Verfahrensgang

VG Leipzig (Urteil vom 31.08.2001; Aktenzeichen 1 K 1288/99)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 31. August 2001 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 255 645 EUR (entspricht 500 000 DM) festgesetzt.

 

Gründe

Die Klägerin begehrt als Mitglied einer Erbengemeinschaft nach Ilse R. die Feststellung ihrer Berechtigung zur Rückübertragung verschiedener Gemälde und Kunstmappen. Frau Ilse R. verließ das Gebiet der DDR im Februar 1953 ohne Beachtung der damals geltenden Meldevorschriften. Die Wohnungseinrichtung wurde daraufhin zusammen mit Gemälden und Kunstmappen beschlagnahmt und an das Städtische Versteigerungshaus zum Ankauf übergeben; die Klägerin macht geltend, dass über die an das Versteigerungshaus abgegebenen Gegenstände hinaus weitere Gemälde und Kunstmappen beschlagnahmt und in Volkseigentum überführt worden seien. Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 23. August 1996 der Erbengemeinschaft gemäß § 10 VermG eine Entschädigung in Höhe des Erlöses für die laut Abrechnungen des Versteigerungshauses verwerteten Gegenstände zu. Für davon nicht erfasste Gegenstände sei eine schädigende Maßnahme nicht festzustellen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, da nicht habe nachgewiesen werden können, dass die im Klageantrag bezeichneten Gemälde und Kunstgegenstände enteignet worden seien; die Revision hat es nicht zugelassen.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist nicht gegeben. Die gerügten Verfahrensfehler liegen nicht vor.

1. Die Rüge der Klägerin, das Gericht sei einem von ihr gestellten Beweisantrag auf Vernehmung der Zeugin P. nicht nachgekommen, kann eine Verletzung des § 86 Abs. 1 VwGO nicht begründen. Die anwaltlich vertretene Klägerin hat ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt. Ein Verfahrensfehler käme danach allenfalls in Betracht, wenn sich die Notwendigkeit der Vernehmung dieser Zeugin dem Verwaltungsgericht auch ohne entsprechenden Beweisantrag hätte aufdrängen müssen (vgl. Beschluss vom 24. Juli 1998 – BVerwG 8 B 22.98 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 292). Insofern fehlt es aber bereits an einer hinreichenden Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), die die Angabe erfordert, inwiefern sich die Vernehmung der Zeugin hätte aufdrängen müssen. Die allgemeine Erklärung der Klägerin, es sei nicht auszuschließen, dass durch eine Vernehmung entscheidungserhebliche Erkenntnisse hätten gewonnen werden können, genügt dem nicht.

Davon abgesehen sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, aus denen sich die Notwendigkeit der Zeugenvernehmung ergeben könnte. Das Verwaltungsgericht hatte die Zeugin ursprünglich zur Vernehmung in der mündlichen Verhandlung geladen, auf das Schreiben der Zeugin die Ladung aber wieder aufgehoben. Diese hatte mitgeteilt, dass sie aus gesundheitlichen Gründen nicht an der Verhandlung teilnehmen könne und sich „als etwa achtjähriges Kind so um 1919/1920 zuletzt im Haus M.straße 2” in L. aufgehalten habe. Danach musste sich dem Gericht nicht aufdrängen, dass die Zeugin Angaben darüber hätte machen können, welche Gemälde und Kunstmappen von der mehr als dreißig Jahre später durchgeführten Beschlagnahme erfasst waren.

2. Das Gericht hat entgegen der Auffassung der Klägerin seine Aufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO auch nicht dadurch verletzt, dass es der Anregung der Klägerin nicht gefolgt ist, dem Zeugen Hubertus C.-R. die Möglichkeit zu vermitteln, die Archivbestände des Museums der bildenden Künste L. zu sichten. Denn dem Verwaltungsgericht musste sich eine derartige Überprüfung der Bestände des Museums nicht aufdrängen, so dass offen bleiben kann, ob die Anregung der Klägerin überhaupt eine Beweiserhebung des Gerichts zum Gegenstand hatte.

Dem Gericht lag bereits die von der Beklagten eingeholte Auskunft des Museums der bildenden Künste L. vom 23. Februar 2001 vor, aus der sich ergibt, dass die von der Klägerin beanspruchten Gemälde von Pesne und Dikle, Portraits von Mitgliedern der Familie R. und Bilder von Schill'schen Offizieren nicht im Bestand des Museums sind. Außerdem teilte das Museum mit, dass „unter dem Herkunftsnachweis ‚R.’ derzeit keine Werke im Gemälde-Bestand des Museums der bildenden Künste rückwirkend und gegenwärtig nachzuweisen” seien. Anhaltspunkte dafür, dass weitere Nachforschungen zur Auffindung der gesuchten Gegenstände im Bestand des Museums führen würden, hat die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren nicht dargelegt. Sie sind auch nicht ersichtlich. So ergeben sich aus den von den Behörden der DDR geführten Akten keine Hinweise darauf, dass Gemälde oder Kunstmappen an das Museum übergeben worden waren. Im Gegenteil legt das Erfassungs- und Übergabeprotokoll des Versteigerungshauses des Rates der Stadt L. vom 7. April 1953, in dem für „Gemälde” und einen „Pt. Bilder” ein Verwertungserlös von 46,– bzw. 10,– DM/DDR ausgewiesen ist, sowie der Nachtrag vom Februar 1954, in dem für „Postenware (Kunstmappen)” ein Betrag von weiteren 200,– DM/DDR aufgeführt ist, den Schluss nahe, dass die bezeichneten Gegenstände nicht an das Museum gelangt sind. Wie sich am Beispiel der dem B.-Archiv überlassenen Noten und Materialien zeigt, wurde bei der Übergabe der beschlagnahmten Gegenstände deren Herkunft nicht verschwiegen (vgl. die Empfangsbestätigung des B.-Archivs vom 11. Dezember 1953: „erhielten wir aus dem Grundstück N 22, M.str. 2, (R.)”; ebenso das Protokoll vom 21. Mai 1953 über die Übergabe einer Kiste mit Sielengeschirren an den Zoo: „aus der Habe R., Ilse, M.str. 2”). Dies spricht dafür, dass das Verwaltungsgericht sich auf die Auskunft des Museums beschränken konnte, unter dem Herkunftsnachweis „R.” seien keine Werke im Gemäldebestand des Museums vorhanden. Eine erneute Überprüfung wurde auch nicht etwa deshalb notwendig, weil die Klägerin mit dem in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gestellten Antrag weitere, von der vorangegangenen Anfrage noch nicht erfasste Gemälde zurückbegehrte. Denn auch für diese in den Klageantrag neu aufgenommenen Gemälde gilt die Auskunft des Museums, dass das Museum nicht im Besitz von Portraits von Mitgliedern der Familie R. und von Bildern mit dem Herkunftsnachweis „R.” sei.

3. Keinen Erfolg hat auch die Rüge der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht ihrem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auf Vertagung nicht stattgegeben. Mit der Vertagung der Verhandlung wollte die Klägerin erreichen, dass sie in der Zeit bis zu einer erneuten mündlichen Verhandlung bei verschiedenen Museen und Institutionen nach dem Verbleib des Bildes „Anton Philipp R. im Alter” suchen und die Ergebnisse der Nachforschung noch in das Verfahren einführen konnte. Der Sache nach will sie damit einen Verstoß gegen die Verpflichtung zur Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) geltend machen. Ein solcher Verstoß liegt nicht vor. Nach § 173 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO ist die mangelnde Vorbereitung einer Partei kein Grund für eine Vertagung. Von einer mangelnden Vorbereitung ist hier auszugehen; angesichts der mehr als zweijährigen Dauer allein des Klageverfahrens hätte die Klägerin hinreichend Zeit gehabt, die beabsichtigten Anfragen rechtzeitig vor dem anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung durchzuführen. Gründe dafür, die die mangelnde Vorbereitung entschuldigen könnten, hat die Klägerin nicht geltend gemacht. Sie sind auch nicht ersichtlich. Insbesondere fehlt jeder Hinweis, dass der Klägerin die Familienchronik, in der das Eigentum des Hans Heinrich R. an dem Bild erwähnt wird, erst unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung bekannt oder zugänglich gemacht worden ist.

4. Eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) sieht die Klägerin ferner darin, dass das Verwaltungsgericht es unterlassen habe, anhand der Familienchronik und des Abbildungsnachweises in der Verlagschronik Anfragen nach dem Verbleib der Kunstgegenstände bei öffentlichen Museen und anderen Institutionen durchzuführen. Das Vorbringen der Klägerin bezieht sich, wie sich aus den vorhergehenden, unter Nummer 4 der Beschwerde gemachten Ausführungen ergibt, auf das Gemälde „Anton Philipp R. im Alter”. Eine solche Nachforschung musste sich dem Verwaltungsgericht nicht aufdrängen. Das Bild ist in einer Liste aufgeführt, die der Zeuge Hubertus C.-R. als Photokopie aus einer Familienchronik des Jahres 1912 dem Verwaltungsgericht übergeben hat. Eine Verlagschronik aus den 70er Jahren, in der dieses Bild angeblich enthalten sein soll, befindet sich nicht bei den Akten. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Zeuge dem Gericht lediglich „14 Kopien bzw. Fotografien zur Veranschaulichung seiner jeweiligen Angaben” übergeben. Insofern lässt sich aus der von dem Zeugen übergebenen Kopie des Abbildungsnachweises, das offenbar Teil der Verlagschronik ist, nicht ersehen, wo sich das Original des Bildes befinden könnte. Auch hat der Zeuge Hubertus C.-R. nach der protokollierten Aussage nicht angegeben, dass das Gemälde „Anton Philipp R. im Alter” in der Verlagschronik abgedruckt worden sei und über den Abbildungsnachweis einer bestimmten Einrichtung, wo es sich in den 70er Jahren befunden habe, zugeordnet werden könne. Er hat vielmehr nur auf die Familienchronik von 1912 hingewiesen und ausgesagt, dass er einige dieser Abbildungen zwischenzeitlich im „Familienbuch” ausfindig gemacht habe. Letztlich spricht auch der Vertagungsantrag der Klägerin, der dem Ziel diente, bei verschiedenen Museen und Institutionen nach dem Verbleib des Bildes „Anton Philipp R. im Alter” zu forschen, dagegen, dass der Verbleib des Gemäldes über den Abbildungsnachweis der Verlagschronik hätte herausgefunden werden können.

5. Die Klägerin macht ferner geltend, dass das Verwaltungsgericht nicht geprüft habe, ob zugunsten der Klägerin Beweiserleichterungen, z.B. durch einen Anscheinsbeweis, zur Anwendung kommen. Mit dieser Rüge kann die Klägerin nicht die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO erreichen. Denn sie zielt auf einen Fehler in der Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts. Derartige Fehler sind revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen (Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ Nr. 26 S. 15 m.w.N.). Demgemäß kann mit einem Verstoß gegen Beweiswürdigungsgrundsätze wie Beweisregeln, Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze ein Verfahrensmangel nicht begründet werden; zu den Beweiswürdigungsgrundsätzen gehören auch die Regeln des Anscheinsbeweises (Beschluss vom 4. März 2002 – BVerwG 7 B 74.01 –) und damit auch die Voraussetzungen, die zur Annahme eines Anscheinsbeweises oder anderer Beweiserleichterungen vorliegen müssen.

6. Ein Verfahrensmangel soll nach der Auffassung der Klägerin ferner darin bestehen, dass das Verwaltungsgericht wesentliche Aussagen des Zeugen Hubertus C.-R. unberücksichtigt gelassen habe. Dieser habe nicht nur ausgesagt, dass sich die streitigen Gegenstände in der Wohnung befunden hätten, sondern auch angegeben, dass vor der Ausreise der Mutter der Klägerin keine Gegenstände in den Westen gelangt seien. Der damit sinngemäß geltend gemachte Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist nicht gegeben. Das Verwaltungsgericht hat nicht einen wesentlichen Teil der Zeugenaussage ausgeblendet, dessen Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen. Denn es hat sich damit auseinander gesetzt, ob durch die Aussage des Zeugen die Beschlagnahme der von der Klägerin beanspruchten Gegenstände im Jahr 1953 nachgewiesen sei, und dies unter Hinweis auf das nur sieben Gemälde ausweisende Erfassungs- und Übernahmeprotokoll vom 7. April 1953 abgelehnt. Außerdem hat es dies damit verneint, dass der Zeuge letztmals 1948, also etwa fünf Jahre vor der Beschlagnahme, in der Wohnung gewesen sei. Dass es in seiner Urteilsbegründung die nur die Möglichkeit einer Verbringung von Gegenständen in den Westen ausschließende Aussage des Zeugen nicht ausdrücklich aufgegriffen hat, bedeutet nicht, dass es sie nicht berücksichtigt hat. Einer ausdrücklichen Befassung mit diesem Teil der Zeugenaussage bedurfte es nicht; denn die Angaben des Zeugen schlossen andere Möglichkeiten einer in den fünf Jahren zwischen 1948 und 1953 erfolgten anderweitigen Weggabe – etwa die freiwillige Überlassung an Freunde oder Verwandte (z.B. zur Verwahrung) auf dem Gebiet der DDR – nicht aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1, § 73 Abs. 1 Satz 1 GKG.

 

Unterschriften

Dr. Franßen, Gödel, Neumann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI770896

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