Verfahrensgang

VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 05.07.2001; Aktenzeichen 2 S 2898/98)

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 5. Juli 2001 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 090 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 VwGO liegen nicht vor.

1. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Antragstellerin beigelegte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen bedürfen nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren, weil sie in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs eindeutig geklärt sind.

Das gilt zunächst für die Frage, ob die Bundesländer selbständig in flächendeckender Form von den EG-Pauschalgebühren abweichen können oder ob diese Möglichkeit durch das Gemeinschaftsrecht ausschließlich dem Mitgliedstaat Bundesrepublik Deutschland vorbehalten ist. Hierzu hat das Bundesverwaltungsgericht in einer ganzen Reihe von Entscheidungen ausgesprochen, es sei dem einzelnen Bundesland gestattet, gemäß der Vorschrift des Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 85/73/EWG in der Fassung der Richtlinie 96/43/EG i.V.m. Anhang A Kap. 1 Nr. 4 Buchst. b flächendeckend und nicht nur für einzelne Betriebe von den EG-Pauschalgebühren abzuweichen (vgl. zuletzt Urteil vom 18. Oktober 2001 – BVerwG 3 C 1.01 – UA S. 20). Der Ansicht der Antragstellerin, nur die Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat dürfe eine solche Regelung treffen, ist dadurch die Grundlage entzogen. Auch der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 9. September 1999 (Rs C-374/97 – „Feyrer”) ausgesprochen, dass es jedem Mitgliedstaat freisteht, die Zuständigkeiten auf innerstaatlicher Ebene zu verteilen und die nicht unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechtsakte mittels Maßnahmen regionaler oder örtlicher Behörden durchzuführen, sofern diese Zuständigkeitsverteilung eine ordnungsgemäße Durchführung der betreffenden Gemeinschaftsrechtsakte ermöglicht. Es kann daher keinem Zweifel unterliegen, dass das Gemeinschaftsrecht der Übertragung der Regelungskompetenz für eine Abweichung von den EG-Pauschalgebühren auf die Bundesländer nicht entgegensteht.

Ebenso geklärt ist die von der Beschwerde aufgeworfene Frage der „Herabzonung” des Referenzgebietes auf das einzelne Bundesland. In dem genannten Urteil vom 9. September 1999 hat der Europäische Gerichtshof festgestellt, dass die Frage der Kostendeckung nicht notwendigerweise auf das Gebiet des Mitgliedstaats bezogen sein muss, sondern dass das Gemeinschaftsrecht eine Regelung zulässt, die Gebühren bis zur Höhe der der zuständigen kommunalen Behörde tatsächlich entstandenen Untersuchungskosten vorsieht (a.a.O., Tz 41). Die Versuche des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin, trotz dieser völlig eindeutigen Aussagen noch einen Klärungsbedarf zu konstruieren, sind nicht nachvollziehbar.

Kein Klärungsbedarf besteht auch hinsichtlich der Frage, ob die zusätzliche Erhebung von Gebühren für die Trichinenschau und die bakteriologische Fleischuntersuchung neben der Erhebung der EG-Pauschalgebühren für die Fleischuntersuchung zulässig ist. Diese Frage hat der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 30. Mai 2002 (Rs C-284/00 und C-288/00 – „Stratmann”) beantwortet und verneint. Er hat ausgesprochen, dass jede von einem Mitgliedstaat beschlossene Erhöhung den Pauschalbetrag der Gemeinschaftsgebühr selbst betreffen und als dessen Anhebung erfolgen muss und dass eine spezifische über die Gemeinschaftsgebühren hinausgehende Gebühr sämtliche tatsächlich entstandenen Kosten abdecken muss (a.a.O., Tz 56). Der Europäische Gerichtshof hat weiter ausgesprochen, dass zu den durch eine solche erhöhte Gebühr zu deckenden Kosten auch die Aufwendungen für Trichinenschau und bakteriologische Untersuchungen gehören. Da der Europäische Gerichtshof für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts der gesetzliche Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 1986 – 2 BvR 197/83BVerfGE 73 S. 339), ist diese Entscheidung maßgeblich und verbindlich. Klärungsbedarf ist insoweit nicht mehr erkennbar. Das gilt insbesondere für die vom Antragsgegner vertretene Auffassung, die in § 3 und § 5 der angegriffenen Gebührenverordnung vorgesehenen Gebühren für Trichinenschau und bakteriologische Untersuchung seien auch nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs noch zulässig, weil sie als Erhöhung der Grundgebühr konzipiert seien. Damit verkennt der Antragsgegner eindeutig die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs; ein Klärungsbedarf besteht insoweit ebenfalls nicht. Es steht außer Frage, dass die genannten Bestimmungen der Gebührenverordnung die Erhebung zusätzlicher Gebühren für Trichinen- und bakteriologische Untersuchungen vorsehen. Ebenso klar ist, dass dies nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs nicht zulässig ist. Ob die Inanspruchnahme des Gebührenschuldners als zusätzliche Gebühr oder – wie in der angegriffenen Verordnung geschehen – als „Erhöhung der Gebühr für die Schlachttier- und Fleischuntersuchung um einen Gebührenanteil” bezeichnet wird, spielt für die materielle Bewertung keine Rolle.

Hinsichtlich der in verschiedenen Facetten aufgeworfenen Frage einer zulässigen Rückwirkung der landesrechtlichen Gebührenvorschriften hat das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 18. Oktober 2001 (BVerwG 3 C 1.01) bereits festgestellt, dass das Fehlen einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage für die Erhebung kostendeckender Fleischbeschaugebühren vom Landesgesetzgeber rückwirkend durch den Erlass entsprechender Normen behoben werden konnte. Weder das Gemeinschaftsrecht noch das innerstaatliche Verfassungsrecht geben insoweit zu Zweifeln Anlass. Soweit die Antragstellerin in diesem Zusammenhang eine überlange Rückwirkungsdauer von 7,5 Jahren rügt, kann dem schon deshalb nicht gefolgt werden, weil die hier im Rahmen der Normenkontrolle zu prüfende Fleischhygiene-Gebührenverordnung im Juli 1998 erlassen und nach ihrem § 10 mit Wirkung vom 1. Juli 1995 in Kraft getreten ist. Ob andere Normen sich eine längere Rückwirkung beigemessen haben, spielt daher für das vorliegende Verfahren ebenso wenig eine Rolle wie die Frage, ob dagegen Bedenken bestehen könnten.

Nicht nachvollziehbar ist schließlich, welcher Klärungsbedarf sich aus der Rückwirkungsfrage einerseits und dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts andererseits ergeben soll. Da das Gemeinschaftsrecht unzweifelhaft den Mitgliedstaaten die Befugnis eingeräumt hat, von den EG-Pauschalgebühren abzuweichen, kann eine Regelung, die die dafür gegebenen Voraussetzungen beachtet, den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts nicht tangieren.

2. Das angefochtene Urteil weicht auch nicht von den in der Beschwerde bezeichneten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ab.

Das gilt insbesondere für den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. März 1997 (BVerwG 3 NB 3.94). Die Aussagen dieses Beschlusses sind nicht nur zu einer gänzlich anderen Fassung der Richtlinie 85/73/EWG ergangen als das angefochtene Urteil. Inzwischen hat auch der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 9. September 1999 (Rs C 374/97 – „Feyrer”) für die spätere Fassung der Richtlinie das Recht der Mitgliedstaaten zur Übertragung der Abweichungskompetenz auf andere staatliche Ebenen und zur Herabzonung des Referenzgebiets anerkannt. Damit kann der seinerzeitige Beschluss des Senats nicht mehr als Grundlage einer Abweichungsrüge dienen.

Die gerügte Abweichung vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. August 1996 (BVerwG 3 C 7.95 – BVerwGE 102, 39) liegt ebenfalls nicht vor, weil die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für das neue Recht die Möglichkeit einer Kompetenzübertragung auf die Bundesländer eindeutig anerkannt hat. Auch im Übrigen gehen die erhobenen Abweichungsrügen offenkundig fehl.

Der Umstand, dass der Europäische Gerichtshof die Frage der zusätzlichen Gebühr für Trichinenschau und bakteriologische Untersuchung inzwischen anders als der Verwaltungsgerichtshof entschieden hat mit der Folge, dass insoweit nunmehr kein Klärungsbedarf mehr besteht, führt nicht zu einer Überführung der entsprechenden Rüge in eine Divergenzrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Dies folgt schon daraus, dass eine Divergenzrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nur auf die Abweichung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts gestützt werden kann. Der Europäische Gerichtshof findet in dieser Aufzählung keine Berücksichtigung. Es kommt hinzu, dass die Besonderheiten des Normenkontrollverfahrens einerseits und die Bedeutung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs andererseits die Weiterführung der Grundsatzrüge als Divergenzrüge nicht als sachgerecht erscheinen lassen. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs hat die Frage der Gebührenerhebung für Trichinenschau und bakteriologische Untersuchung eindeutig und abschließend geklärt. Zur Wahrung des Rechtsschutzes der Betroffenen ist es daher nicht erforderlich, auf dem Weg über ein Revisionsverfahren und die Zurückverweisung an den Verwaltungsgerichtshof im Rahmen des Normenkontrollverfahrens die förmliche Nichtigerklärung der entsprechenden Vorschriften herbeizuführen.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 GKG.

 

Unterschriften

Prof. Dr. Driehaus, van Schewick, Kimmel

 

Fundstellen

Dokument-Index HI780110

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