) hat der Senat keinen Rechtssatz des Inhalts gebildet, es stelle einen allgemeinen Beweisgrundsatz dar, dass die verzögerte Benennung von Entlastungszeugen in der Regel ein für die Täterschaft sprechendes Indiz sei. Der Senat hat lediglich angemerkt, dass bei der erneuten Prüfung, ob dem Beklagten neben dem Kreditkartenbetrug weitere außerdienstliche Dienstpflichtverletzungen wegen Versicherungsbetrugs vorzuwerfen seien, vom Berufungsgericht zu bedenken sein wird, dass nach den konkreten Umständen des Einzelfalls auch eine Reihe für die Täterschaft sprechende Indizien vorliegen, die in die tatrichterliche Überzeugungsbildung einzubeziehen und abzuwägen sind. Dabei ist der Tatrichter grundsätzlich in der Beurteilung frei, welche Beweiskraft er den für oder gegen die Täterschaft sprechenden Beweisanzeichen im Einzelnen und in einer Gesamtschau für seine Überzeugungsbildung beimisst.

Rz. 9

Die unter Berücksichtigung dieser Vorgaben des Senats gewonnene Überzeugung des Berufungsgerichts ist entgegen der Annahme der Beschwerde nicht widersprüchlich. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass ein Beklagter grundsätzlich sein Verteidigungsverhalten an der für ihn erkennbaren Erkenntnislage ausrichten und schrittweise Beweisanträge stellen darf, wenn es aus seiner Sicht nach der Beweissituation erforderlich erscheint. In Widerspruch dazu steht nicht die Wertung des Berufungsgerichts, dass die verzögerte Benennung des Zeugen B zum Tatkomplex des Kreditkartenmissbrauchs ein für die Täterschaft des Beklagten sprechendes Indiz sei (vgl. UA S. 19, 32 f.). Diese in Gesamtschau aller relevanten Umstände vorgenommene Würdigung des Berufungsgerichts ist aufgrund der besonderen Gegebenheiten des Einzelfalls nachvollziehbar. Beweisbehauptung war ein im Jahr 2008 angeblich geführtes Gespräch zwischen dem Zeugen B und dem Zeugen A, bei dem der Zeuge A erzählt habe, dem Beklagten die Kreditkarten gestohlen zu haben. Nach den nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) hat der Beklagte den Zeugen B zu dieser entlastenden Behauptung erst mit Schriftsatz vom 18. Januar 2022 benannt, obwohl er von diesem Gespräch bereits vor der erstinstanzlichen Entscheidung im Jahr 2016 Kenntnis erlangt hatte (UA S. 19). Hinzu kommt, dass im ersten Berufungsurteil vom September 2018 der Kreditkartenbetrug in Mittäterschaft als erwiesen festgestellt worden war und der Senat Anfang Januar 2020 auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten hin die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung über diesen Vorwurf an das Berufungsgericht zurückverwiesen hatte. Daraufhin hatte der Beklagte bereits im Mai 2020 zur weiteren Begründung der Berufung ergänzend vorgetragen.

Rz. 10

b) Unbegründet ist auch der weitere Einwand, das Berufungsgericht habe bei der Beweiswürdigung (UA S. 15 ff.) aus demselben Umstand - Entdeckungsrisiko einer Tat - widerstreitende Schlussfolgerungen gezogen.

Rz. 11

Das Berufungsgericht hat angenommen, es widerspreche allgemeiner Lebenserfahrung, dass ein Dieb zwischen dem Diebstahl der Kreditkarte und deren Einsatz mehrere Tage verstreichen lasse und das Risiko eingehe, dass der Verlust der Karte entdeckt und ihre Sperrung veranlasst werde, damit ihr Gebrauch scheitern und mit einer Feststellung des Täters "auf frischer Tat" verbunden sein könne. Umstände, die diesen Erfahrungssatz vorliegend in Frage stellen, hat die Beschwerde nicht aufgezeigt und sind nicht erkennbar. Auch besteht kein Widerspruch zu dem im Rahmen der Beweiswürdigung vom Berufungsgericht als wahr unterstellten Sachverhalt, dass die Kreditkarte auch noch an dem auf die Verlustmeldung folgenden Tag im Ausland eingesetzt worden sei. Im Hinblick auf den zeitlichen Handlungsrahmen ist entgegen der Beschwerde nicht der Schluss zu ziehen, mit dem weiteren Gebrauch der Kreditkarte sei der Zeuge A ein Entdeckungsrisiko eingegangen, das für einen Diebstahl und gegen einen gemeinschaftlichen Kreditkartenbetrug spreche. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass es auch bei einer einvernehmlichen Tatbegehung aufgrund von Abstimmungsmängeln oder -schwierigkeiten zwischen den Tatbeteiligten zu einer solchen Situation kommen kann.

Rz. 12

Weiter ist das Berufungsgericht zu der in sich stimmigen Überzeugung gelangt, dass allein der Umstand des Überziehens des Kreditkartenlimits kein Indiz dafür sei, dass der Zeuge A die Kreditkarte gestohlen habe (UA S. 17 f.). Nach den nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) hat der Zeuge A die Karten bewusst an Orten im Ausland eingesetzt, bei denen er aufgrund seiner dienstlich erworbenen Kenntnisse gewusst habe, dass die Sicherheitsvorkehrungen gering seien und deshalb auch bei Käufen über dem Kreditkartenlimit nicht die unmittelbare Gefahr einer Nachforschung zum unbefugten Gebrauch der Karte drohe.

Rz. 13

c) Unbegründet ist der Vorwurf der Beschwerde, das Oberverwaltungsgericht konstruiere mit den Ausführungen im Berufungsurteil auf Seite 13, letzter Absatz ein inkonsistentes Aussageverhalten des Zeugen A, das mit den protokollierten Zeugenaussagen nicht in Einklang zu bringen sei. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Aussage des Zeugen A bei seiner Vernehmung im Mai 2022, es sei üblich gewesen, dass Mitglieder, darunter auch Polizisten, Freunde und Verwandte in die Sportanlage und damit in den Kraftraum mitgebracht hätten (vgl. Protokoll der Berufungsverhandlung vom 9. Mai 2022 S. 3, Bl. 1400 der Gerichtsakte), sei mit seiner früheren Aussage nicht vereinbar, andere Personen als Polizisten seien nicht in den Kraftraum gekommen. Diese Wertung steht nicht in einem unauflösbaren Widerspruch zu dem protokollierten Inhalt der früheren Aussage des Zeugen A. Bei seiner Vernehmung im ersten Berufungsverfahren im Mai 2018 hat er ausgesagt, der Sportbereich sei überwiegend von Polizeibeamten genutzt worden; Fremde seien dort nicht hingekommen (vgl. Protokoll der Berufungsverhandlung vom 28. Mai 2018, S. 9, Bl. 762 der Gerichtsakte). Damit hat der Zeuge einen anderen üblichen Benutzerkreis beschrieben als bei seiner Einvernahme im Mai 2022. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch hat er mit dem Begriff "überwiegend" eine Gruppe von Nutzern beschrieben, die in aller Regel, normalerweise und damit üblicherweise zusammengekommen ist.

Rz. 14

Revisionsrechtlich ist nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht dieses Aussageverhalten als ein an der jeweiligen Prozesssituation orientiertes Verhalten gewürdigt und auch deshalb die Aussage des Zeugen A als unglaubhaft angesehen hat. Entgegen der Beschwerde stellt es keinen Widerspruch dar, wenn das Berufungsgericht die Aussage eines anderen Zeugen für glaubhaft hält, dessen im Mai 2022 getätigte Aussage zur Nutzung der Sporträume mit der zuletzt getroffenen Aussage des Zeugen A übereingestimmt habe.

Rz. 15

d) Ferner ist das Berufungsgericht zu der in sich widerspruchsfreien Annahme gelangt, dass der behauptete Diebstahl der Kreditkarte des Beklagten durch den Zeugen A nur bei einem Saunabesuch an einem Sonntag, spätestens dem 2. Juli 2000, hätte begangen werden können (UA S. 11 ff.). Der Beklagte hat nach den nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) angegeben, an den darauffolgenden Werktagen bis zum Einsatz der Kreditkarte in der... am 6. Juli 2000 aus beruflichen Gründen ortsabwesend gewesen zu sein und den Verlust der Kreditkarte am 4. Juli 2000 bemerkt zu haben. Der Zeuge A hat ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 10. Februar 2016 (vgl. Protokoll S. 5, Bl. 163 der Gerichtsakte) bekundet, in die Sauna nach gemeinsamem Sport "meistens sonntags", "nicht in der Woche" gegangen zu sein. Nach diesen Angaben ist der vom Berufungsgericht im Rahmen der Gesamtwürdigung gezogene Schluss nachvollziehbar, dass die Wahrscheinlichkeit einer persönlichen Begegnung des Beklagten und des Zeugen A an den vor dem Gebrauch der Karte liegenden Werktagen äußerst gering gewesen sei und deshalb nur der vorangegangene Sonntag als Tattag für den behaupteten Diebstahl habe in Betracht kommen können.

Rz. 16

e) Unrichtig ist, dass das Berufungsgericht - wie die Beschwerde meint - schlicht angenommen habe, es sei lebensfremd, Freunde und Kollegen zu bestehlen. Das Berufungsgericht hat plausibel ausgeführt, es sei lebensfremd, dass der Zeuge A dem Beklagten, seinem Freund und Kollegen, die Kreditkarte bei einem gemeinsamen Saunabesuch gestohlen habe. Ungeachtet des Entdeckungsrisikos hätte der Zeuge A damit rechnen müssen, dass der Verlust der Karte unmittelbar beim Ankleiden bemerkt werde und der Verdacht auch auf ihn - den Zeugen A - falle, zumal dieser sich mit dem Beklagten einen Spind geteilt haben will (vgl. UA S. 14 zweiter Absatz).

Rz. 17

f) Schließlich liegt keine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) vor, soweit die Beschwerde beanstandet, das Berufungsgericht habe die Einvernahme von Zeugen abgelehnt und die Beweisbehauptungen als wahr unterstellt, ohne darauf bei der Beweiswürdigung einzugehen und sich damit auseinanderzusetzen.

Rz. 18

Die Verfahrensweise der "Wahrunterstellung" setzt voraus, dass die behauptete Beweistatsache im Folgenden so behandelt wird, als wäre sie wahr. Das Gericht darf sich im weiteren Verlauf nicht in Widerspruch zu der als wahr unterstellten Annahme setzen und muss sie "ohne jede inhaltliche Einschränkung" in ihrem mit dem Beteiligtenvorbringen gemeinten Sinn behandeln, als wäre sie nachgewiesen. Die Wahrunterstellung einer unter Beweis gestellten Tatsache verpflichtet das Tatsachengericht, diese Tatsache der Sachverhalts- und Beweiswürdigung zugrunde zu legen. Dabei entfaltet eine Wahrunterstellung jedoch keine Bindungswirkung für die Würdigung des betreffenden Lebenssachverhalts. Sie verbietet nicht, aus diesem Sachverhalt unter Beachtung des Überzeugungsgrundsatzes bestimmte, andere Schlüsse zu ziehen, solange die als wahr unterstellten Tatsachen zugrunde gelegt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Januar 2020 - 2 B 15.19 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 87 Rn. 21 m. w. N.).

Rz. 19

Das Berufungsgericht hat diese Beweisgrundsätze nicht verletzt. Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 9. Mai 2022 durch die Einvernahme des Zeugen C die Behauptung unter Beweis gestellt, der Zeuge D habe den Zeugen C in einem Gespräch darüber informiert, dass der Zeuge A seine - des Zeugen D - Kreditkarte gestohlen habe. Weiter hat der Beklagte durch die Einvernahme der Zeugen E, F und G die Behauptung unter Beweis gestellt, dass der Zeuge A diesen Zeugen berichtet habe, die Kreditkarten des Beklagten entwendet zu haben (vgl. Protokoll S. 9, Bl. 1406 der Gerichtsakte). Das Oberverwaltungsgericht hat die Beweisanträge ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 9. Mai 2022 (vgl. Protokoll S. 10, Bl. 1407 der Gerichtsakte) mit der Begründung abgelehnt, dass die unter Beweis gestellten Tatsachen als wahr unterstellt werden.

Rz. 20

Verfahrensfehlerfrei hat das Oberverwaltungsgericht die Wahrunterstellung der Beweistatsachen seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung im Berufungsurteil zugrunde gelegt. Es ist davon ausgegangen, dass auch ein Diebstahl der Kreditkarte des Zeugen D nichts daran ändere, dass der Zeuge A Kreditkarten auch einvernehmlich an sich gebracht und missbräuchlich verwendet habe; er habe beide Arten des Ansichbringens von Kreditkarten angewendet (vgl. UA S. 19 zweiter Absatz). Dass es dabei nicht zu dem von der Beschwerde geforderten günstigeren Schluss für den Beklagten - Diebstahl seiner Kreditkarten - gelangt ist, vermag einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nicht zu begründen. Gleiches gilt, soweit das Berufungsgericht bei seiner Beweiswürdigung das vom Zeugen A mit den Zeugen E, F und G geführte Gespräch als wahr unterstellt, darin aber ebenso wie im Gespräch mit dem als glaubhaft angesehenen Zeugen B nach Gesamtwürdigung aller Umstände nachvollziehbar ein taktisches Verhalten des Zeugen A gesehen hat, um seine unwahre Version des Geschehens weiterzugeben (vgl. UA S. 16).

Rz. 21

g) Das übrige Beschwerdevorbringen erschöpft sich darin, die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts durch eine eigene, dem Beklagten günstigere Einschätzung zu ersetzen. Dies ist nicht Gegenstand einer Verfahrensrüge. Unter dem Vorwand eines Verstoßes gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann nicht die inhaltliche Richtigkeit der Sachentscheidung des Berufungsgerichts gerügt werden.

Rz. 22

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 78 Abs. 1 LDG M-V i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts bedarf es nicht, weil für das Beschwerdeverfahren gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 LDG M-V Festgebühren erhoben werden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15984087

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